Peking. Peking geht radikal gegen einen erneuten Virusausbruch vor. Als Urheber wird importierter Lachs ausgemacht. Ist das nur Propaganda?

  • In Peking haben die Behörden in den letzten fünf Tagen über 100 neue Corona-Fälle gemeldet, darunter allein am Dienstag 27 zusätzliche Infektionen
  • Seitdem dürfen unter anderem Risikogruppen Peking nicht mehr verlassen
  • Pekings Stadtregierung sieht sich im „Kriegszustand“, gleichzeitig wird leise Kritik an dem massiven Vorgehen der Behörden deutlich

Wer den Tiantang-Markt im Pekinger Chaoyang-Bezirk betreten möchte, muss erstmal eine Wärmebildkamera auf Augenhöhe passieren. Dann öffnet sich dem Kunden eine hell ausgeleuchtete Halle, die rein gar nichts mit den gängigen Vorurteilen asiatischer Marktplätze gemein hat.

Tropische Früchte liegen sorgfältig in Plastik verpackt im Regal, Nudelgarküchen werden von Köchen mit Gesichtsmasken und Hauben betrieben, die reichhaltige Fleischtheke ist blitzblank poliert und durchgehend gekühlt.

An der Kasse bedient eine junge Frau in grüner Schürze, die eindrücklich versichert, dass die Gemüsebestände auch für die nächsten Wochen gesichert seien: „Schließlich werden wir nicht vom Xinfadi-Großmarkt beliefert. Uns betrifft das nicht“.

Coronavirus: China fürchtet die zweite Welle

Jene Einrichtung, die seit Samstagfrüh geschlossen ist und zuvor 80 Prozent des Pekinger Nahrungsmittelbedarfs gedeckt hat, ist längst zum Synonym für die erste Coronavirus-Bewährungsprobe der chinesischen Hauptstadt geworden.

Fast zwei Monate blieb die Metropole schließlich ohne Neuinfektionen. Nun jedoch haben die Behörden bereits in den letzten fünf Tagen über 100 Fälle gemeldet, darunter allein am Dienstag 27 zusätzliche Infektionen. Praktisch alle gehen auf den größten Markt Asiens zurück, wo das Virus in mehr als 40 Proben nachgewiesen worden ist.

Ein Blick auf eine Sektion des geschlossenen Xinfadi-Marktes in Peking, Hier, im größten Lebensmittelmarkt ganz Asiens, soll der neue Ausbruch des Coronavirus’ seinen Anfang genommen haben.
Ein Blick auf eine Sektion des geschlossenen Xinfadi-Marktes in Peking, Hier, im größten Lebensmittelmarkt ganz Asiens, soll der neue Ausbruch des Coronavirus’ seinen Anfang genommen haben. © AFP | NOEL CELIS

Pekings Stadtregierung sieht sich im „Kriegszustand“

Seither kämpft die Stadtregierung erneut „im Kriegsmodus“, wie sie stolz betont. Das Vorgehen erinnert schon fast in seiner Radikalität an die strengen Maßnahmen im März: Risikogruppen dürfen Peking nicht mehr verlassen, einzelne Busrouten sowie Taxifahrten außerhalb des Stadtgebiets wurden unterbrochen, Wohnsiedlungen entlang des Großmarkts vollständig abgeriegelt.

Im Stadtzentrum wurden gar ganze Bürotürme geschlossen, nur weil ein Angestellter den Markt lediglich besucht hat. Dabei zeigen sich auch deutlich die wirtschaftlichen Kehrseiten der Maßnahmen: Die Bars und Restaurants der Hauptstadt sind deutlich leerer als noch vor einer Woche, auch die U-Bahnen werden wieder verstärkt gemieden.

Täglich werden Zehntausende Pekinger getestet

Um die potenziell Infizierten Hauptstadtbewohner so rasch wie möglich zu finden, lassen die Behörden täglich Zehntausende Menschen auf das Virus testen. Beim Covid-19-Tracking bot die Privatwirtschaft der Regierung erstaunlicherweise Paroli.

Die Betreiber der „mobile payment“-Plattformen Wechat-Pay und Ali-Pay weigern sich aus Datenschutzgründen, die Kontaktinformationen der mehreren Hunderttausend Kunden des Xinfadi-Großmarkts der letzten Tage weiterzugeben.

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    Vorsichtige Kritik am massiven Vorgehen der Behörden

    Gleichzeitig wird auch leise Kritik an dem massiven Vorgehen der Behörden deutlich. Man solle nicht zulassen, dass die neuen Maßnahmen „zu einer großflächigen oder gar nationalen Panik führen“, kommentierte etwa die staatliche Propagandazeitung „Global Times“.

    „Unser Kampf gegen Covid-19 sollte präziser sein“, heißt es in dem Kommentar. Und: „Solange noch immer viele Länder von der Epidemie betroffen sind, ist es unmöglich für China, das Virus vollständig auszurotten.“ Lesen Sie auch: Wie sich eine Frau aus Wuhan mit Chinas Regierung anlegt

    Der neue Virusstrang kommt nicht aus China – angeblich

    Bezeichnend ist, dass die staatlichen Medien und auch die Regierung bei jeder Möglichkeit betonen, dass der Virusstrang nicht derselbe wie noch vor Monaten in Wuhan sei, sondern mit ziemlicher Sicherheit aus Europa stammt.

    „Es ist von außerhalb Chinas nach Peking gebracht. Das Virus könnte aus Europa kommen, oder vielleicht den Vereinigten Staaten oder von Russland“, sagt Wu Zunyou von Chinas Zentrum für Seuchenschutzbehörde im staatlichen Fernsehsender CGTN. Der neue Virusstrang sei möglicherweise ansteckender und dadurch gefährlicher, deutet der Wissenschaftler an. Lesen Sie dazu: Welche Blutgruppe offenbar ein höheres Risiko für Corona hat

    Kam der Erreger mit importiertem Lachs ins Land?

    Bei der Virusbekämpfung hat die chinesische Regierung in der Vergangenheit wiederholt die Bedrohung von „außen“ betont, um die eigenen Fehler zu übertünchen. So auch beim jetzigen Ausbruch in Peking: Bereits am Wochenende meldeten die Behörden, dass der Erreger auf dem Großmarkt Xinfadi auf einem Schneidebrett nachgewiesen wurde, auf dem „importierter“ Lachs filetiert wurde.

    Seither sind die Aktien einiger norwegischer Lachszüchter eingebrochen. Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (UN) sieht jedoch dafür bislang keine Belege, dass das Virus über Tiefkühlware übertragen werden kann.

    Dennoch wird der norwegische Lachs in China wohl zum zweiten Mal politisiert: Bereits 2010, als der damals im chinesischen Gefängnis sitzende Menschenrechtsaktivist Liu Xiaobo in Oslo den Nobelpreis verliehen bekam, hat die Volksrepublik als wirtschaftliche Vergeltung die Fischimporte aus Norwegen eingestellt.

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