Berlin . Nach der Kritik von Amnesty an der ukrainischen Kriegsführung schlagen die Wellen hoch. Nun bedauern die Menschenrechtler den Schmerz.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) hat sich für ihre Kritik an der ukrainischen Kriegsführung gerechtfertigt. Zwar stehe sie zu ihren Erkenntnissen, dass das ukrainische Militär Zivilisten unnötig in Gefahr gebracht hätte. Dies rechtfertige aber nicht die russischen Kriegsverbrechen. „Russland ist allein für die Übergriffe verantwortlich, die es gegenüber ukrainischen Zivilisten begangen hat“.

Seit dem Bericht schlagen die Wellen hoch. Erst wies Präsident Wolodymyr Selenskyj die Kritik vehement zurück, dann folgte der Rücktritt die Leiterin des Ukraine-Büros von AI, Oksana Pokaltschuk. Sie beschuldigte Amnesty, russische Propaganda zu übernehmen. Nun bedauert Amnesty "den Schmerz", den man ausgelöst habe.

Amnesty hatte der der Ukraine Verstöße gegen das Kriegsrecht vorgeworfen. Ihre Soldaten sollen Zivilisten in Gefahr gebracht haben, weil sie in Wohngebieten Stützpunkte errichteten. Auch in Schulen und Krankenhäusern sollen sie ihre Lager aufgeschlagen haben. In einer anderen Stadt feuerten sie aus der Nähe eines Krankenhauses.

Ukraine-Podcast mit Jan Jessen: So fühlt sich Krieg an

Ukraine-Krieg: Wirbel im Netz nach Kritik von Amnesty

Auf Twitter beklagte AI, "solche Taktiken verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht." Viele User empörten sich darüber. "Gut gemacht", heißt es ironisch in einem Tweet, "Putin dankt ihnen für den russischen Propagandasieg."

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Generalsekretärin Agnès S. Callamard erklärte, "eine Verteidigungsposition befreit das ukrainische Militär nicht von der Einhaltung des humanitären Völkerrechts“. AI hat nach eigenen Angaben zwischen April und Juli wochenlang russische Angriffe auf Charkiw, Mykolajiw und im gesamten Donbass untersucht. AI-Experten inspizierten Angriffsorte, befragten Überlebende, Zeugen sowie Angehörige von Opfern und analysierten die eingesetzen Waffen.

Ukraine-Krieg: Militärbasen in Wohngebieten

Dabei fand Amnesty Beweise dafür, dass ukrainische Streitkräfte in 19 Städten und Dörfern von Wohngebieten aus Angriffe starteten. Das könne man auch mit Satellitenbildern untermauern.

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Die meisten Wohngebiete, in denen sich die Soldaten aufhielten, seien meilenweit von den Frontlinien entfernt gewesen. "Es gab praktikable Alternativen, die Zivilisten nicht gefährdet hätten." In den dokumentierten Fällen sei Amnesty nicht bekannt, dass das ukrainische Militär Zivilisten aufgefordert oder ihnen geholfen hat, nahe gelegene Gebäude zu evakuieren.

Ukraine wertet Kritik als Werk russischer Einflussagenten

Die Mutter eines 50-jährigen Mannes, der am 10. Juni bei einem Raketenangriff in einem Dorf südlich von Mykolajiw getötet wurde, erinnert sich, „das Militär wohnte in einem Haus neben unserem Haus und mein Sohn brachte den Soldaten oft Essen. Ich bat ihn mehrmals, sich von dort fernzuhalten, weil ich um seine Sicherheit fürchtete". Am Tag des Angriffs war ihr Sohn im Hof ​, "er wurde auf der Stelle getötet."

Beileibe kein Einzelfall, wie ein Beispiel aus Bakhmut zeigt. Im Mai schlug dort eine russische Rakete ein, fünf Wohnungen wurden zerstört und benachbarte Gebäude beschädigt. Amnesty International fand Anzeichen für Präsenz des Militärs in und außerhalb des Gebäudes: Sandsäcke und schwarze Plastikplanen, die die Fenster abdeckten, sowie neue, in den USA hergestellte Erste-Hilfe-Ausrüstung.

Ukrainische Menschenrechtler: Amnesty "manipulativ"

Die Kritik hatte im Westen Irritationen ausgelöst. Seit Beginn des Ukraine-Krieges sind die Sympathien klar verteilt: Für das Opfer des Angriffskriegs – gegen den Aggressor. Russland und Kremlchef Wladimir Putin stehen am Pranger.

In Kiew twitterte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak, dass immer wieder Bewohner aus frontnahen Städten evakuiert würden – eben weil das Leben der Zivilbevölkerung für die Ukraine Priorität habe. Erst in der letzten Woche hatte Selenskyj dazu aufgerufen, den Donbass zu verlassen. "Im Donbass sind Hunderttausende Menschen, Zehntausende Kinder, viele lehnen es ab zu gehen", sagte er in einer Videoansprache und appellierte, "bitte, folgen Sie der Evakuierung." Je mehr Menschen aus dem Donezker Gebiet gingen, desto weniger Leute könnte die russische Armee töten.

Podoljak erklärte, Moskau versuche mithilfe seines Netzwerks an Einflussagenten, die ukrainische Armee in den Augen der westlichen Gesellschaften zu diskreditieren und den Nachschub an Waffen zu stören. "Es ist eine Schande, dass sich eine Organisation wie Amnesty an dieser Desinformations- und Propagandakampagne beteiligt."

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Scharfe Kritik an der Ukraine kam auch vom früheren Direktor der Böll-Stiftung in Kiew, Sergej Sumlenny. Die Organisation ignoriere, dass die ukrainische Armee in vielen Fällen "unter größter Gefahr" Zivilisten evakuiere, dass die Ukrainer vollkommen in der Unterzahl seien und Russland ganze Städte ausradiere. Der Präsident der ukrainischen Menschenrechtsorganisation Helsinki Group, Olexandr Pavlychenko, nannte den Amnesty-Bericht "manipulativ".

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Dieser Artikel erschien zuerst auf www.morgenpost.de