Berlin. Ein Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder zur Impfpflicht führt zu heftigen Debatten – auch unter Medizinern.

Die Entwicklung von Corona-Impfstoffen gilt als Wendepunkt in der weltweiten Bekämpfung der Corona-Pandemie. Eine Impfung ist die schärfste Waffe gegen das Virus. Da anfangs längst nicht genug Dosen für alle da sind, werden zunächst Hochrisikogruppen und das medizinische Personal vorrangig immunisiert.

Doch wie sich zeigt, ist ausgerechnet bei Pflegekräften die Skepsis groß. Viele lehnen die Spritze zur Vorbeugung einer Covid-19-Erkrankung ab, und das, obwohl sie in Berufen mit einer höheren Ansteckungsgefahr arbeiten. Hinzu kommt: Fällt in der Pandemie das medizinische Personal wegen einer Infektion aus, verschärft sich die ohnehin angespannte Versorgungslage in Kliniken und Pflegeeinrichtungen. Gleichzeitig lauert die Gefahr einer Ausbreitung von hoch ansteckenden Corona-Mutationen wie in Großbritannien.

Die Politik ist hochgradig nervös, ein vorgezogenes Bund-Länder-Treffen ist im Gespräch. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder plädiert nun für eine Impfpflicht für die Pflegeberufe. Es gebe „unter Pflegekräften in Alten- und Pflegeheimen eine zu hohe Impfverweigerung“, beklagt der CSU-Chef. Der deutsche Ethikrat solle deshalb Vorschläge machen, „ob und für welche Gruppen eine Impfpflicht denkbar wäre“. Söder findet sogar, „sich impfen zu lassen, sollte als Bürgerpflicht angesehen werden“. Eine sensible Debatte ist eröffnet.

Woher kommt die Impfskepsis?

Dass Pflegekräfte keine Impffans sind, ist kein neues Phänomen. Gegen die Grippe ließen sich laut Robert-Koch-In­stitut (RKI) zuletzt nur knapp 47 Prozent der Pflegekräfte impfen. Gegen Corona wollten sich im Dezember knapp 50 Prozent des Pflegepersonals immunisieren lassen. Das ergab eine Umfrage unter anderem der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Damals war aber noch kein Impfstoff in Europa offiziell zugelassen.

Kliniken und Altenheime berichteten ferner, Pflegekräfte sorgten sich wegen möglicher Langzeitfolgen. Sie sind sensibilisiert, weil sie im beruflichen Alltag häufig mit Nebenwirkungen von Medikamenten aller Art konfrontiert sind. Vor allem jüngere Pflegekräfte ließen sich auch durch soziale Medien verunsichern, etwa wegen angeblich drohender Unfruchtbarkeit nach einer Covid-19-Impfung, erzählen Ärzte. Damit räumte Marion Kiechle, Direktorin der Frauenklinik am Klinikum rechts der Isar in München und Mitglied der Leopoldina, im Bayerischen Rundfunk auf: „Es gibt dafür wissenschaftlich keine Beweise oder gar den leisesten Hinweis, dass die aktuell zugelassenen Impfstoffe die weibliche Fruchtbarkeit negativ beeinflussen.“

Etliche Skeptiker haben auch die Impfung gegen die Schweinegrippe im Jahr 2009/10 in Erinnerung. Auch damals wurden Vakzine in Rekordtempo entwickelt. Rund 31 Millionen Menschen ließen sich impfen. Weltweit wurden alsbald 1300 Fälle von Narkolepsie bekannt – einer schweren Schlafkrankheit –, die mit der damaligen Impfung in Zusammenhang gebracht werden.

Was sagen Fachleute?

