Halle. Tat die Polizei nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle alles, was nötig war? Ein Überwachungsvideo stellt das jetzt in Frage.
Keine Erste Hilfe, nur ein Streifenwagen, kein Notarzt – in den ersten Minuten nach dem Terroranschlag von Halle im vergangenen Oktober scheint die Reaktion der Polizei nicht tadellos gewesen zu sein. Das legt zumindest ein Überwachungsvideo nahe, dass die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) zusammen mit NDR und WDR ausgewertet hat.
Darauf sei zu sehen, wie acht Minuten nach dem ersten Notruf zunächst nur ein Streifenwagen eintrifft und niemand der niedergeschossenen Passantin Erste Hilfe leistet. Eine Polizistin laufe lediglich um die Frau herum, tue aber nichts. Auch mehrere andere Passanten sollen „ruhig, ja beinahe teilnahmslos“ an dem ersten Opfer vorbeigelaufen sein.
Anschlag in Halle: Täter konnte noch mal an Synagoge vorbeifahren
Selbst nach einer Viertelstunde seien auf dem Video zwar zwei Streifenwagen, aber kein Notarzt zu sehen, schreibt die SZ. Außerdem sei der flüchtende Attentäter noch einmal durch dieselbe Straße an der Synagoge gefahren, ohne dass ihn jemand stoppte. Dabei sei zu diesem Zeitpunkt sein Autokennzeichen bereits über den Polizeifunk verbreitet worden. Das Video stammt den Angaben zufolge von einer Kamera an der Außenwand der Synagoge.
Am 9. Oktober 2019 hatte der mutmaßliche Attentäter Stephan B. während der Feierlichkeiten zum jüdischen Feiertag Jom Kippur versucht, bewaffnet in die Synagoge von Halle einzudringen. Nachdem ihm dies nicht gelang, erschoss er den Ermittlungen zufolge auf offener Straße zwei Menschen und verletzte zwei weitere schwer. Das Polizei-Protokoll zum Terroranschlag von Halle.
Anschlag von Halle – Die Tage danach
Untersuchungsausschuss prüft jetzt die Berichte
Bereits am Abend nach dem Angriff hatte es Kritik am Polizeieinsatz gegeben. Die Polizei sei etwa zu spät am Tatort gewesen, hatte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle gesagt.
Ein Untersuchungsausschuss im Landtag von Sachsen-Anhalt soll den Polizeieinsatz jetzt beleuchten, wie der SPD-Innenexperte Rüdiger Erben ankündigte. „Ich gehe davon aus, dass wir in der nächsten Sitzung bereits Beweisbeschlüsse beantragen werden“, so Erben.
Als mutmaßlicher Täter gilt Stephan B., ein unauffälliger Eigenbrötler: Stephan B. – Der Attentäter von Halle lebte in zwei Welten. Der Angriff warf viele Fragen auf, etwa die, wie einfach Neonazis in Deutschland an Waffen kommen können. Vor allem aber: Wie stark ist der Rechtsradikalismus und wie kann man ihn wirksam bekämpfen?
(afp/dpa/cho)