Berlin. Ober-Virologe Drosten verkündet das Ende der Pandemie. Das klingt erlösend, täuscht aber über Risiken in der aktuellen Krise hinweg.

Ausgerechnet er. Ausgerechnet Christian Drosten. Der Mahner der ersten Stunde, der mit dem Diktum der aktuellen Forschung zeitweise täglich die Gefahren und Risiken der Corona-Pandemie gemessen und kommentiert hat. Der nicht müde wurde zu warnen, das Covid-Virus ernst zu nehmen. Christian Drosten sagt im Interview nun: „Ja, wir erleben in diesem Winter die erste endemische Welle mit Sars-Cov-2, nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei.“

Das Ende der Pandemie klingt wie eine Erlösung – ist aber ein Trugschluss

Der Satz von Drosten ist gar nicht virologisch so spannend. Er ist vor allem ein Politikum. Drosten ist in dieser Pandemie immer auch Projektionsfläche für beide Seiten des Schützengrabens – für die Verteidiger eines harten Kurses zur Eindämmung der Infektionsketten, genauso aber für die Gegner der Corona-Maßnahmen. Und so wird auch nun gestritten, nach dieser aktuellen, und ein wenig auch final anmutenden, Äußerung des deutschen Chef-Virologen.

Schaltet sich immer wieder in die Corona-Debatte ein: Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, Charité Berlin.
Schaltet sich immer wieder in die Corona-Debatte ein: Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, Charité Berlin. © dpa | Michael Kappeler

Nun klingt der Übergang von der Pandemie zur Endemie irgendwie erlösend. Wie eine Art Heilung. Aber das ist ein Trugschluss. Schon von der Definition her ist eine Endemie im Prinzip eine Pandemie im Kleinen. Das Corona-Virus wird „heimisch“. Wir haben in Deutschland erhöhte Infektionen, aber eben nicht mehr globale und exponentiell in die Höhe schießende Zahlen von Erkrankten und Toten. Das Virus ist weniger tödlich. Aber es ist dadurch nicht ungefährlich.

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Deutschland lässt die Masken fallen. Das ist richtig, einerseits. Wir können und sollen uns mehr Freiheit erlauben. Das Virus lässt das zu. Es ist schön, die Bars wieder voll zu erleben, die Konzertsäle, die Sportstätten, die Schulen. Vor allem Kinder und Jugendlichen müssen in einen Alltag mit nur den allernötigsten Beschränkungen und Maßregeln mit Blick auf Corona zurückfinden.

Die Infektionswelle in China hat Folgen auch für Deutschland

Zugleich ist es falsch, nun so zu tun, als sei alles vorbei. Denn es ist nicht alles vorbei. Im Gegenteil: Europa erlebt eine schwere Krise des Gesundheitswesens, wir sehen in Deutschland überfüllte und überforderte Kliniken und Arztpraxen. Über China, dem Land, von dem Deutschland noch abhängiger ist als von russischem Gas, bricht Corona mit voller Wucht herein. Das wird Folgen für Produktionen und Lieferungen auch hier haben.

Schutz vor Infektionen ist weiter geboten, auch mit Maskenpflicht etwa in Bahnen, Krankenhäusern und Pflegeheimen. Nicht nur, damit vulnerable Menschen wie chronisch Erkrankte und sehr Alte in der Öffnungs-Euphorie nicht vergessen werden – sondern auch, um das erkrankte System so gut es geht zu schützen. Und damit die Kliniken und Praxen vor einem völligen Kollaps zu bewahren.

Es lassen sich Lehren aus drei Jahren Corona ziehen, weil wir heute mehr wissen über das Virus und seine Verbreitung. Zum Beispiel, dass Schulen und Kitas nicht geschlossen gehören. Eine Lehre ist aber auch, dass wir ein ausgepresstes und vernachlässigtes Gesundheitswesen neu aufstellen müssen.

Neue Wege in der Medizin sind wichtig, um Kliniken vor dem Kollaps zu bewahren

Der Kostendruck in Krankenhäusern ist enorm, die Zahlungen der Versicherungen nach Fallpauschalen haben die Pflege in ein unwürdiges Korsett gezwängt, die Belastungen der Fachkräfte in den Kliniken ist immer noch zu hoch. Dabei hilft vor allem eines: mehr Geld und mehr Personal.

Doch auch über neue Wege im Gesundheitswesen sind geboten, etwa die stärkere ambulante Behandlung von Menschen, aber auch die Nutzung digitaler Telemedizin, um Stationen und Praxen zu entlasten. All das sind jetzt wichtige Debatten – noch wichtiger als die Frage, auf welcher Stufe zwischen Pandemie und Endemie wir gerade stehen.