London. Die britische Premierministerin hat ihren Finanzminister geschasst und ihren Steuersenkungsplan verworfen. Ihre Position sieht wacklig aus.

Mit quietschenden Reifen vollzog Liz Truss am Freitag Mittag eine dramatische Kehrtwende. Sie schasste ihren Schatzkanzler Kwasi Kwarteng, ihren engsten Verbündeten, nach weniger als sechs Wochen. Auch ließ sie dessen Plan fallen, die Körperschafssteuer auf dem Satz von 19 zu belassen – er wird stattdessen auf 25 Prozent steigen, wie es Kwartengs Vorgänger geplant hatte. Damit liegt die wirtschaftspolitische Strategie, mit dem die Premierministerin Anfang September angetreten ist, in Scherben.

Truss' Plan ging weiter, als die Märkte erwartet hatten

In einer überaus kurzen Pressekonferenz am Freitag Nachmittag gestand Truss ein, dass ihr Haushaltsplan vor drei Wochen "weiter ging", als es die Märkte erwartet hatten. Mit ihrer 180-Grad-Drehung bei der Körperschaftssteuer wolle sie signalisieren, wie wichtig ihr fiskale Disziplin ist. Sie äußerte auch Bedauern, ihren "guten Freund" Kwarteng zu verlieren, sagte sie. Als Nachfolger im Schatzamt ernannte sie den ehemaligen Gesundheitsminister Jeremy Hunt – einen Vertreter des moderaten Tory-Flügels. Lesen Sie hier: Großbritannien: Darum ist Liz Truss unbeliebter als Boris Johnson

Aber die Probleme für Truss sind keineswegs vorbei. Nach wochenlangem Chaos in der Regierung sind immer mehr Tory-Abgeordnete am Rand der Verzweiflung. Truss sagte zwar am Freitag, dass die "Herstellung von Stabilität" ihre erste Priorität sei. Aber angesichts der zahlreichen Kehrtwenden und Fehltritte der vergangenen Wochen zweifeln viele ihrer Kollegen, ob ihr dies gelingen wird. Immer mehr sind der Überzeugung, dass die Premierministerin selbst das Handtuch schmeißen sollte.

Nach dem Haushaltsplan flog nun auch der Finanzminister

Die Kehrtwende vom Freitag war in den letzten Tagen immer unausweichlicher geworden. Von allen Seiten war Truss unter wachsendem Druck, den höchst kontroversen Haushaltsplan, den Kwarteng vor drei Wochen vorgestellt hatte, über Bord zu werfen. Die darin enthaltenen Steuersenkungen rissen ein tiefes Loch in die Staatsfinanzen und sorgten auf den Finanzmärkten für heftige Turbulenzen. Das Pfund stürzte ab und die Zinsen für britische Staatsanleihen schossen in die Höhe. Die Bank of England sah sich gezwungen, mit Anleihekäufen zu intervenieren, womit sie die Situation zeitweise entspannen konnte.

Aber die Krise war noch nicht ausgesessen. Es wurde immer offensichtlicher, dass der gesamte Plan in den Sand gesetzt werden müsste, um das Vertrauen der Märkte wiederherzustellen. Dies hat Truss nun getan – und mitsamt dem Haushaltsplan hat sie auch ihren Finanzminister rausgeschmissen. Auch interessant: Großbritannien: Fulminanter Fehlstart - Liz Truss tut sich schwer

Aber aus dem Schneider ist sie damit noch lange nicht. Denn ihr wichtigstes Projekt war genau die libertäre Wirtschaftspolitik, die der Haushaltsplan vorgab: die Verschlankung des Staates und die Senkung der Steuern. Ihr langjähriger Freund und Gesinnungsgenosse Kwarteng hat also im Prinzip das ausgeführt, was Truss wollte – in ihrem Brief an Kwarteng, in dem die Premierministerin seinen Rücktritt akzeptiert, schreib sie explizit: "Wir teilen dieselbe Vision." Entsprechend schwierig ist es für Truss, sich von diesem Programm zu distanzieren.

Forderungen nach Truss' Rücktritt werden immer lauter

Viele Tory-Abgeordnete sind dann auch zur Überzeugung gekommen, dass nur ein vollständiger Regierungswechsel dem Schlamassel ein Ende bereiten kann. Die Gerüchte über einen bevorstehenden Putschversuch haben sich am Freitag intensiviert: Manche "hochrangigen Tories", so berichten britische Medien, könnten schon nächste Woche offen den Rücktritt von Truss fordern. "Liz Truss hat den Tory-Führungskampf aufgrund des Steuersenkungsprogramms gewonnen", sagte ein anonymer Abgeordneter gegenüber der BBC. "Es ist absurd, wenn sie jetzt versucht, die Schuld Kwasi [Kwarteng] in die Schuhe zu schieben."

Ein Blick in die Meinungsumfragen dürfte die Entschlossenheit der Truss-Kritiker stärken: Die Tories sind im freien Fall. Seit ihrem Antritt als Regierungschefin hat die Labour-Partei ihren Vorsprung laufend vergrößert, in einer neuen Erhebung vom Donnerstag liegt Labour 28 Prozentpunkte vor der Regierungspartei. Würden jetzt Neuwahlen ausgerufen, könnte Labour die Tories plattmachen.

Auch denkt eine deutliche Mehrheit der Briten, dass Labour-Chef Keir Starmer einen besseren Premierminister abgeben würde als Truss. Meinungsforscher John Curtice sagte gegenüber der BBC: "Liz Truss hat zwei Probleme. Das erste ist, dass sie nicht wirklich beliebt ist: Sie hat keine Persönlichkeit, für die sich die Öffentlichkeit erwärmt. Das zweite ist, dass sie als inkompetent erachtet wird."

Mit ihrer knappen Pressekonferenz am Freitag machte sie sich ebenfalls keine neuen Freunde. Sie brachte keine Entschuldigung über die Lippen, auf Nachfragen über ihre politische Zukunft reagierte sie roboterartig, und nach vier Fragen von Journalisten war schon Schluss – sehr zur Verblüffung der versammelten Presse. Es war nicht jene Demonstration der Kompetenz, die ihre Anhänger in Westminster sich erhofft hatten.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.