Berlin. Im Atomstreit der Ampel-Koalition hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein Machtwort gesprochen: Alle drei AKW sollen bis April laufen.

Nach wochenlangem Ringen innerhalb der Ampel-Koalition hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Lösung im Streit um die Atomkraft vorgegeben. Am Montagabend verschickte das Kanzleramt einen Brief, der es in sich hatte: Nicht nur zwei, sondern alle drei der noch laufenden Kernkraftwerke sollen bis zum 15. April weiterbetrieben werden.

Neben den beiden süddeutschen AKW Isar 2 und Neckarwestheim 2 bedeutet das den befristeten Weiterbetrieb des Meilers Emsland. Es ist ein Machtwort des Kanzlers, auf das viele lange gewartet hatten.

Atomkraftwerke: Machtwort legt Koalitionsstreit bei

Scholz schrieb weiter, "parallel zu dieser Entscheidung" solle ein ehrgeiziges Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz vorgelegt werden. Zudem solle die politische Verständigung der Wirtschaftsministerien im Bund und Nordrhein-Westfalen mit dem Energiekonzern RWE zum Kohleausstieg im Rheinischen Revier "gesetzgeberisch umgesetzt" werden. Die Vereinbarung dazu sieht unter anderem vor, zwei Braunkohlekraftwerke länger laufen zu lassen, bis 2024, aber den Kohleausstieg im Rheinischen Revier um acht Jahre auf 2030 vorzuziehen.

Scholz bezog sich in seinem Schreiben an Finanzminister Christian Lindner (FDP), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ausdrücklich auf seine Richtlinienkompetenz: Im Gesetz heißt es dazu: "Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der inneren und äußeren Politik. Diese sind für die Bundesminister verbindlich und von ihnen in ihrem Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung zu verwirklichen. In Zweifelsfällen ist die Entscheidung des Bundeskanzlers einzuholen."

Und weiter: „Der Bundeskanzler hat das Recht und die Pflicht, auf die Durchführung der Richtlinien zu achten.“ Mit anderen Worten: Scholz hat die Reißleine gezogen. Der Kanzler hat den Streit mit einem Donnerschlag beendet. Er kommt damit der FDP entgegen und mutet den Grünen viel zu.

Streit eskalierte Ende September

FDP-Chef Lindner begrüßte Scholz’ Entscheidung. „Es ist im vitalen Interesse unseres Landes und seiner Wirtschaft, dass wir in diesem Winter alle Kapazitäten der Energieerzeugung erhalten. Der Bundeskanzler hat nun Klarheit geschaffen“, teilte Lindner mit.

In den Tagen zuvor hatte die Koalition ein schlechtes Bild abgegeben: Krisentreffen ohne Ergebnis., Krisentreffen, die angekündigt und wieder abgeblasen werden. Verwirrung, Ratlosigkeit und Zeitdruck: Der AKW-Streit zwischen FDP und Grünen, zwischen Finanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Habeck, drohte in einer Endlosschleife zu verfangen.

Seit Wochen hatten Lindner und Habeck um die AKW-Laufzeiten gerungen, der akute Streit eskalierte Ende September, an einem Donnerstagnachmittag im Kanzleramt: SPD, Grüne und FDP verkündeten den "Doppelwumms", den 200 Milliarden schweren Abwehrschirm in der Energiekrise.

Kanzler Olaf Scholz (Mitte) im Gespräch mit Vizekanzler Robert Habeck (links) und Finanzminister Christian Lindner (rechts).
Kanzler Olaf Scholz (Mitte) im Gespräch mit Vizekanzler Robert Habeck (links) und Finanzminister Christian Lindner (rechts). © dpa | Michael Kappeler

In ihrem Einigungspapier fixierte die Koalition gleichzeitig ihre vermeintlich gemeinsame Haltung in der AKW-Frage: "Wir schaffen außerdem jetzt die Möglichkeit, die süddeutschen Atomkraftwerke bis zum Frühjahr 2023 laufen zu lassen." Lindner allerdings erklärte noch während der anschließenden Pressekonferenz, das reiche nicht. „Wir brauchen alle Kernkraftwerke, auch bis 2024. Das hat sich auch nicht verändert.“ Zum Doppelwumms kam die Kampfansage an die Grünen.

Was folgte, war eine weitere Verhärtung der Fronten innerhalb der Ampel: Die FDP setzte im Niedersachsen-Wahlkampf auf eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten bis 2024 und flog neun Tage später krachend aus dem Landtag. Am Montag nach der Niederlage erklärte Lindner, er werde jetzt das Profil seiner Partei in der Koalition weiter schärfen – inklusive der AKW-Forderung.

Wenn zwei sich streiten, entscheidet der Dritte

Eine Woche später legten die Grünen nach. Bei ihrem Parteitag in Bonn setzten sie Wirtschaftsminister Robert Habeck klare Grenzen: Zwei süddeutsche Kraftwerke können bis zum 15. April 2023 am Netz bleiben. Keine neuen Brennstäbe, keine weitere Laufzeitverlängerung. Punkt.

Der Parteitag ging bis Sonntagnachmittag, Habeck war da schon wieder unterwegs, um sich mit Lindner und Scholz zur Krisensitzung zu treffen. Es dauerte nicht lange, dann gingen die drei wieder auseinander. Offenbar ohne Lösung. Am nächsten Tag, so hieß es, werde man sich wieder treffen.

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Entsprechend optimistisch zeigte sich FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai noch am Montagvormittag. Er gehe von einer raschen Einigung aus. Schon weil die Zeit dränge: "Wir müssen spätestens Dienstag ein Ergebnis haben." Auch deshalb, weil Gesetze geändert werden müssen, damit der Betrieb der noch laufenden AKW nicht automatisch zum 31. Dezember endet. Am Mittag dann die Absage: Es werde kein Treffen geben, die drei Partner hätten sich eine Denkpause verordnet, hieß es. Am Abend dann das Machtwort des Kanzlers.

Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks Isar 2.
Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks Isar 2. © dpa | Armin Weigel

Wenn zwei sich streiten, entscheidet der Dritte. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte Olaf Scholz bereits am Wochenende zu einem Machtwort aufgerufen. Mittels seiner Richtlinienkompetenz müsse der Kanzler "die beiden Streithähne zur Ordnung rufen", forderte der CSU-Politiker.

Scholz Schritt sieht aus wie die Rückkehr der "Basta"-Politik – also zu einem ganz anderen Stil, als der SPD-Mann den Ampel-Partnern zu Beginn ihrer Partnerschaft versprochen hatte. Dass der Kanzler nun mit der Faust auf den Tisch haut, dürfte ihm nicht leichtgefallen sein. Scholz will moderieren, nicht über Köpfe hinweg entscheiden. In der SPD wird dies als eine große Stärke des Kanzlers beschrieben. Kritiker sehen darin Führungsschwäche. Das dürfte sich nun in neuem Licht zeigen.

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de