Berlin. Die neue SPD-Spitze will weg von der „Schwarzen Null” und sucht den Konflikt mit dem Finanzminister. Wieviel Geld sie ausgeben wollen.
Wer gedacht hat, die Demütigung von Olaf Scholz habe mit der Niederlage in der Stichwahl um den SPD-Vorsitz ihren Höhepunkt erreicht, sollte den vor der Tür stehenden Parteitag abwarten. Die designierten SPD-Vorsitzenden und Scholz-Bezwinger Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wollen die „schwarze Null“, einen weitgehend ausgeglichenen Bundeshaushalt, abräumen. Das wäre ein Affront gegenüber dem eigenen Finanzminister. Dieser hatte noch am Freitag bei der Verabschiedung des Haushaltes für 2020 im Bundestag die schwarze Null vehement verteidigt.
Der Bund weite seine Investitionen massiv aus, stecke so viel Geld wie noch nie in Infrastruktur, strukturschwache Regionen, Forschung und Entwicklung. „Ein wenig irritierend ist, dass einige das immer schnell beiseitepacken, um zu überlegen, warum sie neue Schulden machen müssen“, klagte Scholz.
Keine 24 Stunden später wurde seine Niederlage gegen den früheren NRW-Finanzminister Walter-Borjans im Rennen um die SPD-Spitze verkündet. Im ARD-Talk bei Anne Will trieb „Nowabo“, wie er unter Genossen heißt, Scholz weiter vor sich her. Deutschland brauche einen massiven Investitionsschub mit größerer Kreditaufnahme in wirtschaftlich schwächeren Jahren.
Er glaube, „dass dieser Punkt zur schwarzen Null einer sein wird, zu dem es eine klare Entscheidung geben wird“, fügte Walter-Borjans mit Blick auf den Parteitag von Freitag bis Sonntag in Berlin hinzu.
Nowabo und Esken müssen ihren linken Fans etwas bieten
Den linken Shootingstars schweben zusätzliche Investitionen von 500 Milliarden Euro vor – gestreckt über zehn Jahre für Bildung, Bahn, Klimaschutz und Digitalisierung. „Was nützt unseren Kindern eine Schuldenquote von 50 statt 60 oder 65 Prozent des BIP, wenn ihre Umwelt vergiftet ist, gut bezahlte Arbeitsplätze verlagert wurden und Deutschland in technologischen Rückstand geraten ist?“, hieß es in einem Konzept von Walter-Borjans und Esken, das Ende September geschrieben wurde.
Darin grenzten sich beide von Scholz und Angela Merkel ab. Die Kanzlerin und damalige CDU-Chefin hatte gemeinsam mit ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble die schwarze Null zum Wahlkampfschlager der Union auserkoren. Seit 2014 macht der Bund keine neue Schulden und baut alte Verbindlichkeiten ab.
Warum kaprizieren sich Walter-Borjans und Esken so stark auf die schwarze Null? Die Antwort liegt nahe. Die Hoffnungsträger müssen ihrem linken Wahlvolk in der SPD eine Ersatzdroge liefern, weil sie einen von Jungsozialisten („An Nikolaus ist GroKo-Aus“) vehement eingeforderten rauschhaften Ausstieg aus dem Regierungsbündnis mit CDU und CSU offenkundig nicht forcieren wollen. Viele jener 53 Prozent der SPD-Basis, die bei der Stichwahl mitmachten und dem Außenseiterduo den Sieg bescherten, wählten die beiden aber aus genau diesem Grund.
