Berlin. Grünen-Chefin Annalena Baerbock spricht über den nationalen Klimakonsens, die Zukunft des Autos – und Cem Özdemirs Comeback-Versuch.

Die Grünen haben Bedingungen formuliert, um einen von der Bundesregierung angestrebten nationalen Klimakonsens zu unterstützen. Grünen-Chefin Annalena Baerbock warnte die schwarz-rote Koalition davor, am kommenden Freitag nur ein „Klimaschutzpäckchen“ zu präsentieren: „Die Zeit von Entweder-oder ist vorbei. Es braucht alle Instrumente auf einmal, das heißt klare Preissignale, Förderung und vor allem gesetzliche Leitplanken“, sagte sie im Interview mit unserer Redaktion.

Ein bindendes Klimaschutzgesetz müsse allen Wirtschaftssektoren von Landwirtschaft über Verkehr bis zur Industrie vorschreiben, um wie viel der Kohlendioxid-Ausstoß jedes Jahr reduziert werden müsse und mit welchen Mitteln. „Und es sanktioniert, wenn Ziele nicht erreicht werden. Mit schönen Worten rettet man das Klima nicht.“

Annalena Baerbock: Jetzt CO2-Besteuerung einführen

Kritisch bewertet die Co-Vorsitzende der Grünen die Absage von CDU und CSU an eine CO2-Steuer. Die Union will stattdessen einen nationalen Handel mit Verschmutzungsrechten aufbauen. „Es geht uns da nicht um einen Glaubenskrieg übers Instrument, sondern darum, dass es schnell wirkt. Ein nationaler Emissionshandel aber würde Jahre dauern. Daher sollten wir für Bereiche, die nicht dem europäischen Emissionshandel unterliegen, jetzt eine CO2-Besteuerung einführen.“

Die Grünen schlagen vor, den Ausstoß pro Tonne CO2 zum Start mit 40 Euro zu bepreisen. Baerbock rechnet vor, dass der Liter Benzin damit um etwa zehn Cent teurer werde. Die Grünen halten das für verkraftbar: „Eine Autofahrt von Berlin nach München würde ungefähr 3,50 Euro teurer werden. Dafür reduzieren wir die Stromsteuer fast auf null und zahlen jedem ein Energiegeld von etwa 100 Euro pro Jahr aus.“

Die Bundesregierung will Ende nächster Woche weitreichende Beschlüsse fassen, damit Deutschland die Klimaschutzziele aus dem Pariser Abkommen bis 2030 einhalten kann. Da ein Teil der Maßnahmen im Bundesrat zustimmungspflichtig sein wird, brauchen CDU, CSU und SPD in der Länderkammer die Unterstützung von Grünen und FDP.

Cem Özdemir muss ein Teamspieler sein, fordert Baerbock

Desweiteren hob die Grünen-Chefin angesichts der intern umstrittenen Bewerbung von Cem Özdemir für die Fraktionsspitze Mannschaftsspiel und Geschlossenheit als grüne Erfolgsfaktoren hervor. „Wer immer den Fraktionsvorsitz gewinnt, muss im Team spielen“, sagte Baerbock. Es sei normal, dass es im Rennen um Spitzenposten eine Auswahl gebe. „Uns hat erfolgreich gemacht, dass wir geschlossen im Team handeln und für unseren Inhalt streiten, bis es schmerzt. Das ist auch für unsere Zukunft entscheidend.“

Baerbock, die früher im Fußballverein im Mittelfeld spielte, erklärte, wenn der Verteidiger ständig mit der Stürmerin streite, schieße das Team keine Tore, die Fans wendeten sich ab. „Die Geschlossenheit der letzten Zeit hat vielen Menschen Lust gemacht, uns zu unterstützen. Das wissen alle bei uns.“

Die Kampfkandidatur von Özdemir hat Unruhe bei den Grünen ausgelöst. Der 53-Jährige, der bis Anfang 2018 fast zehn Jahre Grünen-Chef war, in einer Jamaika-Koalition gerne Außenminister geworden wäre und derzeit Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses ist, will zurück in die erste Reihe.

Näher auf Özdemir und dessen Teamfähigkeit wollte Baerbock nicht eingehen: „Ich maße mir nicht an, Haltungsnoten zu verteilen.“ Gemeinsam mit der Bremer Gesundheitsexpertin Kirsten Kappert-Gonther fordert Özdemir die Amtsinhaber an der Fraktionsspitze, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, heraus. Am 24. September wählen die 67 Bundestagsabgeordneten die künftige Führung.

Baerbock will SUVs einen Riegel vorschieben

Auch in die SUV-Debatte schaltet sich Baerbock ein und kritisiert den Fokus der Autoindustrie auf die populären Geländelimousinen. „Die Strategie der Konzerne ist: Immer größere, schwerere, lautere Autos zu verkaufen, die Unmengen an CO2 produzieren, um die eigene Strukturkrise zu überwinden“, sagte die 38-Jährige. „Dem muss man einen Riegel vorschieben. Also jährlich wachsende Quoten für emissionsfreie Autos und eine neue Kfz-Steuer, bei der viel Energieverbrauch viel kostet.“

Baerbock unterstrich, dass die SUV-Debatte losgelöst von dem Verkehrsunfall in Berlin geführt werden sollte, bei dem ein SUV-Fahrer aus noch nicht geklärter Ursache die Kontrolle über seinen Porsche-Geländewagen verlor und vier Menschen auf dem Gehweg getötet wurden. „Aus Respekt vor den betroffenen Familien möchte ich ihn nicht für eine politische Debatte nutzen.“ Der Vizechef der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer, hatte dagegen nach dem Berlin-Unfall eine Obergrenze für große SUV in Innenstädten gefordert.