Berlin. 2018 wurden 14.606 Kinder Opfer von Missbrauch. Warum die Aufarbeitung an Schulen und in Vereinen für eine sichere Zukunft wichtig ist.

Immer wieder kommt es zu sexuellem Kindesmissbrauch. Alleine 2018 wurden 14.606 Kinder Opfer von sexueller Gewalt. Das sind rund 40 Vergehen am Tag, Tendenz steigend. Fälle wie die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche oder Internaten wie der Odenwaldschule, wie gefährdet Kinder vor allem in institutionellen Strukturen sind. Die ‚Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs‘ hat jetzt eine Empfehlung vorgestellt, die Schulen, Heimeinrichtungen und Sportvereinen die Aufarbeitung erleichtern soll.

Was tun, wenn es zu Missbrauchsfällen im eigenen Haus kommt? Viele Einrichtungen sind auf diesen Fall nicht vorbereitet. „Oftmals weisen Institutionen Betroffene zurück, weil sie unsicher sind, an wen sie sich wenden und wie sie damit umgehen sollen“, sagt Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission.

Gewalt in Schulen, Vereinen und Heimeinrichtungen

Der neue Leitfaden soll jetzt eine erste Orientierung bieten und gleichzeitig Institutionen dazu ermutigen und auch auffordern, sich mit ihrer eigenen Gewaltgeschichte auseinanderzusetzen. Denn eine unaufgearbeitete Vergangenheit sei nicht nur eine Belastung für die Opfer, sondern wirke strukturell auch in die Zukunft hinein.

Deshalb reiche es wenn Vorfälle bekannt werden nicht, Präventivmaßnahmen vorzunehmen. „Einrichtungen flüchten sich im Ernstfall häufig in die Prävention. Sie vermeiden aber den Blick zurück“, sagt Matthias Katsch, Mitglied der Kommission und Aktivist für die Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs durch Angehörige der katholischen Kirche. „Mit unserem Leitfaden wollen wir zeigen, dass beides zu tun kein Widerspruch ist.“

Natürlich hat auch der Leitfaden seine Grenze, betont die Kommission, denn jeder Fall sei anders. „Das ist kein detailliertes Rezept, dass einfach so eins zu eins abgearbeitet werden kann, die Empfehlungen geben wichtige praktische und rechtliche Hinweise, um ein für die jeweilige Einrichtung passgenaues Vorgehen zu finden“, sagt auch Johannes-Wilhelm Rörig, unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.

Katholische Kirche vertuschte Missbrauchsfälle gezielt

Bereits bevor eine Aufarbeitung starten kann, gibt es einige Fragen, die geklärt werden müssen. Zunächst muss sich die Institution dazu einverstanden erklären zu kooperieren und es muss festgelegt werden, was der Gegenstand der Aufarbeitung genau ist.

Besonders kompliziert ist die Klärung verschiedener Rechtsfragen wie der Zugang zu Akten, die Rechte und Pflichten von Opfern und Beschuldigten und schließlich die Risiken einer Strafanzeige. „Es ist wichtig, vor allem für das Aufarbeitungsteam, die juristischen Rahmenbedingungen im Vorfeld zu klären. Denn so ein Prozess birgt viele rechtliche Risiken“, sagt Brigitte Tilmann, Juristin und Kommissionsmitglied.

Mit den Empfehlungen soll vor allem der Handlungsdruck auf die Institutionen erhöht werden. Denn oftmals ziehen Einrichtungen sich hinter dem Vorwand zurück, dass sie nicht wissen, was zu tun sei. Gleichzeitig gibt es keinen rechtlichen Rahmen dafür, Schulen oder Vereine zu einer Aufarbeitung ihrer Gewaltgeschichte zu verpflichten.

„Künftig wird es Institutionen wohl nicht mehr gelingen, ohne größten Vertrauensverlust zu erleiden, sich einer erforderlichen Aufarbeitung von sexueller Gewalt in ihrem Verantwortungsbereich zu entziehen“, sagt Rörig. „Eine mögliche Verweigerung, weil nicht klar sei, was konkret zu tun ist, wird dem öffentlichen Druck künftig nicht mehr standhalten.“

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In der Vergangenheit war es in vielen Einrichtungen zu sexuellem Missbrauch an Kindern gekommen. Zuletzt hatten Missbrauchsfälle in Bergisch Gladbach und ein Skandal in Berliner Sportklubs mit 136 Fällen Schlagzeilen gemacht. Aber auch sexueller Missbrauch von Kindern im Netz wird immer mehr zum Problem.