Washington/Philadelphia/Miami. Statt TV-Duell: Die Kandidaten im US-Wahlkampf traten getrennt voneinander auf. Donald Trump war gereizt, Joe Biden hingegen besonnen.

Die getrennten Bürgerfragestunden auf der Zielgeraden des US-Präsidentschaftswahlkampfes hinterlassen sehr verschiedene Eindrücke: In Miami gab sich US-Präsident Donald Trump am Donnerstagabend beim Sender NBC angriffslustig, vergrätzt, latent gereizt bei unangenehmen Fragen und gewohnt ausweichend, wenn präzise Informationen gefordert waren.

Zeitgleich lieferte sein demokratischer Herausforderer Joe Biden bei der Wahl in knapp drei Wochen in Philadelphia auf Einladung der TV-Konkurrenz von ABC einen konfrontationsfreien, nahezu bedächtigen Auftritt, bei dem die aus der Bürgerschaft rekrutierten Fragensteller mit ausführlichen und nicht auf Polarisierung setzenden Antworten bedacht wurden.

Ein Grund, den Analysten umgehend im Anschluss ausmachten: Biden baut seinen zweistelligen Vorsprung in den Umfragen seit gut drei Wochen kontinuierlich aus. Während der Amtsinhaber seine Nervosität über eine nicht mehr auszuschließende Niederlage am 3. November mit allerlei Attacken gegen seinen Widersacher und die ihn tragende Partei zu überspielen versuche.

TV-Duell musste wegen Donald Trump ausfallen

Allein, für den Wähler war die Separierung der beiden Spitzen-Politiker nur von Nachteil. Wer nicht mit der Fernbedienung hin und her zappte, blieb auf einem Auge blind. Dass es dazu kam, liegt an Trump. Nachdem sich der 74-Jährige mit dem Coronavirus infiziert hatte und bis heute die genauen Hintergründe und Zeitabläufe schuldig bleibt, wollte die zuständige Kommission für die Präsidentschaftsdebatten das zweite Duell zwischen den beiden virtuell online abhalten.

Was Trump brüsk ablehnte. Worauf Biden sich mit dem Network ABC zu der besagten Townhall-Veranstaltung zusammentat. Erst Anfang dieser Woche zog Trump nach. Dass sich NBC bereitfand, eine Solo-Veranstaltung mit dem Präsidenten zeitgleich auf drei Netzwerken (zusätzlich noch MSNBC und CNBC) zu vermarkten, wurde in der TV-Branche als „Foulspiel” bezeichnet.

Donald Trump äußert sich zu Rechtsextremisten und Rassisten

Umso mehr gab sich NBC-Moderatorin Savannah Guthrie Mühe, den auf kritische Fragen chronisch allergisch reagierenden Präsidenten sofort hart ranzunehmen. Vor allem bei der Frage, warum er sich nicht unmissverständlich von Rechtsextremisten und weißen Rassisten distanziere, ging der auf einem gläsernen Barhocker sitzende Trump bei schwül-warmen Abendtemperaturen innerlich in die Luft.

„Seit Jahren” verurteile er besagte Gruppen, nahm Trump für sich pauschal in Anspruch, stellte jedoch sofort in den Mittelpunkt, dass ihm die radikalen Linken der „Antifa”, die „Städte niederbrennen”, als entschieden gefährlicher erscheinen.

Donald Trump während des Townhall-Events in Miami. Der US-Präsident wirkte gereizt.
Donald Trump während des Townhall-Events in Miami. Der US-Präsident wirkte gereizt. © AFP | BRENDAN SMIALOWSKI

Steuern: Donald Trump gibt zu, 400 Millionen Dollar Schulden zu haben

Schlecht sah Trump aus, als er nach der von FBI und Justizministerium als brandgefährlich eingestuften QAnon-Bewegung gefragt wurde. Die Verschwörungs-Fans kultivieren unter anderem die substanzlose Behauptung, dass die US-Demokraten satanische Kindesmissbrauch-Ringe betrieben - und Trump die Opfer retten werde. Er kenne QAnon nicht, sagte Trump erkennbar wütend, betonte aber mit Wohlwollen, die Bewegung sei „gegen Pädophilie”. Tatsache ist, dass Trump mehrfach auf Twitter einschlägig haltlose QAnon-Beiträge weiterverbreitet hat.

Auffallend auch seine Einlassungen zu den jüngsten Berichten der New York Times über seinen Schuldenstand und jahrelang praktizierte Steuervermeidungsstrategien, die Normal-Amerikanern nicht zu Verfügung stehen. Hatte Trump zunächst die Darstellung als komplett falsch abkanzeln lassen, gab er vor laufender Kamera zu, „400 Millionen Dollar Schulden” zu haben. Bei wem, sagte er nicht. Ob er bei ausländischen Geldgebern Verpflichtungen habe, bediente Trump so: „Nicht, dass ich wüsste.” Ohnehin seien die Schulden nur ein „winziger Prozentsatz meines Nettovermögens”.

