Im dritten Anlauf hat es für Merz geklappt. Doch die Aufgabe für den neuen CDU-Chef ist groß, meint unsere Autorin Miriam Hollstein.

„Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“ heißt ein Schlagerklassiker von Udo Jürgens aus dem Jahr 1977. Am Freitag hat dieses Lied eine politische Neuinterpretation erlebt. Mit 66 Jahren fängt für Friedrich Merz nicht der Ruhestand, sondern die Führung der CDU an. Bei der ersten Mitgliederbefragung über den Vorsitz wählten ihn über 62 Prozent der Wähler zum neuen Parteichef.

Für Merz ist es ein sensationeller Triumph – und ein Moment der späten Rache. 2002 verlor er nach nur zwei Jahren den Fraktionsvorsitz, weil Angela Merkel ihn ausgebootet hatte. Das hat er ihr nie vergessen. 2009 verließ er die Politik ganz. Als Merkel 2018 so unter Druck geriet, dass sie den Parteivorsitz abgab, war Merz plötzlich wieder da.

Obwohl er fast zehn Jahre lang weggewesen war, kandidierte er das erste Mal für den Vorsitz und wurde nur knapp von Annegret Kramp-Karrenbauer geschlagen. Als diese scheiterte, trat er erneut an, verlor damals gegen Armin Laschet.

Jeder andere hätte aufgegeben. Nicht so Merz, dem es an einem nie gemangelt hat: Selbstbewusstsein. Ein drittes Mal trat er an mit der Begründung, diesmal würden die Mitglieder entscheiden und nicht das Partei-Establishment.

Bitterer Beigeschmack für Angela Merkel

Der deutliche Sieg gibt ihm recht: Zwischen den zum großen Teil aus Parteifunktionären und -funktionärinnen bestehenden Parteitagsdelegierten und der Basis besteht ein klarer Unterschied. Mögen viele aus der bisherigen Führung Merz für zu rückwärtsgewandt und selbstbezogen halten: Die Mitglieder sehnen sich wieder nach einem konservativeren Profil und einem markigeren Auftritt.

Für Angela Merkel dürfte der Freitag einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Dass die Union die Bundestagswahl verloren hat, ließ sich noch dem schlechten Wahlkampf ihres Nachfolgers Armin Laschet zuschreiben. Aber mit der Entscheidung für Merz als Parteichef kehrt die CDU vom moderaten Kurs der einstigen Parteichefin ab. Da verwundert es wenig, dass vor allem jene Konservativen am Freitag lautstark triumphierten, die Merkel stets eine „Sozialdemokratisierung“ vorgeworfen hatten.

Der Sieg ihres Intimfeindes markiert das wirkliche Ende der Ära Merkel. Doch für Friedrich Merz hat die eigentliche Herausforderung erst begonnen. Nun kann er nicht mehr nur Projektionsfläche für alle konservativen Sehnsüchte sein. Jetzt muss er liefern. Er muss nicht nur die zerstrittenen Lager einen, sondern auch CSU-Chef Markus Söder zum Schulterschluss bewegen – beides Aufgaben, an denen Laschet ziemlich kläglich gescheitert ist. Vor allem aber muss er die CDU als starke Oppositionskraft profilieren.

Merz muss die AfD im Auge behalten

Der erste Konflikt ist dabei bereits programmiert: Merz will auch den Fraktionsvorsitz übernehmen. Doch der amtierende Fraktionschef Ralph Brinkhaus wird ihm diesen nicht kampflos überlassen. Außerdem stehen für 2022 vier Landtagswahlen auf der Agenda. Die wichtigste davon ist für Merz sein Heimatland Nordrhein-Westfalen: Verliert die CDU hier die Macht, wird das auch ihm angelastet werden.

Bei alldem muss Merz auch immer die AfD im Auge behalten, die versuchen wird, ihn zu treiben. Er wolle die AfD halbieren, hatte Merz angekündigt. Nun muss er beweisen, dass er das kann, ohne den liberalen Teil seiner Partei zu verlieren.

Weitet man die Perspektive, so geht das Jahr 2021 mit zwei großen politischen Botschaften zu Ende: 1. Selbst wenn niemand mehr an dich glaubt, kannst du am Ende immer noch Kanzler werden (Olaf Scholz). 2. Auch nach zweimaligen Scheitern lohnt sich ein dritter Versuch. Manchmal erreicht man so ein Ziel, von dem man ein halbes Leben lang geträumt hat. Wie Friedrich Merz.