Berlin. Die Zahlen sind eindeutig: Experten sehen die Zunahme als Hinweis für die Notwendigkeit der sogenannten “Booster-Impfungen“ für alte Menschen.

  • Die Corona-Impfung schützt zuverlässig gegen schwere Verläufe
  • Laut neuen RKI-Zahlen ist die Zahl der Geimpften auf den Intensivstationen in Deutschland gestiegen
  • Wie erklärt sich das? Das RKI hat dafür eine einfache Erklärung

Es ist erst ein paar Wochen her, da formulierte Gesundheitsminister Jens Spahn beruhigende Worte für alle Corona-Geimpften. 95 Prozent aller Patienten mit dem Virus, die auf der Intensivstation behandelt werden, seien ungeimpft, zitiert ihn die „Tagesschau“. Was ein Appell für eine Impfung ist, ist auch eine Warnung an die Ungeimpften. Lesen Sie hier: 1000 Todesfälle nach Corona-Impfung untersucht.

Der Aussage von Spahn stehen aktuelle Zahlen des Robert Koch-Instituts gegenüber. Der Anteil von geimpften Corona-Patienten auf den Intensivstationen liegt mittlerweile höher als rund fünf Prozent – vor allem bei den Älteren. Laut dem aktuellen RKI-Wochenbericht lag der Anteil der „wahrscheinlichen Impfdurchbrüche an Covid-19-Fällen auf Intensivstation“ in den Septemberwochen in der Gruppe der Über-60-Jährigen bei 24,1 Prozent. Der Anteil der offenbar geimpften Corona-Infizierten, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, lag dort bei 36,8 Prozent.

Fünf Gründe für die Corona-Impfung

weitere Videos

    Warum landen mehr Geimpfte auf Intensivstationen?

    Das RKI schreibt eine einfache Erklärung: „Dass im Laufe der Zeit mehr Impfdurchbrüche verzeichnet werden, ist erwartbar, da generell immer mehr Menschen geimpft sind und sich SARS-CoV-2 derzeit wieder vermehrt ausbreitet. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, als vollständig geimpfte Person mit dem Virus in Kontakt zu kommen.“ Lesen Sie auch: Ende der Gratis-Tests: Alles Wichtige zur neuen Corona-Regel

    In Deutschland sind mittlerweile 65,3 Prozent der Bevölkerung vollständig gegen das Coronavirus geimpft. Die Quote unter den Erwachsenen lag am Sonntag bei 75,8 Prozent. Noch immer ist der Anteil der geimpften Covid-Patienten mit einem schweren Krankheitsverlauf sehr gering. In den Septemberwochen, die nun einen starken Anstieg verzeichnen, waren es immer noch nur 122 über 60-Jährige, die geimpft waren und auf einer Intensivstation lagen. Bei täglich Tausenden Neuinfektionen.

    Forscher-Teams und Mediziner heben zudem die gute Wirkung des Impfstoffs hervor, betonen die Effektivität. Gernot Marx, Präsident der Vereinigung der Intensiv- und Notfallmediziner (Divi), sagt unserer Redaktion: „Wir sehen auf den deutschen Intensivstationen ein klares Lagebild: Die Patientinnen und Patienten mit schweren und tödlichen Corona-Verläufen sind in fast allen Fällen ungeimpft.“

    Die Impfdurchbrüche mit schweren Verläufen seien noch immer im einstelligen Prozentbereich. Und meist treffe es dann sehr alte Menschen oder Patienten, deren Immunsystem etwa durch eine Chemotherapie oder eine dauerhafte Kortisonbehandlung ohnehin geschwächt ist. Auch das Bundesgesundheitsministerium hält in einer Antwort auf Anfrage der Linksfraktion im Bundestag fest: „Fakt ist, dass Impfungen schützen und ein fehlender Impfschutz der Hauptgrund ist, warum Personen mit einer Covid-19-Infektion intensivmedizinisch behandelt werden müssen.“

    Biontech: So drastisch senkt der Booster das Corona-Risiko

    weitere Videos

      Corona-Impfung: Linkspartei greift Spahn an und wirft ihm Täuschung vor

      Zugleich sieht das Haus von Spahn in den vergangenen Wochen einen wachsenden Anteil von Geimpften auf Intensivstationen. Laut Gesundheitsministerium, das sich auf das RKI beruft, waren von Anfang Februar bis Anfang September 11.419 Menschen zur Behandlung mit dem Virus auf einer Intensivstation, in 210 Fällen in diesem Zeitraum waren die Patienten geimpft. Das sind 1,84 Prozent aller Fälle. Allein von Mitte August bis Anfang September lag der Anteil der geimpften Corona-Patienten auf den Intensivstationen demnach schon bei 10,03 Prozent, also 119 von 1186 Fällen.

