Washington. Republikaner wollen juristische Mittelinstanz in den Bundesstaaten ausschalten. Wahlen könnten zum Spielball der Parteipolitik werden.

Michael Luttig ist einer angesehensten konservativen Juristen der USA. Der frühere Bundesrichter weiß um seine Außenwirkung. Etwa bei seiner Vernehmung im Untersuchungs-Ausschuss zum Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021. Da sagte Luttig einen Satz, der bis heute nachhallt: „Donald Trump und seine Verbündeten und Unterstützer sind eine akute Gefahr für die amerikanische Demokratie.“

Was Luttig meint, fand just vor den Augen und Ohren der neun obersten Richterinnen und Richter der Vereinigten Staaten seinen vorläufigen Höhepunkt.

Der von Donald Trump durch drei Neubesetzungen ideologisch nach rechts verschobene Supreme Court erörterte in mündlicher Verhandlung unter der unscheinbaren Überschrift „Moore versus Harper” nicht weniger als die Grundfesten der US-amerikanischen Demokratie – das Prinzip von „checks and balances”, sprich der Gewaltenteilung.

USA: Warum die Wahlkreise so wichtig sind

Gewinnt der Kläger, die republikanische Partei in North Carolina, könnten Wahlen künftig wohl überall in Amerika nach Gutdünken der Mehrheitspartei in den Parlamenten der 50 Bundesstaaten geregelt werden. Und zwar ohne, dass das jeweilige Verfassungsgericht Kontrolle ausüben und gegebenenfalls ein Veto einlegen kann.

In den meisten Bundesstaaten geben heute die Republikaner vom Parlament bis zum Gouverneur den Ton an. Im konkreten Fall hatten die Republikaner im „Tar Heel State” North Carolina, wie es alle zehn Jahre nach einem Zensus üblich ist, die Wahlkreise für die Wahlen zum Kongress zu ihren Gunsten zugeschnitten. Dahinter steht die nach dem früheren Gouverneur von Massachusetts, Elbridge Gerry, seit 1812 „gerrymandering” genannte Praxis der beiden großen Parteien, sich ihr Wahlvolk de facto nach Gusto zu schnitzen.

Diesmal aber hatten die Konservativen das Verdichten bzw. Ausdünnen von demokratischen wie republikanischen Wählern in willkürlich gezogenen Wahlkreisen so extrem zur ihrem Vorteil übertrieben, dass das siebenköpfige Oberste Gericht in der Hauptstadt Raleigh einschritt und den Wahlkreis-Schmuh als verfassungwidrig untersagte.

USA: Ex-Richter sieht antidemokratische Kräfte am Werk

Worauf die Republikaner die im rechten Juristen-Milieu gepflegte Theorie der „independent state legislature” bemühten, die kurzerhand das juristische Korrektiv nach solchen politisch-strategischen Hinterzimmer-Exzessen für ungültig erklärt.

Ex-Richter Michael Luttig sieht darin nichts anderes als das strategische Vorgehen antidemokratischer Kräfte, die Verfassung auszuhebeln. Was der Supreme Court voraussichtlich bis zum Frühsommer 2023 entscheiden wird, sei der „wichtigste Fall in der fast 250-jährigen Geschichte der Vereinigten Staaten”, sagt Luttig.

Er ist in heller Aufregung darüber, dass das Oberste Gericht in Washington die Klage überhaupt angenommen hat. Das zeige, dass eine latente Mehrheit dafür existieren könnte, die gerichtliche Überprüfbarkeit von lupenrein parteipolitisch geprägten Wahlprozessen abzuschaffen und den gewählten Volksvertretern geradezu absolute Macht zu verleihen.

Sympathien für den Absolutheitsanspruch der Republikaner

In der dreistündigen Verhandlung am Mittwoch deutete sich eine für den kommenden Frühsommer erwartete sehr kontroverse Entscheidung an. Die konservativen Richter Clarence Thomas, Samuel Alito, Neil Gorsuch und (teilweise) Brett Kavanaugh ließen Sympathien für den Absolutheitsanspruch der Republikaner in North Carolina erkennen.

Die linksliberalen Vertreterinnen Elena Kagan, Sonia Sotomayor und Ketanji Brown Jackson drückten dagegen ihr tiefstes Unbehagen aus. Die Kontrollmöglichkeit von Parlamenten durch Gerichte, so Kagan stellvertretend, sei vor dem Hintergrund diverser Attacken auf die US-Verfassung heute wichtiger denn je.

Bei dieser Konstellation kommt es auf das Abstimmungsverhalten von John Roberts, dem Vorsitzenden Richter am Supreme Court, und von der konservativen Richterin Amy Coney Barret an. Beide ließen in der Anhörung das Bestreben erkennen, einen Mittelweg zu finden, legten sich aber wie erwartet nicht fest. Für Ex-Richter Michael Luttig ist die oben beschriebene Gefahr „nicht gebannt”.

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