Washington. Für die Erstürmung des Kapitols in Washington gehört der Präsident abgesetzt und vor Gericht gestellt, so unser Kommentator Jörg Quoos.

An diesen 6. Januar 2021 wird die Welt noch lange denken. Milliarden Menschen wurden an den Bildschirmen fassungslos Augenzeugen, wie der wichtigste Ort der USA einfach überrannt und die amerikanische Verfassung geschändet wurde.

Das Kapitol ist für US-Demokraten ein heiliger Ort. George Washington legte 1793 den Grundstein und klopfte ihn persönlich mit drei Schlägen fest. Um den heutigen Sitz von Senat und Repräsentantenhaus herum wuchs die Stadt.

Das Kapitol ist das Herz der Demokratie und der Hauptstadt zugleich. Daher ist das Versagen des bis an die Zähne bewaffneten staatlichen Sicherheitsapparats bei dem Sturm auf das Gebäude so dramatisch.

Hätte ein schwarzer Mob angegriffen, wäre es in einem Blutbad geendet

Die Aufarbeitung dieser nationalen Schande wird Fragen aufwerfen, die bis ins Mark der Demokratie dringen. Gibt es unverhohlen Unterstützung für rechte Putschisten? Stehen alle Einheiten der staatlichen Gewalt zweifelsfrei auf dem Boden der Verfassung?

Fest steht jedenfalls: Hätte ein schwarzer und nicht ein weißer Mob das Kapitol angegriffen – die Nacht von Washington wäre in einem Blutbad geendet.

Daher wird dieser 6. Januar 2021 – wie der 11. September 2001 - als dunkler Tag in die amerikanische Geschichte eingehen. Mit dem Unterschied, dass keine äußeren Feinde, sondern die eigenen Bürger einen gewalttätigen Angriff auf die Nation wagten. Kein Osama bin Laden sandte die Angreifer. Es war der eigene Präsident, der seine Anhänger mit ewig wiederholten Lügen vom gestohlenen Sieg aufgeputscht und aufgestachelt hatte.

Der 45. US-Präsident trägt die Schuld an dieser Schande

Bin Ladens gekaperter Jet schlug 2001 nicht im Kapitol ein, weil ihn tapfere Passagiere rechtzeitig zum Absturz brachten. Trumps Mob ist der Sturm geglückt und der 45. Präsident der Vereinigten Staaten trägt die Schuld an dieser Schande. Dafür gehört er abgesetzt und vor Gericht gestellt. Nach Beweisen muss niemand lange suchen.

Bis zur letzten Sekunde hat Donald Trump die Aufständischen angefeuert. Was vor Monaten damit begann, dass er den rechten, militanten „Proud Boys“ zurief: „Haltet Euch bereit“, setzte sich beim Sturm auf das Kapitol fort.

Jörg Quoos, Chefredakteur Funke Zentralredaktion Berlin, kommentiert.
Jörg Quoos, Chefredakteur Funke Zentralredaktion Berlin, kommentiert. © Dirk Bruniecki

Noch während Tränengasnebel durch die gestürmten Räume des Kapitols zog und die Angreifer vor den TV-Kameras triumphierten, sprach Trump wieder zu seinen wild gewordenen Anhängern. Wieder wahrheitswidrig vom „gestohlenen Wahlsieg“, wieder komplett verantwortungslos.

„We love you. You are very special“, rief er den Angreifern zu. Auch dieser Satz wird in die amerikanischen Geschichtsbücher eingehen.

Trumps Ambitionen auf eine erneute Kandidatur haben sich erledigt

Wenn der erste Schock verdaut ist, muss die Nation zusammenrücken. Die republikanische Partei muss sich von ihrem gefährlichen Präsidenten lösen und endlich aus der Trumpschen Geiselhaft befreien. Sie kann ihr Versagen nur gutmachen, indem sie hilft, das gespaltene Land wieder zu einen und ihre irregeleiteten Wähler aus der Lügenblase des Präsidenten herauszuholen.

So unterschiedlich Demokraten und Republikaner auch sind. Sie müssen als kleinsten gemeinsamen Nenner zum Glauben an die Wahrheit von Fakten zurückfinden. Diese Basis, ohne die ein demokratischer Diskurs nicht funktioniert, hat Donald Trump zerstört.

Das einzig Positive am 6. Januar 2021 ist, dass sich spätestens mit diesem Tag Trumps Ambitionen auf eine erneute Kandidatur erledigt haben. Trump kann froh sein, wenn er den nächsten Wahltag 2023 auf freiem Fuß erlebt.

Aber, Vorsicht! Ein neuer Trump könnte kommen. Der Boden für ihn ist leider bereitet. Das ist vielleicht die schlimmste Erkenntnis aus der Horrornacht von Washington.