Der Vorsitzende des Weltärztebundes Frank-Ulrich Montgomery spricht sich wie Söder für eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen aus. „Für Pflegekräfte und medizinisches Personal ist eine berufsspezifische Impfpflicht gegen Corona sinnvoll“, sagte der Montgomery unserer Redaktion. Er betont: „Wer Umgang mit vulnerablen Gruppen hat, muss immunisiert sein.“ Dies könne entweder durch eine überstandene Covid-19-Erkrankung geschehen oder durch eine Schutzimpfung. Der Mediziner forderte zudem weitreichendere Schritte: „Auf Dauer brauchen wir eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona.“

Divi-Präsident Uwe Janssens verlangt dagegen Verständnis für die Impfzurückhaltung. „Wieso wollen wir den Pflegekräften eigentlich absprechen, was wir den anderen Bevölkerungsgruppen auch nicht absprechen, nämlich dass sie vielleicht skeptisch sind?“, sagte er der „Welt“. Es gehe bei diesem Thema vielmehr um Aufklärung.

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, spricht sich gegen eine Impfpflicht aus. Doch er appelliert eindringlich an alle Pflegekräfte, „ihre Impfentscheidung mit Professionalität und fachlichem Wissen“ zu treffen. Die Impfung für Pflegekräfte, „die engen Kontakt zu den besonders gefährdeten Personengruppen haben, ist von enormer Bedeutung“.

Pro Biontech-Ampulle jetzt mehr Impfungen möglich

weitere Videos

    Wie sind die politischen Reaktionen auf Söders Vorschlag?

    Von einer Impfpflicht für spezielle Berufsgruppen hält man im Kanzleramt wenig. Dies könnte die Skepsis gegenüber der Impfung eher verschärfen, heißt es dort. Stattdessen wird auf Aufklärung gesetzt, um die Impfbereitschaft unter Pflegekräften zu erhöhen.

    Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) kritisiert, die Impfbereitschaft gerade bei Pflegekräften sei noch zu niedrig. „Das muss deutlich besser werden“, sagte er unserer Redaktion. Es sei daher richtig, dass Söder unter Einbeziehung des Ethikrates darüber nachdenke, wie man die Impfquote erhöhen könne. Eine generelle Impfpflicht in der Bevölkerung lehne er ab, „das würde viel Vertrauen in den Impfstoff zerstören“, so Laschet.

    SPD-Chefin Saskia Esken fordert, die Regierung solle die Akzeptanz mit einer Informationskampagne zu den Fakten und Vorteilen des Impfens stärken. Sie warnt in der aktuellen Debatte jedoch davor, alle Pflegekräfte über einen Kamm zu scheren. „Wenn die Impfstrategie jetzt nach und nach ins Laufen kommt, wird auch die Impfbereitschaft steigen“, sagte sie unserer Redaktion.

    Wo gibt es bereits eine Impfpflicht in Deutschland?

    Seit März 2020 müssen sich Kinder, die eine staatliche Kita oder Schule besuchen, gegen Masern impfen lassen. Die Impfung schützt in der Regel zugleich gegen Mumps und Röteln. Erzieher, Lehrer, Pfleger und Mediziner in einer Kita, Kindergarten, Schule oder einem Heim müssen gegen Masern immun sein – ob durch Impfung oder eigene Erkrankung. Ansonsten können sie diesen Beruf nicht ausüben.

    Asylbewerber und Flüchtlinge müssen den Impfschutz vier Wochen nach Aufnahme in eine Gemeinschaftsunterkunft aufweisen. Soldaten müssen sich sogar gegen Masern, Tetanus, Diphtherie, Polio, Hepatitis A und B sowie gegen die Grippe impfen lassen. Das Infektionsschutzgesetz macht nur eine einzige Ausnahme: Freigestellt ist, wer mit ärztlichem Zeugnis eine „Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit“ nachweist.

    Kann der Arbeitgeber eine Impfung verlangen?
    Nein, nicht grundsätzlich. Dennoch kann eine Weigerung in bestimmten Fällen zur Kündigung führen, sagt der Arbeitsrechtler Richard Giesen von der Universität München. Sollte es sich etwa um einen Arbeitsplatz handeln, für den nur geimpfte Personen infrage kommen, muss der Beschäftigte der Impfaufforderung des Chefs nachkommen. Andernfalls kann der Arbeitgeber ihn woanders einsetzen. Sei dies nicht möglich, könne es zu einer „personenbedingten Kündigung“ kommen“.