Berlin. Horst Seehofer verlässt nach 50 Jahren die politische Bühne. In einem Interview zeigt er seine Modelleisenbahn – und eine scharfe Zunge.

Unzählige verlorene Direktmandate, ein Viertel der Wählerstimmen dahin: Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte sich seinen Abgang aus der Politik wohl anders vorgestellt. In einem aktuellen Interview mit dem „Spiegel“ tritt der ehemalige CSU-Vorsitzende nun auf, wie einer, der nichts mehr zu verlieren hat – und rechnet mit den Unionsparteien gnadenlos ab.

Ob die Niederlage bei der Bundestagswahl ihm den Abschied von der politischen Bühne zumindest leichter gemacht hätte, wollten die Journalisten von dem 72-Jährigen wissen. „Wie bitte? Muss ich das noch extra sagen? Wenn Sie 32 Jahre lang regiert haben, und dann treten Sie mit so einem Desaster ab?“ Ihn habe das Ergebnis wahnsinnig geärgert, erklärte Seehofer.

Horst Seehofer gibt Interview und präsentiert Modelleisenbahn

Das Gespräch fand in seinem Ferienhaus in Schamhaupten im bayerischen Naturpark Altmühltal statt. Das Haus, in dessen Keller sich Seehofers mittlerweile berühmte Modelleisenbahn befindet. Über diese Leidenschaft des langjährigen Politikers wurde bereits viel geschrieben – öffentlich sehen durfte sie bislang nur ein Fernsehteam der Talkshow von Reinhold Beckmann zusammen mit dem damaligen Bahn-Chef Rüdiger Grube.

Nun durfte also der „Spiegel“ einen Blick drauf werfen und Fotos machen: 20 Quadratmeter fasst die Anlage mittlerweile, Seehofer baut seit über 25 Jahren daran. Es gibt zwei Bahnhöfe – Schwarzburg und Bonn –, Schienen für 18 Züge, der Hobby-Modellbauer hat alles genaustens programmiert, sodass die Züge von selbst fahren und Gleise wählen. Auch seine berühmten Angela-Merkel-Miniaturen zeigte Seehofer den Reportern – auch ihn selbst und Sigmar Gabriel gibt es.

Für die Modelleisenbahn: Der damalige Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Peter Ramsauer, schenkt Horst Seehofer (l), damals CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident in Kloster Banz in Bad Staffelstein (Oberfranken) eine Lokomotive nachträglich zu seinem 60. Geburtstag. Im Vordergrund: Angela Merkel.
Für die Modelleisenbahn: Der damalige Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Peter Ramsauer, schenkt Horst Seehofer (l), damals CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident in Kloster Banz in Bad Staffelstein (Oberfranken) eine Lokomotive nachträglich zu seinem 60. Geburtstag. Im Vordergrund: Angela Merkel. © Marcus Führer dpa/lby | Marcus Führer dpa/lby

Seehofer stichelt gegen Laschets Zukunftsteam

Doch neben der Modelleisenbahn ist vor allem interessant, was Seehofer über die Wahlniederlage der Unionsparteien zu sagen hat. Seehofer war über dreißig Jahre Abgeordneter – im bayerischen Landtag und im Bundestag, zehn Jahre CSU-Vorsitzender und 13 Jahre Bundesminister.

Zehn Jahre war er Ministerpräsident von Bayern. Bei dieser Bundestagswahl ist er nicht mehr angetreten, hat schon früh angekündigt, dass er sich aus der Politik zurückziehen wird. Im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin merkt man Seehofer an, dass er es niemandem mehr recht machen will und braucht.

Auf die Frage, ob er sich nicht selbst mehr im Wahlkampf noch hätte einsetzen müssen, verwies der CSU-Politiker darauf, dass er ja eigentlich schon im vorigen Jahr zurücktreten wollte. „Ich hatte Markus Söder im letzten Herbst in einem Vieraugengespräch angeboten, mein Amt aufzugeben. Er hatte ja immer von einer Kabinettsumbildung und von Verjüngung gesprochen. Aber dann wollte er doch Kontinuität.“

Es sei jedoch vollkommen klar gewesen, dass Seehofer „in seinem Alter“ keine zentrale Rolle in diesem Wahlkampf spielen würde. Er nutzt die Antwort noch für eine Spitze gegen Noch-CDU-Chef Armin Laschet: „Hätten Sie mich in ein Zukunftsteam gesteckt?“

Seehofer: „Ich hätte vor Ärger am liebsten den Fernseher zum Fenster rausgeworfen“

Das Zukunftsteam ist aber nicht das Einzige, über das Seehofer nur den Kopf schütteln kann: „Manchmal hätte ich vor Ärger am liebsten den Fernseher zum Fenster rausgeworfen. Olaf Scholz sprach von Rentengarantie, von Mindestlohn, von Respekt. Und was kam von uns? Nichts.

