Brüssel. Die EU und Großbritannien haben sich geeinigt. Doch das Brexit-Abkommen steht auf der Kippe: Die nordirische DUP will dagegen stimmen.

Die 27 bleibenden EU-Staaten haben den neuen Brexit-Deal zwischen Großbritannien und der EU am Donnerstag beim EU-Gipfel gebilligt. Aus dem britischen Unterhaus, das am Samstag zustimmen müsste, kam jedoch sofort Widerstand. Premierminister Boris Johnson mahnte die Abgeordneten dringend zu einem Ja und nannte das neue Abkommen „großartig“. Auch Kanzlerin Angela Merkel lobte den Kompromiss, der den Weg zu einem sanften Brexit in zwei Wochen ebnen soll.

Am Donnerstagvormittag hatten sich EU-Kommission und britische Regierung nach einem Verhandlungsmarathon auf einen geänderten Brexit-Vertrag verständigt. „Wo ein Wille ist, ist ein Deal – wir haben einen“, erklärte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Er sprach von einem fairen und ausgeglichenen Abkommen. Der britische Premier Boris Johnson lobte einen „großen Deal“, der dem Land die Kontrolle zurückgebe.

Wenn alles gut gehen sollte, könnte Großbritannien tatsächlich in Kürze mit einem ordentlichen Scheidungs-Deal die EU verlassen – am 31. Oktober oder eventuell einige Wochen später. Doch der Vertrag ist noch nicht in trockenen Tüchern: Hohe Hürden sind zu überwinden. Ein Termin für die Abstimmung über den Deal im britischen Parlament steht schon.

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Brexit-Vertrag wird von der nordirischen DUP nicht mitgetragen

Die Verhandlungen im Hauptgebäude der Brüsseler EU-Kommission hatten sich in einem dramatischen Finale über mehrere Tage und Nächte hingezogen. Obwohl es frühzeitig hieß, eine Einigung in der umstrittenen Nordirland-Frage sei zum Greifen nahe, gab es immer wieder Verzögerungen – zuletzt vor allem, weil nicht klar war, welche Zugeständnisse des britischen Premiers Johnson von einer Parlamentsmehrheit in Großbritannien noch mitgetragen würden.

Dabei ging es auch um die Frage, ob Johnson für seinen Deal auch die für eine Mehrheit voraussichtlich notwendige Unterstützung der nordirischen, probritischen DUP hat. Am Donnerstagnachmittag erklärte die DUP schließlich, das Abkommen bei einer Abstimmung im britischen Parlament nicht unterstützen zu wollen. Damit steht der gerade erst zwischen Brüssel und London ausgehandelte Deal vor einem Scheitern.

Die Brexit-Verhandlungen waren ein Wettlauf mit der Zeit – denn der EU-Gipfel wollte den geänderten Austrittsvertrag möglichst schon absegnen.

„Wir wollen einen Deal“, ließ Juncker am Morgen erklären. Er und Johnson entschlossen sich deshalb bei einem Telefongespräch, trotz des Widerstands des DUP im britischen Unterhaus die Vertrags-Einigung zu verkünden, nachdem Unterhändler letzte Details geklärt hatten.

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Brexit-Abkommen: Für Nordirland gelten weiterhin EU-Regeln

Die Brexit-Lösung sieht so aus: Die umstrittene „Backstop“-Regelung im vorliegenden Brexit-Vertrag, nach der Großbritannien notfalls in einer Zollunion mit der EU bleiben müsste, wird gestrichen, was der zentralen Forderung des britischen Premiers entspricht. Stattdessen werden nach dem Austritt nur in Nordirland die Standards des EU-Binnenmarkts und auch die Zollregelungen der EU weiter gelten.

Aber: Formal bleibt Nordirland in einem Zollgebiet mit dem restlichen Vereinigten Königreich – die britische Provinz könnte damit auch von neuen Handelsabkommen profitieren, die London mit anderen Staaten schließen will. Der große Haken: Zoll- und Produktkontrollen sind dann zwischen Nordirland und dem übrigen Königreich notwendig.

EU-Chefunterhändler Michel Barnier zufolge wird die Zollgrenze zwischen EU und Großbritannien durch die irische See verlaufen; damit würde die sichtbare Landgrenze zwischen Irland und Nordirland vermieden, aber die britische Provinz rückte wirtschaftlich weiter vom übrigen Königreich ab. Die Zollkontrollen sollen in Großbritannien stattfinden.

Jean-Claude Juncker (l.) und Boris Johnson haben einen Deal.
Jean-Claude Juncker (l.) und Boris Johnson haben einen Deal. © dpa | Stefan Rousseau

In den Verhandlungen spielte zuletzt eine große Rolle, wie die Briten diese Kontrollen so zuverlässig durchführen können, dass Schmuggel und Betrug zuverlässig verhindert werden. Die EU fürchtet unter anderem, dass über die Zollgrenze sonst Produkte aus Großbritannien in den Binnenmarkt gelangen, die nicht den EU-Standards entsprechen, oder Tiertransporte gegen die Veterinärvorschriften der Union verstoßen.

Hintergrund: Was ist der Backstop – und warum sorgt er für so viel Ärger?

