Berlin. Israel hat gewählt – und die Kontrahenten Benjamin Netanjahu und Benny Gantz liegen praktisch gleichauf. Gewinner ist ein anderer.

Die Wahlbüros in Israel haben geschlossen, doch die großen Fragen sind noch offen: Laut den Wahlnachbefragungen verschiedener Fernsehsender liegen die Likud-Partei des amtierenden Premierministers Benjamin Netanjahu und die Blau-Weiß-Partei seines Herausforderers Benny Gantz nah beieinander.

Netanjahus Likud kam laut Prognosen in der Nacht zu Mittwoch auf 31 bis 32 Mandate und Gantz’ Mitte-Bündnis Blau-Weiß auf 32 Mandate. Weder das rechte noch das Mitte-Links-Lager hat demnach eine Mehrheit von mindestens 61 von 120 Parlamentssitzen für die Regierungsbildung.

Als Gewinner lässt sich bisher nur einer bezeichnen: Avigdor Lieberman, Vorsitzender der rechts-säkularen Splitterpartei „Israel Beitenu“ (Unser Heim Israel).

Er ließ nach der Wahl im April Netanjahu abblitzen, der die fünf Sitze von „Israel Beitenu“ zur Koalitionsbildung gebraucht hätte – und wurde dafür bei dieser Wahl belohnt: Eine Wahlnachbefragung schreibt „Israel Beitenu“ acht bis neun Sitze zu, fast doppelt so viele wie im April.

Israel: Liebermanns harter Kurs zahlt sich offenbar aus

Bnei Berak: Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, und seine Frau Sara Netanjahu geben in einem Wahllokal ihre Stimmen ab.
Bnei Berak: Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, und seine Frau Sara Netanjahu geben in einem Wahllokal ihre Stimmen ab. © Reuters | POOL New

Liebermans harter Kurs gegen die ultraorthodoxen Parteien, denen er vorwirft, der Mehrheitsbevölkerung ihre religiösen Regeln aufzwingen zu wollen, hat sich offenbar ausgezahlt. Für Netanjahu ist das ein großes Problem: Niemand rechnet damit, dass Lieberman sich bei dieser Runde für ein Bündnis mit Netanjahu erwärmen lässt.

Das Verhältnis der beiden gilt als katastrophal. Ohne Liebermans Partei jedoch kommt der Block aus rechten und religiösen Parteien, die traditionell hinter Netanjahu stehen, nach aktuellem Stand nur auf 54 bis 57 Sitze – verfehlt also die Mehrheit von mindestens 61 Sitzen, die zur Regierungsbildung nötig ist.

Gute Neuigkeiten für die israelische Linke

Damit ist der Weg zur Macht für seinen Herausforderer Benny Gantz jedoch längst nicht frei. Der Mitte-Links-Block, der ihn voraussichtlich unterstützen würde, erreicht wie erwartet ebenfalls keine Mehrheit. Immerhin gibt es schon jetzt einige gute Neuigkeiten für die israelische Linke.

Die beiden linken Parteibündnisse „Avoda-Gesher“ sowie das „Demokratische Camp“, die sich beide in den Umfragen vor der Wahl gefährlich nah an der 3,25-Prozent-Hürde bewegten, haben wohl beide den Sprung ins Parlament geschafft. Daran gescheitert ist jedoch offenbar die hartrechte Partei „Otzma Yehudit“ (Jüdische Stärke), die wegen ihrer araberfeindlichen Hetze im Land hochumstritten ist.

Koalitionsverhandlungen dürften langwierig werden

Welche Koalition unter welchem Regierungschef das Land in den kommenden Jahren regieren wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Die bequemste Mehrheit würde eine Koalition der beiden großen Parteien erreichen, eine sogenannte „Einheitsregierung“ aus Likud und Blau-Weiß. Allerdings hat Gantz vielfach versprochen, nicht mit Netanjahu zu koalieren.

Manche Beobachter spekulieren, ein enttäuschendes Wahlergebnis für Likud könnte parteiinterne Rivalen zur Revolte gegen Netanjahu ermutigen – und so den Weg für das Bündnis mit Blau-Weiß eröffnen. Nachdem das Wahlergebnis feststeht, wird zunächst der Präsident des Landes, Reuven Rivlin, mit den Vorsitzenden aller Parteien Gespräche führen, um zu sondieren, welcher Kandidat die besten Aussichten hat, eine Koalition zu bilden – oft, aber nicht zwingend der Vorsitzende der größten Partei.

Zumindest eines lässt sich mit großer Sicherheit sagen: Die Koalitionsverhandlungen dürften hart und langwierig werden.

Netanjah zeigt sich noch in der Nacht siegesgewiss

Netanjahu selbst zeigte sich am frühen Mittwochmorgen siegesgewiss. Vor Anhängern in Tel Aviv kündigte er an, er wolle in den kommenden Tagen Verhandlungen über die Bildung einer „starken Regierung“ aufnehmen. Ziel sei es, eine „gefährliche, anti-zionistische Regierung“ zu verhindern.

Israel befinde sich an einem „historischen Punkt“ mit riesigen Chancen und Herausforderungen, „allen voran die existenzielle Bedrohung Israels durch den Iran und seine Ableger“. Es dürfe keine Regierung entstehen, die sich auf „arabische, anti-zionistische Parteien“ stütze, betonte der 69-Jährige.

Gantz sagte vor jubelnden Anhängern, man müsse geduldig auf die endgültigen Ergebnisse der Wahl warten. Dennoch werde man umgehend Kontakte zur Bildung einer „breiten Einheitsregierung“ aufnehmen. Er wolle in den kommenden Tagen mit Ex-Verteidigungsminister Lieberman und weiteren möglichen Partnern sprechen, sagte Gantz. Sein Ziel sei es, die israelische Gesellschaft wieder zu einen.

Netanjahu stand vor den Wahlen am Scheideweg. Gewinnt er, wolle er zudem das Jordantal annektieren, hatte er angekündigt. (mit dpa)