Berlin. Ein Russe tötet einen Georgier in Berlin. Der Bundesanwalt sieht einen Anfangsverdacht: Russische Stellen könnten die Drahtzieher sein.

Der Mann, der im August im Kleinen Tiergarten in Berlin einen Georgier mit einer Pistole mit Schalldämpfer durch Kopfschüsse getötet hat, soll nicht zum ersten Mal gemordet haben. In einer Moskauer Juninacht 2013 soll dieser Mann auf einem Fahrrad vorgefahren und einen Geschäftsmann aus dem Nordkaukasus ins Visier genommen haben. Der Unternehmer wehrt sich, rennt in die Nacht. Doch der Täter folgt ihm. Die Bilder der Überwachungskamera verschwimmen. Zu hören sind nur noch die Schüsse.

Die deutschen Ermittler haben nun starke Indizien, dass dieser Mörder von Moskau auch der Täter von Berlin ist. Es bleibt ein Verdacht – aber ein harter. Denn die russischen Sicherheitsbehörden hatten den Moskauer Mörder Vadim K. nach der Tat international zur Fahndung ausgeschrieben – doch 2015 aus den Fahndungslisten wieder gelöscht.

Wer die Bilder des in Berlin festgenommenen Vadim Sokolov mit den Bildern von Vadim K. vergleicht, sieht selbst als Laie die starke Ähnlichkeit. Auch beim Mord im Tiergarten kam der Täter mit einem Fahrrad.

Strafverfolger sammelten nach Mord im Berliner Tiergarten über Monate Hinweise

Der Verdacht wiegt schwer: Haben russische Behörden den Täter damals rekrutieren können – für eigene Zwecke? Für einen Auftragsmord in Berlin, weil das Opfer ein Staatsfeind der russischen Regierung war? Es wäre Staatsterrorismus. Und die Tat ist längst nicht mehr nur ein Fall für Juristen – sie sorgt für diplomatische Spannungen zwischen Deutschland und Russland.

Nun ermittelt der Generalbundesanwalt zu dem Berliner Mord. „Es bestehen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Tötung von Tornike K. entweder im Auftrag von staatlichen Stellen der Russischen Föderation oder solchen der Autonomen Tschetschenischen Republik als Teil der Russischen Föderation erfolgt ist“, heißt es bei den Bundesanwälten in Karlsruhe. Tornike K. war auch unter dem Namen Zelimkhan K. bekannt.

Beamte der Spurensicherung sichern in einem Faltpavillon Spuren am Tatort
Beamte der Spurensicherung sichern in einem Faltpavillon Spuren am Tatort © dpa | Christoph Soeder

Und die Bundesregierung unternimmt nach der Übernahme durch die Anwälte in Karlsruhe diplomatische Schritte und weist zwei Mitarbeiter der russischen Botschaft aus, die nach Informationen unserer Redaktion zum Geheimdienst gehören. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rechtfertigte am Mittwoch am Rande des Nato-Gipfels in Watford die Ausweisung von zwei russischen Diplomaten: „Wir haben diese Maßnahmen ergriffen, weil wir nicht gesehen haben, dass Russland uns bei der Aufklärung dieses Mordes unterstützt.“

Auffällige Ähnlichkeiten auf einem Fahndungsfoto

Russland wies umgehend jede Verwicklung in den Mordfall zurück und drohte mit Blick auf die Ausweisung der Diplomaten mit entsprechenden Gegenmaßnahmen. Das Tatopfer Tornike K. wurde laut Bundesanwaltschaft durch russische Behörden als Terrorist eingestuft und als solcher verfolgt. Ihm wurde vorgeworfen, Mitglied der terroristischen Vereinigung „Kaukasisches Emirat“ gewesen zu sein, schreibt der Generalbundesanwalt. Der Getötete war zudem im Tschetschenien-Krieg aufseiten antirussischer Separatisten aktiv. Er ging, wie auch viele andere Kämpfer, ins Exil und lebte seit 2016 in Deutschland.

Merkel kündigte an, den Fall bei ihrem Treffen mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin kommende Woche anzusprechen. Es sei „bilateral schon ein Ereignis, dass wir von Russland leider keine aktive Hilfe bei der Aufklärung dieses Vorfalls bekommen haben“, sagte sie.