Dabei sei die „Sozialpolitik der kleinen Leute“ stets ein Markenkern der CSU gewesen, beklagt der ehemalige Parteivorsitzende. Die Unionsparteien seien „inhaltlich und personell“ nicht breit genug aufgestellt gewesen, bemängelt er weiter.

Bundesinnenminister mit hartem Vorwurf gegen Unionsabgeordnete

„Das Thema steuerliche Entlastung hat die CSU schon beharrlich gespielt“, wandten die Interviewer ein. „Entlastung, na schön. Was soll man bei dem Wort denken? Die Abschaffung der kostenlosen Coronatests ist jedenfalls für viele keine Entlastung. Oder dass Mieter die höheren Heizkosten wegen des höheren CO2-Preises selbst zahlen sollen – auch keine Entlastung.“

An dieser Stelle rechnet Horst Seehofer nun scharf mit seinen Parteikollegen und -kolleginnen ab: „Es scheint, als wüssten viele unserer Leute nicht mehr, wie es ist, die Hälfte des Einkommens für Miete auszugeben. Wer nur als Lobbyist unterwegs ist, wird auf diesem Feld für die Leute im Land nichts erreichen.“ Der CSU-Politiker spielt hier darauf an, dass die noch amtierende schwarz-rote Bundesregierung sich eigentlich darauf geeinigt, dass der Heizkostenaufschlag durch den CO2-Preis zur Hälfte von Vermietern und Mietern getragen wird. Dies scheiterte aber am Widerstand der Unionsfraktion. Ob beim Lobbyismus-Vorwurf auch die Maskenskandale mitgemeint sind, bleibt offen.

Seehofer führte noch weiter aus, was aus seiner Sicht das Problem mit der Bundestagsfraktion der CDU/CSU ist: „Wir hatten viele Vorhaben, die nach meiner Überzeugung für unsere Gesellschaft und die innere Sicherheit wirklich essenziell gewesen wären, die allesamt vom Bundeskabinett beschlossen waren, aber dann nicht kamen.“ Als Beispiele nennt er die geplante Grundgesetzreform, mit der die Kinderrechte festgeschrieben und der Rassenbegriff gestrichten werden sollte, ein schärferes Waffenrecht und das Demokratiefördergesetz gegen Rechtsextremismus.

„All diese Projekte waren fix und fertig, bis ins Detail abgeklärt, mit der SPD, die Kanzlerin hat sich zweimal wegen der Demokratieförderung eingeschaltet, die wollte das unbedingt.“ Nur die Unionsabgeordneten hätten sich gegen alles gesperrt. „Da braucht jetzt niemand jammern, dass die Menschen uns nicht wegen der inneren Sicherheit gewählt haben“, resümiert Seehofer.

Auch den Diskussionsstil der Fraktion im Bundestag kritisiert Seehofer scharf: „Da herrschte manchmal ein Ton, auch gegenüber der Kanzlerin, das wäre früher undenkbar gewesen.“ Das er selbst den Ton in Debatten, gerade zum Thema Migration verschärft hätte, will Seehofer dennoch nicht ganz einsehen. Er entschuldigte sich in dem Interview erneut für seinen „Bis zur letzten Patrone“-Satz und erklärte: „Man kann ein Zitat oder eine Idee noch so oft vorbesprechen. Wie sie ankommen, ist eine ganz andere Geschichte.“

Im Hobbykeller, wo Seehofer laut eigener Aussage sein Leben mit der Modelleisenbahn nachzeichnet, stellen die Journalisten dann die entscheidenden Frage für jemanden, der fünf Jahrzehnte Politikbetrieb nun bald hinter sich lässt. „War die Politik früher besser?“

Er sagt es nicht direkt, aber Seehofers Antwort klingt nach einem Ja: „Wir hatten zumindest Typen in der CSU: Günther Beckstein, Barbara Stamm, Alois Glück, Otto Wiesheu, Hans Zehetmair und Hans Maier, dieser Professor, der bayerischer Kultusminister war. Diese Typen gibt es heute nicht mehr. Und ich frage mich schon, woran das liegt.“ Ein Zeugnis für die Führungskräfte der Union von Armin Laschet bis Markus Söder, das ernüchternd ausfällt.

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