Berlin. Das Auftauchen der Corona-Variante Omikron ist ein Schock für das deutsche Krisenmanagement. Warum eigentlich, fragt sich unser Autor.

Omikron ist wie ein Nachbeben: eine zusätzliche Erschütterung und Verunsicherung. Mit der Corona-Variante könnte die Pandemie komplizierter werden. Vieles ist noch spekulativ. Viren mutieren. Das ist normal und kein Grund zur Panik.

Ein ungutes Zeichen ist Omikron indes allemal. Die neue Variante zirkuliert wohl seit Wochen in Südafrika. Ihr blieb Zeit, eine Weltreise anzutreten. Wir werden uns nicht abschotten können. Sollte Omikron also ansteckender als alle bisherigen Varianten von Sars-CoV-2 sein, bleibt uns diese Prüfung kaum erspart.

Vorausschauend ist die deutsche Corona-Politik selten

Der Ursprung von Omikron wird im südlichen Afrika vermutet, von Delta wiederum in Indien. Das führt uns eine Wahrheit vor Augen, die oft verdrängt wird: Solange große Teile der Weltbevölkerung ungeimpft bleiben, kann das Virus mutieren – und damit ist die Gefahr groß, dass die Wirkung von Vakzinen darunter leidet. In Afrika sind nur sieben Prozent der 1,2 Milliarden und in Indien 31 Prozent der 1,4 Milliarden Menschen vollständig geimpft. Die Vorstellung, dass sich allein die Reichen schützen, ist unrealistisch.

Milliarden Menschen würden bereitwillig Stunden anstehen, um sich impfen zu lassen, und auch nicht die Nase rümpfen, wenn es Moderna und kein Biontech gäbe. Manche Klagen dieser Tage sind einfach nur bizarr.

Die meisten von uns sind es aber leid, dass die Rückkehr zur Normalität immer wieder aufgeschoben werden muss. Das hat auch etwas mit dem Verlust an Gewissheiten zu tun und führt zu zwei politischen Fragen: nach Verlässlichkeit und vorausschauendem Handeln.

Vierte Corona-Welle: Wiederholt die Politik ihre Fehler?

Am Anfang hieß es, die Schutzwirkung von Masken sei nicht nachgewiesen. Wenig später war ihr Tragen erste Bürgerpflicht. Erst hieß es, mit der Impfung komme die Freiheit zurück; dann, dass wir mit dem Boostern geschützt wären. Und jetzt gehen die Israelis schon die vierte Impfung an. Wir lernen: nach dem Boostern ist vor dem Boostern.

Noch im Spätsommer war von der Pandemie der Ungeimpften die Rede, jetzt steigen die Inzidenzen überall, auch in Staaten mit hohen Impfquoten. Impfen schützt offenkundig vor schweren Krankheitsverläufen, aber schafft das Virus womöglich nicht aus der Welt. Die Menschheit hat Viren zumeist eher ertragen als besiegt.

Miguel Sanches, Politik-Korrespondent der Funke Mediengruppe
Miguel Sanches, Politik-Korrespondent der Funke Mediengruppe © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Es wäre schon schön, wenn die Politik getan hätte, was in ihrer Macht stand: vorausschauend zu handeln. Zeugt es von Weitsicht, Impfzentren zu schließen, die man einige Monate später wieder öffnen muss? Was soll man davon halten, dass erste Bundesländer wie Niedersachsen und Brandenburg Lieferengpässe bei den Vakzinen beklagen? Sind sie wirklich unvermeidlich oder wiederholt die Politik Fehler?

Corona: Die Ampel-Koalition verliert beim Krisenmanagement Zeit

Verheerend ist der Eindruck, dass die Ampel-Parteien die Ruhe weg haben und abwarten wollen, bis sie in der Regierung sind und einen Krisenstab eingerichtet haben – irgendwann Mitte Dezember. Was sagte der designierte Kanzler Olaf Scholz am Tag, als die Akademie der Wissenschaften strengste Kontaktauflagen empfahl und einer Impfpflicht das Wort redete? Es gebe nichts, was nicht in Betracht gezogen werde. Er hätte besser sagen sollen, was er für richtig hält.

Man hat den Eindruck, dass Karl Lauterbach der einzige Politiker aus dem Ampel-Lager ist, der sich überhaupt um Erklärungen bemüht. Was den Verdacht nahelegt, dass der Mann nicht Scholz-kompatibel ist und schon deswegen nicht Gesundheitsminister werden darf. Es gibt in der Ampel öffentliche und Vier-Augen-Wahrheiten zum Infektionsschutz. Zur letzten Kategorie gehört, dass die drei Parteien wissen, dass sie beim Krisenmanagement Zeit verloren haben. Sie können es nur nicht zugeben.