„Auftragsmorde des russischen Staates in der Europäischen Union – ob in Großbritannien oder in Deutschland – sind ganz und gar inakzeptabel“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, Alexander Graf Lambsdorff. Die Bundesregierung müsse alle Informationen zu dem Fall offenlegen.

Russland reagiert wie üblich: Man betrachte die von Deutschland angekündigte Ausweisung zweier Mitarbeiter der Russischen Botschaft als unbegründeten und unfreundlichen Akt, hieß es gestern in einer Erklärung des russischen Außenministeriums. „Ein politisierter Umgang mit Ermittlungsfragen ist nicht zulässig. Wir sind gezwungen, eine Reihe von Gegenmaßnahmen zu verwirklichen.“

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow dementierte gestern jede Verbindung der russischen Behörden mit der Tat. „Von ernsthaften Verdächtigungen kann gar nicht die Rede sein“, versicherte Peskow. „Die Anschuldigungen sind absolut unbegründet.“

Eine Faxnummer führt zum russischen Verteidigungsministerium

Doch die Hinweise auf eine Beteiligung hoher russischer Stellen sind im Laufe der Ermittlungen offenbar immer deutlicher geworden. Laut Recherchen des „Spiegels“ und der Recherche-Plattform „Bellingcat“ verschwanden die Angaben über den Täter von Moskau aus einer zentralen Datenbank des russischen Innenministeriums.

Die Beteiligung russischer Staatsorgane werde auch dadurch belegt, dass die russische Seite Deutschland keine Informationen über den Killer lieferte, obwohl sein Foto und seine Fingerabdrücke vorlagen. Und dass Vadim K. an einen russischen Reisepass auf den falschen Namen Vadim Sokolow gelangen konnte. Wie schon bei anderen einschlägigen Mordfällen in Westeuropa, etwa der radioaktiven Vergiftung des Putin-Kritikers Alexander Litwinenko 2006 in London oder dem Giftanschlag auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal in Salisbury vergangenes Jahr, betrachten die linientreuen Moskauer Medien den Fall vor allem als Propaganda-Angelegenheit.

Gut drei Monate nach dem Mord an einem Tschetschenen in Berlin will der Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich ziehen.
Gut drei Monate nach dem Mord an einem Tschetschenen in Berlin will der Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich ziehen. © dpa | Paul Zinken

„Es ist eine lautstarke Informationskampagne mit Anschuldigungen an die Adresse Russlands zu erwarten“, schreibt die Zeitung „Moskowski Komsomoljez“. Kritische Stimmen in Moskau fragen dagegen, mit welcher Version sich die russische Staatsmacht diesmal herausreden wolle. „Es ist so gut wie unmöglich, diesen Fall ohne die Teilnahme russischer Sicherheitsdienste zu erklären“, sagt Roman Dobrochotow, Chefredakteur des „The Insider“ unserer Redaktion.

Er sei deshalb froh, dass er jetzt nicht für ein staatliches Propagandamedium arbeite. „Es wird auch interessant zu sehen, wie sich Deutschland verhält.“ Wenn Berlin es mit der Ausweisung der zwei Diplomaten bewenden lasse, dann würden russische Offizielle wohl kein Notwendigkeit sehen, die Situation eingehender zu erklären. „Sie werden sich einfach weigern, sie zu kommentieren.“

„Die russischen Organe werden einen Mord inszenieren.“

Nach Informationen unserer Redaktion haben Polizei und Justiz zunächst in verschiedene Richtungen ermittelt. Doch keine Spur hat sich erhärtet – weder Bezüge zur Organisierten Kriminalität, die als Tatmotiv gelten könnten, noch Bedrohungsszenarien für das Opfer, die sich aus Kontakten in die islamistische Szene ergeben hätten.

Als ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge den Georgier 2017 fragte, was er befürchte, wenn er zurück nach Russland müsse, soll K. laut einem Bericht von tagesschau.de gesagt haben: „Die russischen Organe werden einen Mord inszenieren.“

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Es wäre nicht das erste Mal, dass der Verdacht nahe liegt, dass Putin und seine Regierung einen Auftragsmord verantworten. Auch der Anschlag an dem Kreml-Kritiker Sergej Skripal sorgte für internationale Spannungen.