Corona: Der US-Präsident bleibt Antworten schuldig

Als das im Wahlkampf alles beherrschende Thema Corona aufkam, blieb Trump erneut Klarheit schuldig. Weder sagte er, wann er vor seiner Erkrankung negativ auf das Covid-19-Virus getestet wurde. „Ich erinnere mich gar nicht daran.” Noch wollte er ein eindeutiges Bekenntnis zum Tragen von Atemschutz-Masken ablegen, obwohl die USA am Donnerstag mit 62.000 Infektionen einen neuen Höchststand meldeten.

Stattdessen wiederholte er die von Wissenschaftlern als „fahrlässig falsch” bezeichnete Aussage, dass 85 Prozent der Menschen, die eine Maske tragen, sich dennoch mit dem Virus infizieren würden. Zum Abschluss hinterließ der Präsident – nach Kommentaren in sozialen Medien zu urteilen – einen zwiespältigen Eindruck, als er als Wiederwahlgrund angab: „Ich habe einen großartigen Job gemacht.” Und 2021 „wird besser als je zuvor”.

Joe Biden: Herausforderer antwortet besonnen und ausführlich

Ganz anders waren Atmosphäre und Rhetorik in Philadelphia bei Joe Biden. Ohne das Risiko, ständig von Donald Trump unterbrochen zu werden, legt der 77-Jährige seine Antworten umfangreich und mit Bedacht an. Als ein junger Afro-Amerikaner fragt, was er für ihn im Angebot habe, holte Biden weit aus, sprach minutenlang über Reformen in den Schulen, in denen Sozialpsychologen fehlten, und endete bei staatlich garantierten Darlehen für junge, schwarze Unternehmer.

Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden während des Townhall-Events in Philadelphia.
Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden während des Townhall-Events in Philadelphia. © AFP | JIM WATSON

Selten gehörte Töne auch hier: Biden will, anders als Trump, im Falle seines Sieges nicht mit präsidialen Dekreten am Kongress vorbei durchregieren. „Wir sind eine Demokratie. Wir brauchen Konsens. Ich brauche die nötigen Stimmen, um meine Politik durchzusetzen.” Selbst Mini-Lob für seinen Gegner hatte Biden parat, als er die von Trump choreographierte Annäherung Israels mit arabischen Staaten als Erfolg bezeichnete. Allerdings habe Trump viele Verbündete verprellt und Amerikas Vertrauenswürdigkeit in der Welt zerstört.

Bemerkenswert war auch Bidens Eingeständnis, dass ein 1994 maßgeblich von ihm geprägtes Kriminalitätsgesetz, das zu massenweisen Inhaftierungen vor allem von Latinos und Schwarzen führte, aus heutiger Sicht „als Fehler“ bezeichnete.

USA: Joe Biden spricht über Fracking, Arbeitsplätze und Umweltpolitik

Biden, der bei derlei Auftritten zuweilen fahrig ist und den Faden verliert, wirkte in sich ruhend, faktensicher, emphatisch und selbstbewusst. Dass die Wirtschaftsanalysten von Moody`s seinem Wirtschaftsprogramm vor Kurzem die Fähigkeit unterstellten, knapp 19 Millionen Jobs zu kreieren, erwähnte der von Trump regelmäßig als „Sozialist” und „Zerstörer Amerikas” titulierte Ex-Senator mit leiser Genugtuung.

Dass er industriepolitisch weder Radikaler noch Träumer ist, unterstrich Biden bei zwei Details, die ihm regelmäßig vorgehalten werden. Zum einen sei er nicht dafür, die umweltpolitisch umstrittene Energiegewinnungs-Methode „Fracking” zu verbieten; was in wahlentscheidenden Bundesstaaten wie Pennsylvania zu massiven Arbeitsplatzverlusten führen würde.

Zum anderen setzt er dem ehrgeizigen „Green New Deal”, der eine völlige Umstellung des US-Wirtschaftssystems vorsieht und von der Parteilinken um Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez vorangetrieben wird, eine eigene, weniger radikale und damit potenziell politisch anschlussfähigere Konzeption entgegen.

TV-Duell: Wird es noch eine Debatte im Fernsehen geben?

Am Ende der Veranstaltung wurde Biden gefragt, wie er eine Niederlage am 3. November erklären würde: „Es könnte bedeuten, dass ich ein schlechter Kandidat war und keinen guten Job gemacht habe”, sagt der Alt-Vizepräsident mit ruhiger Stimme. Und fügte hinzu: „Ich hoffe nicht, dass es bedeutet, dass die Menschen in ethnischen und religiösen Fragen derart im Streit miteinander sind, wie Donald Trump sich das wünscht.“

Joe Biden bekam in ersten Analysen von US-Medien die besseren Noten für seinen Auftritt. „Er war Staatsmann im Gespräch mit Bürgern”, sagte ein Analyst im Sender MSNBC. Über den Amtsinhaber könne man das nicht sagen. Ob Trump und Biden zur dritten und letzten TV-Debatte wie geplant am 22. Oktober in Nashville wieder auf einer Bühne zusammentreffen, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher. Biden verlangt einen frischen Test, der Trump als eindeutig Corona-frei erkennen lässt. Ob der Präsident da mitspielt, ist noch unklar.

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