Berlin. Die Grünen haben Ricarda Lang und Omid Nouripour zu ihren neuen Parteivorsitzenden gewählt. Ein Konflikt mit der SPD ist angelegt.

Für das bisher wichtigste Amt in ihrem Leben bewarb sich Ricarda Lang per Livestream aus dem Zimmer ihres Mitbewohners. Eigentlich hätte die 28-Jährige beim Parteitag der Grünen im Berliner Velodrom auf der Bühne stehen wollen, um um die Stimmen der Delegierten zu werben. Daraus wurde nichts, ein positiver PCR-Test hatte die Pläne durchkreuzt.

Doch auch über den Bildschirm war Lang die Rührung anzumerken, als klar war, dass sie es geschafft hat: 75,9 Prozent der Stimmen ohne Gegenkandidatur. Kein Ergebnis, das von Begeisterung spricht, doch es reicht – am Sonnabendnachmittag war Ricarda Lang die neue Parteichefin der Grünen. In ihrer Bewerbungsrede hatte sie dafür geworben, die Verbindung von Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit zu einem Kernthema der Partei zu machen: „Gerechtigkeit kann es ohne Klimaschutz überhaupt nicht geben“, sagte Lang.

Mehr Vertrauensvorschuss bekam ihr neuer Co-Vorsitzender: Omid Nouripour, ebenso wie Lang Abgeordneter im Bundestag, setzte sich gegen zwei Gegenkandidaten durch und erhielt 82,6 Prozent der Stimmen. Beide Wahlen müssen noch schriftlich bestätigt werden. Nouripour erinnerte in seiner Bewerbung an die Zeit der ersten grünen Regierungsbeteiligung, „mit einem Kanzler Schröder, der den ganzen Tag Koch und Kellner spielen wollte“.

In dieser Rollenverteilung, das machte der neue Parteichef klar, sieht die Partei sich dieses Mal nicht mehr. In der sogenannten „K-Frage“ wolle man beim nächsten Mal wieder mitspielen, kündigte er an. Der Konflikt mit dem aktuellen SPD-Kanzler Olaf Scholz ist damit angelegt. Und die neue Grünen-Spitze steht gleich zu Amtsantritt vor der Frage, wie viel Streit sie in den nächsten Jahren suchen wollen – nach außen, aber auch nach innen.

Anlass für innerparteilichen Streit gibt es genug

Anlässe zum Konflikt auch in der Partei gäbe es, das hat der Parteitag gezeigt. Da ist zum einen der Wahlkampf, der den Grünen das beste Bundestagswahlergebnis ihrer Geschichte beschert hat und doch so weit unter den Möglichkeiten blieb, dass es viele Mitglieder immer noch schmerzt. Die scheidende Parteispitze um Annalena Baerbock und Robert Habeck, vollauf beschäftigt mit ihren neuen Ministerämtern, hatte die Aufarbeitung der Fehler und Fehltritte nicht mehr anfangen wollen, die Neuen sollen das nun tun.

Doch nicht alle in der Partei glauben, dass es eine ehrliche Auseinandersetzung in der Parteizentrale geben wird, solange man Gefahr läuft, damit die eigene Außenministerin zu beschädigen.

Der neue grüne Parteichef Omid Nouripour.
Der neue grüne Parteichef Omid Nouripour. © AFP | JOHN MACDOUGALL

Eine Gruppe von Delegierten forderte deshalb eine Kommission, in der auch Personalfragen „kritisch beleuchtet“ werden sollten. Er sei überzeugt, dass die Aufarbeitung nicht untergehen dürfe, sagte am späten Freitagabend Joachim Fuchs, der den entsprechenden Antrag einbrachte. „Und diese Gefahr sehe ich.“

„Als Milieupartei gelandet“ - Kretschmann unzufrieden mit dem Wahlkampf

Vorher hatte schon der Baden-Württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann seine Partei unsanft an die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit erinnert. „Wir sind als Bündnispartei gestartet und als Milieupartei gelandet“, sagte er in einer Videobotschaft.

Auch die Corona-Boni, die der Bundesvorstand 2020 nicht nur den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle, sondern auch sich selbst ausgezahlt hatte und die jetzt staatsanwaltliche Ermittlungen ausgelöst haben, sorgten an der Basis für Unmut. Wie viel Schaden der Vorgang angerichtet habe, lasse sich nicht bewerten, solange das Verfahren noch läuft, sagte die Delegierte Martina Lilla-Oblong. Den Vorstand in Haushaltsfragen noch nicht zu entlasten, wäre „das deutliche Signal, dass wir als Partei, wir als Delegierte uns nicht so leicht beschwichtigen lassen“.

Doch dieses Signal blieb aus, den Eklat provozieren wollten die Delegierten am Wochenende nicht – der Antrag zur Aufarbeitung des Wahlkampfs wurde abgelehnt, der scheidende Vorstand trotz des Ärgers um die Boni wurde in Sachen Haushaltsführung entlastet.

„Heute kann ich besser kochen als Lars Klingbeil und Friedrich Merz“

Die Energie für Konflikte will sich die Partei lieber für Auseinandersetzungen mit FDP und SPD sparen, die gleichzeitig Koalitionspartner und Konkurrenten sind. Dass man das Verkehrsministerium in den Koalitionsverhandlungen nicht bekommen hat – auch das ein Quell für Frust bei vielen Grünen – heiße nicht, dass man diesen Bereich aufgebe, „sondern dass die Partei dort ganz besonders hinschaut“, sagte Lang – und schlug vor, im Sommer einen Verkehrskongress zu veranstalten.

Unterstützung bei ihrer neuen Aufgabe bekommen sie und Nouripour von einer neuen Bundesgeschäftsführerin. Nach acht Jahren, in denen Michael Kellner die Rolle hatte, die bei anderen Parteien Generalsekretär heißt, ist der Brandenburger mit Robert Habeck ins Wirtschafts- und Klimaministerium gegangen.

Auf ihn folgt Emily Büning. Die Hamburgerin war lange Organisatorische Geschäftsführerin der Partei und kennt die Strukturen gut. Jetzt soll sie sie neu aufstellen und sicherstellen, dass die organisatorischen Fehler des letzten Wahlkampfs sich nicht wiederholen.

Er habe als Student gekellnert, schloss Nouripour seine Rede. „Heute kann ich besser kochen als Lars Klingbeil und Friedrich Merz.“ Merz ist Parteichef der größten Oppositionspartei CDU. Und Klingbeil ist Chef beim Koalitionspartner SPD.