      Ein Intensivpfleger arbeitet auf einer Intensivstation des RKH Klinikum Ludwigsburg.
      Ein Intensivpfleger arbeitet auf einer Intensivstation des RKH Klinikum Ludwigsburg. © dpa | Sebastian Gollnow

      Die Linkspartei greift nun Spahn und sein Ministerium an. Der Minister benutze „vollkommen veraltete Zahlen“ und „täuscht die Öffentlichkeit über das tatsächliche Ausmaß der Impfdurchbrüche“, sagt Linken-Abgeordnete Sahra Wagenknecht unserer Redaktion. Lesen Sie hier: Lauterbach attackiert Sahra Wagenknecht für Aussagen zu Impfdurchbrüchen.

      Sahra Wagenknecht.
      Sahra Wagenknecht. © dpa | Marcel Kusch

      Doch die Lage ist kompliziert. Entscheidend ist die Frage: Welcher Effekt wirkt wie stark – die wachsende Zahl der Geimpften oder die schwächer werdende Schutzwirkung der Impfung?

      Fachleuten sind einig: Die Corona-Impfung schützt sehr gut

      Eine klare Antwort darauf gibt es noch nicht. Aber es gibt Studien und Analysen, die helfen. So berichten Biontech und Pfizer, dass die Wirksamkeit der Covid-Impfung alle acht Wochen um etwa sechs Prozent abnehme.

      Von durchschnittlich 96 Prozent Schutz sinke die Wirksamkeit in den Monaten danach auf knapp über 80 Prozent. Sinkt die Schutzwirkung über die Zeit, könnte auch das die Hospitalisierungen trotz Impfung beeinflussen und die Zahlen ansteigen lassen.

      Biontech: So drastisch senkt der Booster das Corona-Risiko

      weitere Videos

        Fachleute erkennen zudem, dass einige wenige Menschen über 60 und Personen mit geschwächtem Immunsystem nur eine schwache oder sogar gar keine Immunantwort entwickeln. Trotz doppelter Impfdosis ist der Schutz gering. Der Anteil dieser „Impfversager“ liegt laut Immunologen bei etwa fünf Prozent unter Älteren. Hinzukommt: Bei Älteren lässt die Wirkung des Impfstoffs auch schneller nach.

        Das liegt zum einen daran, dass von Beginn an weniger Antikörper gegen Corona gebildet werden, zum anderen schwächen Vorerkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes die Impfwirkung – auch das tritt im Alter häufiger auf. Lesen Sie auch: Biontech: So drastisch senkt der Booster das Corona-Risiko

        Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat darauf reagiert. Ungewöhnlich deutlich sprach sie sich dafür aus, alle Senioren ab 70, Pflegepersonal und medizinische Fachkräfte mit einer dritten Dosis zu impfen. Begründung auch hier: Im höheren Alter falle die Immunantwort nach Impfungen insgesamt geringer aus und Impfdurchbrüche könnten häufiger auch zu einem schweren Verlauf führen.

        Mediziner bemängeln, dass ihnen genauere Daten zum Impfstatus fehlen.
        Mediziner bemängeln, dass ihnen genauere Daten zum Impfstatus fehlen. © Sascha Fromm

        Medizinern fehlen ausführliche Daten zum Impfstatus

        Ein Problem ist auch: Es fehlen neue, ausführliche Daten über die Patienten in den Krankenhäusern. Die Vereinigung der Intensivmediziner (DIVI) teilt auf Nachfrage unserer Redaktion mit: Zu geimpften oder ungeimpften Corona-Patienten gebe es Rückmeldungen aus den großen Universitätsklinken. Dort würden fast ausschließlich oder zum Großteil Ungeimpfte auf der Intensivstation liegen. Doch Angaben zur Lage auf den vielen kleinen Intensivstationen fehlen.

        Krankenkassen erfassen den Impfstatus nicht, auch die Hausärzte sind dazu nicht verpflichtet. Das Robert Koch Institut gab zudem über Monate etliche Fälle als „ungeimpft“ an, obwohl unklar war, ob die Menschen die Impfung erhalten hatten oder nicht. Nun musste das Institut dies korrigieren – mit Auswirkungen auf die Statistik. Die Schutzwirksamkeit vor schweren Corona-Verläufen trotz Impfung stufte das RKI bei Älteren um sechs Prozentpunkte nach unten.

        Was hinzukommt: Landet ein Mensch wegen eines Armbruchs oder Magenbeschwerden im Krankenhaus, wird dort routinemäßig auf Corona getestet. Ist der Test positiv, gilt der Patient als „Hospitalisierungsfall“. Und fällt in die Statistik, obwohl es um den gebrochenen Arm geht.

        Trotz der vielen Faktoren bei den aktuell steigenden Fällen von Impfdurchbrüchen – Fachleute sind sich in einem einig: Impfungen sind wirksam und wichtig. Eine neue Studie aus Frankreich belegt, was schon Untersuchungen aus Israel, Großbritannien und den USA zeigen: Geimpfte Menschen haben ein neunmal geringeres Risiko, ins Krankenhaus eingeliefert zu werden oder an Corona zu sterben als Ungeimpfte.