London. Der neue britische Premier verlässt sich auf einen engen Kreis von loyalen und vom Brexit überzeugten Beratern – nur eine widerspricht.

Boris Johnson hat jetzt seine Mannschaft zusammen. Nach einer der brutalsten Regierungsumbildungen der jüngeren Vergangenheit präsentierte er ein Team, das sich vor allem durch zwei Dinge auszeichnet: unbedingte Loyalität zu Johnson und unerschütterlicher Glaube an den Brexit. Jedes Mitglied der frischgebackenen Regierung, vom Kabinettsminister bis zum Staatssekretär, musste die Verpflichtung unterschreiben, einen ungeregelten Austritt aus der Europäischen Union zu unterstützen.

Dadurch wurde sichergestellt, dass der neue Machtapparat ausschließlich aus Brexit-Hardlinern und Johnson-Fans besteht. Der politische Kosmos des neuen Premierministers ist bemerkenswert geschlossen. Der engere Führungskreis besteht aus wenigen Ministern, Beratern und Vertrauten. Ein Überblick über die wichtigsten Köpfe.

Michael Gove: Vizepremier und Überzeugungstäter

Als „Kanzler des Herzogtums Lancaster“ ist der 51-Jährige ein Minister ohne Geschäftsbereich im Kabinett und wurde vom Premierminister vor allem mit einer Aufgabe betreut: die Planung für den Brexit am 31. Oktober zu organisieren. Zudem ist er Vizepremier. Gove hatte schon 2016 während des Referendums an der Seite von Boris Johnson die „Vote Leave“-Kampagne angeführt. Der frühere Premierminister David Cameron beschrieb Gove einmal als „einen Maoisten, der an den Fortschritt durch den Prozess der kreativen Zerstörung glaubt“.

Michael Gove am Montag in London.
Michael Gove am Montag in London. © dpa | Alastair Grant

In seinem Büro hat er die Bilder von Lenin, Malcom X und Martin Luther King aufgehängt. Gove ist ein Überzeugungstäter. Höflich in der Form, aber radikal in der Sache. Für seine Ideale würde er alles opfern. Zugleich ist er im Kabinett das politische Schwergewicht mit der längsten Regierungserfahrung.

Seitdem die Torys 2010 an die Macht kamen, war Gove Mitglied im Kabinett und hat als Bildungs-, Justiz- und Umweltminister gedient. In allen Ressorts konnte er wichtige Reformen vorantreiben. Johnson hätte kaum einen effizienteren Politiker an die Schaltstelle für das wichtigste Projekt der Regierung befördern können: den Brexit.

Dominic Cummings: Johnsons Berater, an dem keiner vorbeikommt

Er wurde nie in ein Amt gewählt. Doch Boris Johnson hat den 47-Jährigen nun zu seinem speziellen Berater ernannt, der in der Downing Street den Beamtenapparat koordinieren und überwachen soll. Cummings hat das Büro gleich neben dem von Johnson bekommen, was seinen Status unterstreicht. An ihm kommt keiner vorbei, er ist de facto der Stabschef in der Downing Street.

Der frühere Berater von Michael Gove war ebenfalls in der „Vote Leave“-Kampagne aktiv. Cummings ist umstritten. Unter Brexit-Fans hat er fast mythischen Status, weil ihm der Sieg im Referendum zugeschrieben wird. Sogar ein Hollywood-Film porträtiert den genialen Wahlkämpfer (gespielt von Benedict Cumberbatch), der den Slogan „die Kontrolle zurückerlangen“ erfand.

Für seine Kritiker ist Cummings der Verantwortliche, der mit falschen Behauptungen eine verlogene Kampagne fuhr. Der Premierminister sieht in ihm vor allem den Mann, der die Downing Street auf einen Wahlkampf vorbereiten soll. Dieser könnte schon nach der Sommerpause des Parlaments Anfang September auf die Briten zukommen.

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Sajid Javid: Finanzminister, der aus einfachen Verhältnissen kommt

Sajid Javid ist der erste britische Finanzminister mit Migrationshintergrund.
Sajid Javid ist der erste britische Finanzminister mit Migrationshintergrund. © Reuters | HENRY NICHOLLS

Der 49-Jährige ist der erste britische Finanzminister mit Migrationshintergrund. Javids pakistanische Eltern kamen in den 60er-Jahren ins Königreich, der Vater arbeitete als Busfahrer. Die siebenköpfige Familie lebte in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Javid musste sein Bett mit seinem Bruder teilen. Aus einfachen Verhältnissen arbeitete er sich ganz nach oben. Nach dem Studium wurde er Bankier und brachte es bis zum Vorstandsmitglied bei der Deutschen Bank. Jahresgehalt: drei Millionen Pfund.

