Berlin/Frankfurt a. M. Ihr Bundeskongress ist ein erster Stimmungstest nach dem Koalitionsvertrag. Die Jusos machen dem künftigen Kanzler Scholz kaum Ärger.

„Olaf, bitte sag uns, was passieren soll“, setzt Anna Tanzer an, „bist Du für eine allgemeine Impfpflicht?“ Olaf Scholz wird die Bitten und Fragen der Juso-Vorsitzenden aus Bayern überhören. Mit keinem Wort geht der designierte Kanzler vor dem Juso-Bundeskongress an diesem Sonnabend in Frankfurt am Main auf die Frage einer Impfpflicht ein.

Am Rande des Kongresses in der Wolfgang-Steubing-Halle (wegen Corona eine Hybrid-Veranstaltung) sprach er von „wieder neuen dramatische Herausforderungen“ und versicherte, alles zu tun, was getan werden muss. Es gebe nichts, was nicht in Betracht genommen werde. Ehrgeiziges Ziel sei jetzt, dass alle Betreffenden eine Booster-Impfung bekämen.

Corona: Juso-Chefin fordert Impfpflicht

Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal hatte sich am Vorabend für eine Impfpflicht ausgesprochen. „Ausschließlich kann man eigentlich gar nichts“, entfuhr es SPD-Chefin Saskia Esken.

Ihr designierter Co-Vorsitzender Lars Klingbeil erklärte zum ersten Corona-Maßnahmenpaket, „wenn wir sehen, dass das nicht funktioniert, dann muss die Politik umsteuern. Da darf es keinen falschen Stolz geben“. Aus den Oppositionsreihen wird Scholz bedrängt, als erstes einen Gesundheitsminister und damit einen Ansprechpartner beim Krisenmanagement zu benennen.

Scholz hat leichtes Spiel

Für ihn war dieser Kongress in erster Linie ein innerparteilicher Stimmungstest – der erste nach dem Koalitionsvertrag. Wenn jemand in der SPD rebellisch werden kann, dann doch traditionell die Jugendorganisation. Scholz hatte leichtes Spiel.

„Olaf, wir freuen uns auf vier Jahre“, ruft die am Vorabend mit 73 Prozent wiedergewählt Juso-Chefin Jessica Rosenthal aus. Der neben ihr auf der Bühne stehende Kanzler in spe wundert sich. „Vier?“

Er spricht von einem „Aufbruch in die 20er Jahre“. Das habe zu tun mit der ganz speziellen Konstellation der drei Parteien, die nun die künftige Regierung bildeten. „Das, glaube ich, kann tragen, weit über das hinaus, was wir gegenwärtig im Blick haben.“

Der Nachwuchs soll sich lieber an der Union abarbeiten

Es könne „eine neue gesellschaftliche Mehrheit“ repräsentiert werden, in der sich eine „Fortschrittskoalition“ versammele. „Das ist eine große Veränderung“, sagte Scholz. „Übrigens gilt das auch für die Union, die ja irgendwie ahnt, dass das möglicherweise etwas ist, das viel langfristiger wirkt, dass in dieser Art und Weise unser Land regiert werden kann.“

Klar wurde, wie Scholz die nächsten Jahre regieren will: Auf die Frage, was er von den Jusos erwarte, sagte er, dass sie „oft begeistert über das Regierungshandeln“ seien – und griemelte vor sich hin. Später bat er, sich nicht allzu kritisch mit den Ampel-Partnern FDP und Grünen auseinanderzusetzen. Es ergebe Sinn, sich mehr mit der CDU zu beschäftigen – „nur ein kleiner Tipp von mir“.

Jusos: Die Jugendorganisation hat viel herausgeholt

Scholz versprach, häufiger das Gespräch mit der Jugendorganisation zu suchen. Das ist schon deswegen glaubhaft, weil er sie schon in den Koalitionsverhandlungen eingebunden und damit in die Verantwortung genommen hat: Zu den Unterhändlern gehörten Rosenthal und ihr Berliner Amtsvorgänger Kevin Kühnert. Der Mann aus Berlin könnte auch noch Bauminister oder SPD-Generalsekretär werden.

Das ist aber nicht der einzige Grund, warum die Jusos sich zurückhalten. Sie haben objektive Gründe zur Selbstzufriedenheit. Zum einen sind 49 der 206 SPD-Abgeordneten im Bundestag unter 35, also im Jusoalter. Für die 29-jährige Juso-Chefin ist es die Chance, „frischen Wind in die Fraktion, aber natürlich in den ganzen Bundestag zu bringen“.

Trotzdem gibt es erste Klagen

Zum anderen haben sie sich auch im Koalitionsvertrag mit FDP und Grünen an vielen Stellen durchgesetzt: Ausbildungsgarantie, mehr Bafög, Cannabis-Legalisierung, Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre, Wegfall des Informationsverbots für Abtreibungen, lauter Forderungen, die mit der Union wohl kaum durchzusetzen gewesen wären.

Die Jusos finden nicht alle ihre Forderungen im Koalitionsvertrag wieder, aber tatsächlich eine "riesige große Menge“ (Rosenthal). Trotzdem gibt es erste Klagen. „Was ist aus dem Mieten-Moratorium geworden?“, fragte der Berliner Landeschef Peter Maaß. Marco Albers aus Hannover störte sich daran, dass die Ampel-Koalition Flüchtlinge zurückführen will: „Meine Stimmung kippt. Ich finde das einfach nur Scheiße.“

Von Kevin Kühnert gab einen Seitenhieb gegen Scholz: „Weil es anscheinender der Tag ist, an dem man hier Tipps geben darf“, wolle er auch eines geben: „Einfach weiter kritisch bleiben." Die Ampel-Partner sollen nicht verschweigen, „dass sie unterschiedliche Parteien sind.“

Ministerposten: Scholz schweigt zur Ressortverteilung

Stephan Schumann aus Sachsen nahm Anstoß an den SPD-Ressorts im Kabinett Scholz, „wir sind der Anker für Sicherheit und Beständigkeit“ – und nicht der Motor des Fortschritts. Melissa Butt aus Thüringen wollte, dass im Kabinett auch Ostdeutschland sichtbar repräsentiert wird.

Scholz ließ sich nicht in die Karten schauen. Keine Andeutung darüber, wie er sein Kabinett besetzen will und beispielsweise, ob Ostdeutsche sich darin wiederfinden werden. Kein Wort auch über die Ressortverteilung, nur so viel: „Es ist nicht wichtig, welches Ressort man hat, ich habe gar keines.“ Es gehe um eine Gesamtleistung, er wolle auch ein bissen werben für „die Annalena, den Robert, den Christian“.