Mumbai. In Indien ist die Corona-Situation dramatisch. Viele können sich eine Bestattung nicht leisten und werfen die Toten in den Ganges.

  • In Indien ist die Corona-Lage dramatisch: Täglich werden Hunderttausende Neuinfektionen gemeldet
  • Experten vermuten, dass die Zahlen sogar deutlich höher sind
  • Das Ausmaß der Katastrophe wird grauenvoll deutlich: Im Fluss Ganges werden Tausende Covid-19-Tote angespült

Der verstorbene Vater liegt aufgebahrt auf einem lodernden Scheiterhaufen. Es ist ein Gefühl aus Erleichterung und Enttäuschung zugleich, das Ramesh Pandey widerfährt. Die Hitze des Feuers macht es noch unerträglich heißer, als es ohnehin in Nordindien ist.

Zwar war Pandey senior fast 80 Jahre alt, doch die Familie schmerzte es, dass er an Covid-19 verstorben ist. Damit ist er einer von 4000 Menschen, die offiziell jeden Tag in der Statistik der Corona-Todesfälle in Indien auftauchen. Am Montag meldete das indische Gesundheitsministerium 281.386 Neuinfektionen, wie die Tagesschau berichtet. Damit nähere sich die Zahl der Corona-Infektionen der 25-Millionen-Marke.

Indien: 24 Millionen Menschen haben sich bereits mit dem Virus infiziert

Die verheerende zweite Welle hat die Zahl der Corona-Infektionen auf mehr als 24 Millionen im Land steigen lassen. Ramesh Pandey hatte zwar mitbekommen, dass die Lage in seinem Heimatbundesstaat Uttar Pradesh angespannt ist, die Auswirkungen konnte er sich aber nicht ausmalen.

1500 Kilometer reiste der 45-Jährige vom Westen Indiens in den Norden, um seinem Vater den letzten Wunsch zu erfüllen: eine Bestattung in der Pilgerstadt Varanasi. Es ist jene Stadt, in der pausenlos Feuerbestattungen an den rituellen Plätzen durchgeführt werden. Statt 25 bis 30 Körpern pro Tag werden am Harishchandra Ghat derzeit 100 eingeäschert.

Selbst das Feuerholz wird knapp

Als Pandey in Varanasi ankommt, sieht er die Verzweiflung der Angehörigen von Verstobenen wie auch die Überforderung der Bestatter. „Ich habe noch nie in meinem Leben so viele zusammen verbrannte Leichen gesehen“, erzählt er. Trotz aller Bemühungen bekommt er in Varanasi keinen Platz für eine angemessene Bestattung. Drei weitere Tage möchte er nicht warten. Schließlich gelingt es ihm, in einer kleineren Pilgerstadt am Ganges einen Priester für die rituelle Zeremonie zu finden.

Die Kosten für Bestattungen sind gestiegen, das Feuerholz wird knapp. Das kann sich nicht jeder leisten. Und so kommt es, dass an verschiedenen Stellen entlang des Ganges, der von Hindus als Göttin verehrt wird, immer wieder Leichen ans Ufer gespült werden. Im Distrikt Buxar, 300 Kilometer von der Grenze Nepals entfernt, lagen die Toten wohl tagelang im Wasser, bis Bewohner, aufgeschreckt vom Gestank, aktiv wurden und die Leichen meldeten.

Provisorisch vergrabene Leichen am Ufer des Ganges.
Provisorisch vergrabene Leichen am Ufer des Ganges. © AFP | Sanjay Kanojia

Welthungerhilfe warnt vor humanitärer Notlage

Reporter der Zeitung „Dainik Bhaskar“ berichten von 2000 Leichen, die im Ganges treiben oder im Sand vergraben sind – offenbar Covid-19-Tote. Die Folgen für die Bewohner, für die der Fluss eine wichtige Trinkwasserquelle ist, sind fatal.

Zudem lassen die vielen Leichen nur erahnen, was sich im ländlichen Indien abspielt, wo viele Menschen keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Die Welthungerhilfe berichtet, die Zahl der Corona-Fälle im Hinterland habe sich inzwischen vervierfacht, und warnt vor einer humanitären Notlage.

Indische Mutante gilt als Hauptursache für starkes Infektionsgeschehen

Zunächst hatte sich in Indien vor allem die britische Corona-Variante B.1.1.7 rasch verbreitet. Doch bereits im Oktober wurde eine „Doppelmutante“ gefunden: B.1.617. Diese Variante wurde nun von der Weltgesundheitsorganisation als „besorgniserregend“ eingestuft.

Sie gilt in Indien neben der Vernachlässigung von Abstandsregeln als eine der Hauptursachen für die drastische Infektionssituation. B.1.617 wurde inzwischen in 44 Ländern nachgewiesen, darunter auch in Deutschland.

700 Lehrer starben in Uttar Pradesh

Immer wieder kommt es zu dramatischen Infektionsketten, etwa im riesigen Bundesstaat Uttar Pradesh, in dem mehr Menschen leben als in Brasilien. Dort sollen nach den Kommunalwahlen vor einigen Wochen 700 Lehrer, die als Wahlhelfer tätig waren, an Covid-19 gestorben sein, so die Lehrergewerkschaft.

Sozialarbeiter Sanjay Singh, der eine Hilfsorganisation in der Region leitet, berichtet von vielen Menschen mit Erkältungs- oder Grippe-Symptomen. In Dörfern mit mehr als 1000 Bewohnern seien 10 bis 20 Menschen gestorben, sagt er.

Auch wenn sich langsam die Situation verbessere: Noch immer wüssten die Bewohner viel zu wenig über Corona. Mit Unterstützung der Welthungerhilfe klärt er über das Impfangebot der Regierung auf, doch die Verunsicherung ist groß. Dabei verfügt Indien über ein gut ausgebautes Impfsystem, das von Gesundheitspflegerinnen, sogenannten ASHA, getragen wird. Doch bei Corona sind sie bisher weniger erfolgreich als bei Polio.

Helfer bergen die Leiche eines Kleinkindes.
Helfer bergen die Leiche eines Kleinkindes. © AFP | ARUN SANKAR

Bundeswehr fliegt Hilfsgüter nach Indien

Inzwischen erreicht Indien Hilfe. So wurde Mitte der Woche eine von der Bundeswehr eingeflogene Sauerstoffproduktionsanlage in der Hauptstadt Delhi in Betrieb genommen, die täglich bis zu 400.000 Liter erzeugen kann. Wie nötig das ist, zeigt das Beispiel im westindischen Goa: Dort starben innerhalb kürzester Zeit 74 Menschen, weil der Sauerstoff ausgegangen war.

In Städten wie Mumbai dagegen werden Impfzentren überrannt, doch der Impfstoff ist knapp, der Unmut wächst. Viele Bürger fragen sich, wo die Unterstützung der Regierung bleibt, vor allem von Premier Narendra Modi: Ihm wird angekreidet, dass er in dieser Krise den Bau eines milliardenschweren neuen Parlamentsgebäudes vorantreibt, statt das Geld in den Gesundheitssektor zu investieren.