Berlin . Erstmals sinkt die Zahl im Vergleich zum Vorjahr deutlich. Doch Fachleute beunruhigt vor allem eines: die gesuchten Rechtsextremisten.

Es ist eine gute Nachricht für die Sicherheit in Deutschland: Die Anzahl der offenen Haftbefehle ist in Deutschland deutlich gesunken – das erste Mal seit Jahren. Mit Stand 31. März 2021 waren 173.407 Personen zur Fahndung ausgeschrieben. Ein Jahr zuvor waren es noch 192.801 nicht vollstreckte Haftbefehle. Bis 2020 war die Zahl der gesuchten Straftäter jedes Mal gestiegen. Die Polizei kam nicht hinterher.

Der aktuelle positive Trend geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Grünen im Bundestag hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Es geht um Festnahmen aufgrund einer Straftat, aufgrund eines Fehlens zum Gerichtstermin oder Haftantritt sowie um Fälle von bevorstehenden Abschiebungen. In einigen Fällen stehen auch gewaltbereite Extremisten auf den Fahndungslisten.

Bayern sucht mit Abstand am meisten untergetauchte Straftäter

Polizei ist Ländersache – und so zeigen sich große Unterschiede bei den Festnahmen der Gesuchten. Vor allem in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ist die Zahl der offenen Haftbefehle demnach besonders deutlich zurückgegangen. In Nordrhein-Westfalen innerhalb eines Jahres von 32.908 auf 25.831 Fälle, in Baden-Württemberg von 21.724 auf 12.910 Fälle.

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Mit 32.919 offenen Haftbefehlen sind in Bayern mit Abstand am meisten Personen im Polizeilichen Informationssystem (INPOL-Z) zur Fahndung ausgeschrieben.

Die Innenexpertin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, sagte gegenüber unserer Redaktion: „Es ist wirklich gut, dass die Zahl der nicht vollstreckten Haftbefehle erstmals seit Jahren zurückgegangen ist. Gut 173.000 sind immer noch eine hohe Zahl, aber es zeigt sich, dass der öffentliche Druck Haftbefehle zu vollstrecken nicht ohne Konsequenzen geblieben ist.“

Lob den Rückgang der offenen Haftbefehle – und sieht dennoch keinen Grund zur Entwarnung: Innenexpertin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic
Lob den Rückgang der offenen Haftbefehle – und sieht dennoch keinen Grund zur Entwarnung: Innenexpertin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Es reiche nicht Haftbefehle auszusprechen, wenn „man die Härte die man damit ausstrahlen möchte bei der Vollstreckung vermissen lässt“, sagte Mihalic mit Blick auf die mehr als 30.000 offenen Haftbefehle in Bayern. „Das von der CSU regierte Bayern hat wirklich ein massives Vollzugsproblem.“

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Laut Antwort der Bundesregierung sind auch 602 Rechtsextremisten zur Fahndung aufgrund eines nicht vollstreckten Haftbefehls ausgeschrieben. Nicht immer werden diese allerdings aufgrund einer politischen Straftat gesucht. Insgesamt sind zum Stichtag 31. März 2021 sogar Haftbefehle von 7611 politisch motivierten Straftätern nicht vollstreckt.

Das meiste, so hob die Bundesregierung in der Antwort hervor, gehe jedoch auf Fahndungen ausländischer Behörden zurück, etwa Islamisten, die mutmaßlich in Syrien an der Seite von Terrorgruppen gekämpft haben sollen.

Grünen-Politikerin Mihalic hob hervor: „Es gibt sogar eine Handvoll rechts- und linksextremistische Gefährder und relevante Personen, gegen die Haftbefehle nicht vollstreckt wurden.“ Hier müsse dringend geprüft werden, ob das nicht „unverzüglich nachgeholt werden kann, denn wir wissen ja nicht, ob bei ihnen schwere staatsgefährdende Straftaten in der Planung sind“.

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Welche gravierenden Folgen nicht vollstreckte Haftbefehle bei Rechtsextremisten haben können zeigt der Fall der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“, kurz NSU. Die Gruppierung um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe war Ende der Neunziger-Jahre abgetaucht. Per Haftbefehl wurden sie gesucht. Doch enttarnt wurde der NSU erst 2011. Bis dahin hatten die Terroristen zehn Menschen getötet.