Barnier: Großbritannien garantiert EU-Standards bei Umwelt- und Sozialauflagen

Vereinbart sind aber auch Ausnahmen für die Zollkontrollen: Für Waren, die Reisende persönlich einführen, und für andere ausgewählte Produkte. Lange gerungen wurde zudem um die Frage, welche Mitsprache die nordirische Volksvertretung bei der künftigen Anwendung von EU-Regeln in Nordirland haben soll: Nun ist klar, dass das Regionalparlament (Stormont) nach vier Jahren entscheidet, ob das gesamte Arrangement fortgesetzt wird.

Die Qualität der Nordirland-Lösung ist damit eine völlig andere als beim früheren Backstop-Modell: Letzteres sollte nur für den Notfall gelten, wenn keine andere Vertragslösung gefunden wird – jetzt geht es um eine dauerhafte Vereinbarung. Darüber hinaus wurde die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen der EU zu Großbritannien geändert.

Barnier sagte, Großbritannien gebe „solide Garantien“, dass EU-Standards etwa bei Umwelt- oder Sozialauflagen nicht unterboten würden. Das sei das bestmögliche Ergebnis gewesen, sagte Barnier.

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EU-Staaten prüfen den Entwurf

Die erste Entscheidung liegt nun bei den Regierungschefs der Mitgliedstaaten, die die Vereinbarung absegnen müssen. Am Donnerstagmittag war zunächst unklar, ob der Gipfel schon einen formellen Beschluss über den Vertragstext fassen wird. Der niederländische Premier Mark Rutte etwa ließ dies in Brüssel ausdrücklich offen.

Im Raum stand, zunächst nur eine politische Zustimmung zu geben und später den Vertragstext verbindlich abzusegnen. Nicht ganz ausgeschlossen war deshalb auch noch, dass der eigentlich für den 31. Oktober geplante britische EU-Austritt wegen des Ratifizierungsprozesses doch noch verschoben wird; das britische Parlament und das EU-Parlament müssen dem Vertrag noch zustimmen.

Barnier versicherte aber, der geordnete Brexit am 31. Oktober sei noch möglich. Die entscheidende Hürde für den Austrittsvertrag liegt in London: Noch ist völlig unklar, ob Johnson tatsächlich eine Parlaments-Mehrheit für den Brexit-Vertrag organisieren kann oder ob er doch so scheitert wie seine Vorgängerin Theresa May.

Die historische Abstimmung soll bei einer Sondersitzung des Parlaments am Samstag stattfinden. Das haben die Abgeordneten am Donnerstag in London gebilligt. Es ist die erste Sitzung des Unterhauses an einem Samstag seit 37 Jahren.

Johnson glaubt an Parlamentsmehrheit

Die damalige Regierungschefin May hatte eine ähnliche Lösung für Nordirland wie die jetzt ausgehandelte strikt abgelehnt; der von ihr ausgehandelte Vertrag war dreimal im Parlament durchgefallen. Johnson verbreitet aber Zuversicht, dass die Abgeordneten die nun erzielte Einigung unterstützen, obwohl seine Regierung die Parlamentsmehrheit verloren hat.

Der Premier führte in London hektisch Gespräche mit Brexit-Hardlinern der konservativen Tories und der nordirischen DUP, um sich Rückendeckung für die Zugeständnisse zu holen. Die DUP forderte dabei zusätzliche Milliardenhilfen für Nordirland, das ohnehin schon stark am finanziellen Tropf Londons hängt.

DUP-Chefin Arlene Foster.
DUP-Chefin Arlene Foster. © Reuters | Phil Noble

Am Donnerstagmorgen erklärte DUP-Chefin Arlene Foster, ihre Partei könne die Vereinbarungen nicht mittragen. Am Mittag wurde diese Haltung von DUP-Politikern bekräftigt. Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn sagte, Johnsons Deal sei noch schlechter als der von May. Corbyn forderte, über den Vertrag jetzt in einem Referendum abstimmen zu lassen.

Im Vorfeld hatten aber bis zu 20 Abgeordnete der oppositionellen Labour-Fraktion zu erkennen gegeben, für den Austrittsvertrag stimmen zu wollen. Die Labour-Führung ist strikt gegen eine Unterstützung für Johnson, weil sie dann ein Fiasko bei den zu erwartenden Neuwahlen fürchtet.

Barnier appelliert an das britische Unterhaus

Barnier sagte, es gebe die Erwartung, dass das britische Parlament zustimme. Er appellierte an das britische Unterhaus, Verantwortung zu zeigen und das «faire und vernünftige Abkommen» anzunehmen. Da Premierminister Johnson dem Deal zugestimmt habe, vertraue er offenkundig darauf, eine Mehrheit im britischen Parlament zu bekommen, sagte Barnier.

„Wir haben unsere Arbeit getan“, fügte er hinzu. Der Druck für Johnson ist enorm. Die Einigung mit Brüssel kommt für den Premier buchstäblich in letzter Minute.

Ohne beschlossenen Brexit-Vertrag müsste der Premier eigentlich am Wochenende eine dreimonatige Verschiebung des Austrittstermins beantragen, was er bisher ablehnte. Regierungsmitglieder versicherten aber, im Fall der Fälle werde London einen solchen Antrag bei der EU ganz sicher stellen.