Berlin. Sollte Peking sich zur Invasion Taiwans entscheiden, wäre Deutschland erpressbar. Der Wirtschaftsminister möchte das vermeiden.

Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet damit, dass China bis spätestens 2027 annektiert haben wird, dem Gründungsjahr der Volksbefreiungsarmee. Das geht aus einem China-Strategiepapier aus dem Haus von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hervor, über das das Nachrichtenportal "The Pioneer" berichtet.

In dem Dokument geht es eigentlich darum, wie die deutsche Wirtschaft von China unabhängiger gemacht werden kann. Der Minister plane, deutschen Firmen mit starkem China-Geschäft neue Berichtspflichten aufzuerlegen und die politische Unterstützung für deutsch-chinesische Wirtschaftsprojekte herunterzufahren, heißt es da etwa.

Konfliktfall Taiwan: Deutschland wäre erpressbar

Die Abhängigkeit Deutschlands habe in den vergangenen Jahren zugenommen, heißt es in dem Papier. "Während China seine Abhängigkeit verringert, nimmt die wirtschaftliche Bedeutung Chinas für die EU und Deutschland weiter zu." Das Erpressungspotential Deutschlands sei angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen hoch.

Das Ministerium schlägt laut dem Strategiepapier als Gegenmaßnahme unter anderem vor, den Fokus auf "alternative Zukunftsmärkte wie Asien-Pazifik, Lateinamerika und Afrika sowie eine Neufassung der Außenwirtschaftsförderung" zu legen. Deutsche Investitionen in chinesische Firmen sollten stärker geprüft werden und spätestens ab 2023 keine Entwicklungskredite mehr an China vergeben werden.

Auf EU-Ebene müssten Freihandelsabkommen mit dem Asien-Pazifik-Raum vorangetrieben und eine eigene Verarbeitungs- und Veredelungskapazität in Europa aufgebaut werden, hieß es weiter. In der Bundesregierung ist das hundertseitige Dokument bisher nicht abgestimmt. Habeck habe es diese Woche jedoch in einer Leitungsrunde angenommen und eine zügige Umsetzung der Maßnahmen versprochen.

Ein Militärstützpunkt Taiwans, nur wenige Kilometer von Festland-China entfernt. Der Konflikt um die Insel verschärft sich.
Ein Militärstützpunkt Taiwans, nur wenige Kilometer von Festland-China entfernt. Der Konflikt um die Insel verschärft sich. © Sam Yeh / AFP

Schlechte Stimmung zwischen Washington und Peking

Die Zeit drängt, denn der Konflikt um die Inselrepublik verschärft sich zusehends. Washington und Peking befinden sich "in einem eskalierenden Schlagabtausch von provokativen militärischen und diplomatischen Aktionen rund um Taiwan – und in beiden Hauptstädten wächst das Gefühl, dass ein Krieg um Taiwan unvermeidlich sein könnte", warnte etwa das Politik-Magazin "The Nation".

Das Pentagon geht davon aus, dass China weiterhin den militärischen Druck erhöhen werde, um Taiwan zur Wiedervereinigung zu zwingen. Lesen Sie dazu: Taiwan: Ein China, zwei Staaten – wie der Konflikt begann

Seit dem Besuch der ehemaligen Mehrheitsführerin im Kongress, Nancy Pelosi, in Taipeh, hält Peking seine Luftwaffe und Marine bereit und den Druck aufrecht. US-Präsident Joe Biden, kein Freund von Pelosis Besuch, sagte Taiwan im Angriffsfall militärische Unterstützung zu. Eine eklantante Abweichung von der bewussten Zweideutigkeit, mit der Washington sonst in der Taiwan-Frage agiert.

Um die Verwirrung – bewusst? – perfekt zu machen, ruderte das Weiße Haus wieder zurück und versuchte, Bidens Aussagen einzufangen: An der China-Politik der USA habe sich nichts geändert.

Offenbar um die Gemüter abzukühlen, gab sich Biden jüngst überzeugt, dass die Drohgebärden Chinas zumindest nicht auf einen "unmittelbar bevorstehenden" Versuch zur Invasion Taiwans hindeuteten. Nach Gesprächen auf dem G20-Gipfel zwischen dem US-Präsidenten und Chinas Xi Jingping sollen nun diplomatische Bemühungen wieder in den Vordergrund rücken.

Xi Jinping und Joe Biden geben sich am Rande des G20-Gipfels die Hand.
Xi Jinping und Joe Biden geben sich am Rande des G20-Gipfels die Hand. © Alex Brandon/AP/dpa

Ein bisschen Zeit bleibt noch

Immerhin: Das militärische Risiko für eine Invasion Taiwans gilt als hoch, zu hoch, als dass sich Peking im Moment in so ein Abenteuer stürzen würde. US-Stabschef Mark Milley hält eine Invasion der hoch gerüsteten, dicht bevölkerten und bergigen Insel für eine "sehr schwierige Operation".

Dafür ist die – nicht kampferprobte – Volksbefreiungsarmee aus seiner Sicht nicht vorbereitet: "Ich denke, es wird einige Zeit dauern, bis die Chinesen die militärischen Fähigkeiten haben und bereit sind, es zu tun."

Wenn Xi Jinping Kosten, Nutzen und Risiken abwäge, würde er zu dem Schluss kommen, dass ein Angriff auf Taiwan "ein übermäßiges Risiko" darstellen und in einem "Debakel für Chinas Militär" enden würde, sagte Milley. "Es würde ihren chinesischen Traum umwerfen, die Nummer eins als militärische und wirtschaftliche Macht zu sein."

Ein geopolitischer und strategischer Fehler – ähnlich wie der, den Russlands Präsident Wladimir Putin begangen habe, sagte Milley: "Es gibt viele Lektionen aus dem Krieg in der Ukraine zu lernen." (pcl/mit AFP und dpa)

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.