Als er 2009 in die Politik ging, stieg er auch dort schnell auf. Erst Staatssekretär im Innenministerium, dann 2014 der Sprung ins Kabinett als Kulturminister. Politisch steht er auf dem rechten Flügel der Konservativen und gilt als Erz-Thatcherist. Er hat zwar im Referendum für den Verbleib in der EU gestimmt, später aber die Seiten gewechselt. Als Finanzminister hat er dem Premier bereits versprochen, die vielen Milliarden Pfund bereitzustellen, die Johnson braucht, um seine Wahlkampfversprechen einzulösen.

Dominic Raab: Außenminister und bis ins Mark loyal

Dominic Raab hat seine Loyalität zu Boris Johnson im Tory-Wahlkampf unter Beweis gestellt. Nachdem er selbst als Kandidat für die Nachfolge von Premierministerin Theresa May antrat, aber früh aus dem Bewerberfeld flog, unterstützte er die Kandidatur von Johnson. Das brachte ihm nach dessen Sieg den Posten des Außenministers ein.

Dominic Raab ist britischer Außenminister.
Dominic Raab ist britischer Außenminister. © dpa | Alastair Grant

Der 45-Jährige hatte zuvor unter May als Brexit-Minister gedient, war aber aus Protest gegen ihren Deal mit Brüssel nach vier Monaten im Amt zurückgetreten. Dort hatte er sich nicht immer mit Ruhm bekleckert. Besonders seine Äußerung, ihm sei nicht bewusst, dass ein Großteil der britischen Importe durch das Nadelöhr Calais ins Land kommen, nährten Zweifel an seiner Kompetenz.

Jetzt soll sich Raab um die außenpolitische Flanke kümmern. Johnson möchte möglichst schnell ein Freihandelsabkommen mit den USA. Raab hat bereits die britische Position im US-Konflikt mit dem Iran aufgeweicht. Jetzt geht London in der Tanker-Krise auf die US-Position zu und unterstützt eine amerikanische Beteiligung bei Marine-Missionen im Persischen Golf.

Carrie Symonds: „First Girlfriend“, mittlerweile im ganzen Land bekannt

Auch im Privatleben des Premierministers gibt es einen engen Zirkel. Da ist vor allem Lebensgefährtin Carrie Symonds, die die ganze Nation besser kennt, als dem Regierungschef lieb sein kann. Im Juni gab es einen nächtlichen Streit in der Wohnung der 31-jährigen PR-Beraterin. Ein Nachbar nahm die lautstarke Auseinandersetzung auf und spielte sie der Zeitung „Guardian“ zu.

Carrie Symonds ist die Lebensgefährtin von Boris Johnson.
Carrie Symonds ist die Lebensgefährtin von Boris Johnson. © Reuters | TOBY MELVILLE

Zu hören war, wie Johnson sich weigerte, das Apartment seiner Freundin zu verlassen – obwohl diese ihn mehrfach dazu aufgefordert hatte. „Geh verdammt noch mal von meinem Laptop weg!“, schrie Symonds ihn an. Danach ist ein Krachen zu hören. Symonds beklagte sich, weil Johnson offenbar Rotwein auf ihr Sofa geschüttet hatte. Der Aufruhr in den Medien zwang das Paar, aus der Wohnung im Süden Londons auszuziehen.

Symonds teilt Johnsons Begeisterung für den EU-Austritt. Sie hatte früher die Öffentlichkeitsarbeit für die Konservative Partei gemacht. Heute setzt sie sich vor allem bei der Organisation „Conservative Animal Welfare Foundation“ für den Umweltschutz ein. Wenn Carrie Symonds als „First Girlfriend“ im Regierungssitz in der Downing Street einzieht, wird es das erste Mal sein, dass dort ein unverheiratetes Paar wohnt.

Johnson- Brexit macht Großbritannien zum besten Land der Welt

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    Die Familie: Beim Thema Brexit gab es lange Zeit viel Streit

    Auch für die Familie Johnson gilt: „Blut ist dicker als Wasser.“ Ausgerechnet das Thema Brexit sorgte immer wieder für Streit. Beim Referendum haben alle außer Boris für den EU-Verbleib gestimmt. Vater Stanley und Bruder Jo haben allerdings mittlerweile ihre Meinung geändert und sind auf den Boris-Kurs eingeschwenkt. Stanley ist ein leidenschaftlicher Umweltschützer.

    Die Politik seines Sohnes lobt er über den grünen Klee: „Dieser Mann ist sehr, sehr ernst zu nehmen.“ Der kleine Bruder Jo gehört wie Boris den Konservativen an. Er wurde zum Staatssekretär im Kabinettsrang für die Ressorts Energie und Wissenschaft ernannt. Hier funktionieren die Absprachen auf dem kurzen Dienstweg. Einzig von Schwester Rachel bekommt Boris vor allem in der Brexit-Frage Kontra: Sie ist eine liberal gesinnte Kolumnistin, die sich kürzlich den oppositionellen Liberaldemokraten angeschlossen hat.