Die Vorsitzenden der SPD seit 1946
Wenn also auf dem Parteitag die GroKo schon nicht abserviert wird, soll nun wenigstens das goldene Kalb schwarze Null geschlachtet werden. Nowabo und Esken müssen den Geistern, die sie riefen und wählten, etwas anbieten, um bei ihrer Vorsitzendenkür passable Ergebnisse zu bekommen. Sich dafür die schwarze Null auszugucken, ist durchaus riskant. Eine Mehrheit auf dem Parteitag dürfte dafür zwar zu bekommen sein. Aber wollen sie Scholz auf offener Bühne demütigen? Walter-Borjans und Esken werden Scholz’ Hilfe dringend benötigen, damit der SPD-Motor im Koalitionsmaschinenraum nicht ins Stottern gerät. Scholz steuert als Vizekanzler die Arbeit der SPD-geführten Ressorts. Der 61-jährige frühere Hamburger Bürgermeister will trotz der Schmach seine Arbeit als Parteisoldat fortsetzen. Aber um jeden Preis?
Würde es die Selbstachtung des Hanseaten nicht verlangen, zurückzutreten, wenn der Parteitag die schwarze Null und damit die Philosophie des Finanzministers in die Tonne tritt? Oder zeigt sich Scholz wieder einmal geschmeidig?
Walter-Borjans will nicht Finanzminister werden
Dass er selbst Scholz im Kabinett und als Vizekanzler beerben wolle, schließt Walter-Borjans aus. In seinen sieben Jahren als NRW-Kassenwart war er dreimal vom Landesverfassungsgericht gerügt und von der Opposition als „Schuldenkönig“ kritisiert worden. Aber vielleicht wird der Konflikt noch vor dem Parteitag entschärft. Am Dienstag kommt die erweiterte SPD-Führung (um die 40 Leute) in Berlin zusammen, um gemeinsam mit Nowabo und Esken eine Art Regierungserklärung für Nachverhandlungen mit der Union zu verfassen.
Denkbar wäre, dass es bei der schwarzen Null eine eher weiche Formulierung gibt, die vorgibt, das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts perspektivisch (also erst in der kommenden Wahlperiode) aufzugeben und dann eine Lockerung der Schuldenbremse anzustreben. So könnte man einen Gesichtsverlust des Finanzministers vermeiden. Für so eine Lösung spricht, dass Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil - des Sozialismus unverdächtig - nun für eine Überarbeitung der Schuldenbremse wirbt.
„Es geht um drängende Aufgaben, die klipp und klar auf dem Tisch liegen“, sagte er im „Handelsblatt“. Für eine Änderung der Schuldenbremse wäre eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig.
Auch der linke Parteivize Ralf Stegner fordert klare Kante: „Ich rechne damit, dass der Parteitag ein klares Signal für mehr Investitionen in Digitales, Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz senden wird. Die schwarze Null war viel zu lange ein unsinniger Fetisch der Konservativen“, sagte Stegner unserer Redaktion. Viele Ökonomen, Industrie und der DGB seien sich einig, dass der Staat bei historisch niedrigen Zinsen neue Schulden machen können sollte. Grüne und Linke befürworten das schon lange.
Die CDU auf Konfrontationskurs
Die Union will ihre letzten Aushängeschilder in der Finanzpolitik (schwarze Null, keine Steuererhöhungen) verteidigen. „Wir werden der SPD zuliebe nicht damit anfangen, den Haushalt wieder aufzuschnüren, Schulden zu machen und das Grundgesetz zu brechen“, sagte der Chefhaushälter von CDU/CSU, Eckhard Rehberg. Der Haushalt für 2020 sehe Rekordinvestitionen von 43 Milliarden Euro vor.
Dazu kommen Milliardenausgaben für den Klimaschutz. Viele Gelder werden von Ländern, Kommunen und Bürgern gar nicht abgerufen. „Wenn die SPD die schwarze Null aufgibt, kommt dies einer vollständigen Demontage ihres Finanzministers gleich“, analysierte der Chef des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger.
Nicht verwechselt werden darf die schwarze Null als politisches Ziel mit der Schuldenbremse. Die Regelung im Grundgesetz verpflichtet Bund und Länder zur Haushaltsdisziplin. Der Bund darf dabei pro Jahr bis zu 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung an neuen Krediten aufnehmen. Dank steigender Steuereinnahmen und hoher Rücklagen ist Scholz darauf nicht angewiesen.