Madrid. Das beliebte Urlaubsland hat plötzlich die höchste Ansteckungsrate weltweit. Vor allem die britische Mutation verbreitet sich rasant.

  • Lange galt Portugal als Musterbeispiel im Kampf gegen Corona, doch jetzt verschlimmert sich die Lage dramatisch
  • Zuletzt infizierten sich fast 850 von 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche neu
  • Damit ist die Sieben-Tage-Inzidenz mehr als siebenmal so hoch wie in Deutschland
  • Dadurch erreichen Krankenhäuser ihre Belastungsgrenzen – Leichen werden in Kühl-Containern gelagert

Die Leichenhalle des Krankenhauses Barreiro Montijo in Lissabon ist voll. So voll, dass vor dem Hospital zwei Kühl-Container aufgestellt wurden. Dort sollen die Corona-Toten bis zur Bestattung gelagert werden. Immer mehr an Covid-19 erkrankte Menschen sterben in Portugal, weil es auf den Intensivstationen keine freien Betten mehr gibt. „Die Krankenhäuser befinden sich am Limit“, räumt Gesundheitsministerin Marta Temido ein. Deswegen werden nun im ganzen Land Feldlazarette aufgebaut.

Er müsse inzwischen vielerorts die „Triage“ anwenden, sagt Miguel Guimarães, Chef der Ärztekammer. Es ist das, was Mediziner unter allen Umständen vermeiden wollen: Wenn es für zwei Notfallpatienten nur ein Beatmungsgerät gibt, müssen die Ärzte entscheiden, wer die besseren Überlebenschancen hat.

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Regierungschef Costa warnt: „Die Situation ist dramatisch“

Derzeit rollt ein Corona-Tsunami über Portugal. Das Land am Atlantik wurde zum schlimmsten Hotspot der Welt, was die Zahl der Neuansteckungen angeht. Nach Berechnungen der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität gab es zuletzt pro 100.000 Einwohner 850 Neuinfektionen binnen sieben Tagen.

Die Sieben-Tage-Inzidenz ist damit mehr als siebenmal so hoch wie in Deutschland. Täglich kommen mehr als 10.000 neue Infektionsfälle hinzu. Alle 24 Stunden werden mehr als 200 neue Corona-Tote gemeldet. Höchststände und absolute Horrorzahlen für das Land, in dem 10,3 Millionen Menschen leben und das zu den beliebtesten Urlaubszielen Europas zählt.

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Die Situation sei „dramatisch“, warnt der sozialistische Regierungschef António Costa. Vor allem die höchst ansteckende britische Virusmutation wirkt als Infektionstreiber. „Vergangene Woche hatte die britische Mutation einen Anteil von acht Prozent an allen Fällen. Diese Woche sind es schon 20 Prozent. Und nach den Prognosen können es bald 60 Prozent sein“, so Costa. Ein Dominoeffekt, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Mehr als 30.000 Briten leben in Portugal. Kontakte mit der alten Heimat lassen die Zahlen nach oben schießen.

Britische Corona-Mutation ist die vorherrschende Variante geworden

Der britische Erregertyp B.1.1.7 ist auf dem Weg zur vorherrschenden Variante in dem Land. „Dieser Virusstamm breitet sich mit schwindelerregender Geschwindigkeit aus“, diagnostiziert Maria João Brito, Chef-Epidemiologin des Lissaboner Krankenhauses Dona Estefânia. In ganz Europa ist man mittlerweile besorgt, auch in Deutschland. Das Worst-Case-Szenario: Die britische Virusmutante schwappt über die eigene Landesgrenze, facht die Zahl der Neuinfektionen extrem an und macht die Pandemie absolut unkontrollierbar.

Im Frühjahr war noch alles anders. Während der ersten Corona-Welle wurde Portugal als Musterland gefeiert. Ein Land, das dank einer disziplinierten Bevölkerung und vorausschauenden Regierung im Anti-Viren-Kampf alles richtig gemacht hatte, so die Lobeshymne.

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Der Lockdown in Portugal kam spät

Doch möglicherweise hat sich Portugal zu sehr auf den Lorbeeren ausgeruht und darauf vertraut, dass diese neue Viruswelle es nur am Rande streifen würde. Über Weihnachten und Silvester fanden zudem viele Familien- und Freundestreffen in Privaträumen statt. Bars und Restaurants waren geöffnet.

Spät und nach langem Zögern hatte die Regierung das Land in der vergangenen Woche in den Lockdown geschickt: Gastronomie, Einzelhandel und Schulen sind geschlossen. Die Menschen dürfen nur aus „zwingend notwendigen“ Gründen vor die Tür. Mittlerweile gibt Premier Costa zu, dass es ein Fehler war, über Weihnachten und Silvester die Zügel locker zu lassen.

Auch in Spanien sind die Corona-Zahlen sehr hoch

Beim großen Nachbarn Spanien mit seinen 47,3 Millionen Einwohnern nahm die lockere Corona-Tour einen ähnlich verhängnisvollen Ausgang. Die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen schnellte auf 519 Fälle pro 100.000 Einwohner hoch. Innerhalb von 24 Stunden registrierten die spanischen Behörden zuletzt mehr als 44.000 Neu­ansteckungen. Seit Weihnachten haben sich die Zahlen verdreifacht.

Auch in Spanien scheint sich der laxe Umgang mit der Pandemie zu rächen. In der Hauptstadtregion Madrid, einem der schlimmsten nationalen Hotspots, gab es in den letzten Monaten keine nennenswerten Beschränkungen im öffentlichen Leben. Bars, Restaurants und Einkaufsstraßen waren voll. „Das war Selbstmord“, sagen Mediziner. Spaniens staatlicher Chef-Epidemiologe, Fernando Simón, drückte es so aus: „Vielleicht haben wir es mehr krachen lassen, als es angebracht gewesen wäre.“

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