Berlin. Bisher waren die „Identitäre Bewegung“ ein „Verdachtsfall“. Nun sind sich die Behörden sicher: Die Bewegung ist rechtsextremistisch.

Seit Juni 2016 galt sie als Verdachtsfall. Der Verfassungsschutz nahm sich über drei Jahre Zeit, um die „Identitäre Bewegung“ (IBD) zu beobachten. Nun ist das Verdachtsstadium überschritten. Die Gruppe kommt in eine neue Schublade und wird „als eine gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die demokratische Grundordnung eingestuft“, wie das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz am Donnerstag mitteilte.

Präsident Thomas Haldenwang sagte, „als Frühwarnsystem dürfen wir unser Augenmerk nicht nur auf gewaltorientierte Extremisten legen, sondern müssen auch diejenigen im Blick haben, die verbal zündeln“. Es ist keine Einzelaktion, sondern passt zur aktuellen Gangart: Mehr Härte gegen rechts? Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Welches Bild zeichnen die Behörden von den „Identitären“?

In Haldenwangs Zitat steckt die Essenz der Analyse der Verfassungsschützer: Die IBD ist rechtsextremistisch. Gewalt steht nicht auf ihrer Agenda. Ihre Brandsätze sind Wörter, ihre Anhänger eher Kulturkämpfer als Schläger. Sie halten sich für Intellektuelle. Viele haben auch einen akademischen Hintergrund, nicht wenige von ihnen studieren noch. Sie mobilisieren gerade junge Erwachsene.

In der rechten Szene sind sie eine Generation von Digital Natives, eine Generation, die internetaffin ist und sich sicher in sozialen Netzwerken, Foren von Online-Zeitungen und auf Videoplattformen bewegt. Sie agitieren gegen die Migration, schließen Menschen mit außereuropäischer Herkunft von der demokratischen Teilhabe aus. Geflüchtete und Migranten islamischen Glaubens werden von den „Identitären“ diffamiert. Die Flüchtlingskrise 2015 war ein Treiber.

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Was hat die verschärfte Einstufung konkret für Folgen?

Ein rechtlicher Grundsatz ist die Verhältnismäßigkeit. Auch im Kampf gegen die Verfassungsfeinde heiligt der Zweck nicht die Mittel. Die AfD ist ein Prüffall, ihr (rechter) „Flügel“ ein Verdachtsfall und die IBD nunmehr eindeutig extremistisch – drei Beispiele für drei verschiedene Stufen der Beobachtung.

Mit jeder höheren Stufe kann der Verfassungsschutz tiefer in seinen Werkzeugkasten greifen. Er kann gegen die IBD fortan nachrichtendienstliche Mittel einsetzen, sie abhören oder V-Leute in ihren Reihen führen. Das ist aber nicht der entscheidende Grund für die verschärfte Gangart. Solche Entscheidungen haben zumeist auch einen taktischen Hintergrund: Man will die Szene verunsichern, aufscheuchen und beobachten, wer sich solidarisiert oder umgekehrt von der Bewegung distanziert. Es ist eine Machtdemonstration des Staates.

Kündigt sich ein Strategiewechsel an?

Nach dem NSU-Skandal lag der Schwerpunkt auf den Kampf gegen rechts. Mit den islamistischen Attacken in Paris, Brüssel, Nizza, spätestens nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz in Berlin änderten sich die Prioritäten. Nach dem

Mord am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke

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    gehen die Sicherheitsbehörden nun wieder massiver gegen die rechte Szene vor.

    Das Innenministerium bereitet Verbote mehrerer Gruppierungen vor. Als Haldenwang im November 2018 sein neues Amt antrat, beschloss er, die Abteilung, die sich mit den Rechtsextremisten befasst, um 50 Prozent personell aufzustocken. Er hatte seit Langem den Eindruck, dass in der rechtsextremistischen Szene eine neue Dynamik entstanden war: hohe Vernetzung und Mobilisierung, Gewaltbereitschaft, vor allem suchte und fand die Szene Anschluss an das bürgerliche Spektrum.

    Wie aktiv sind die „Identitären“?

    Das Logo der „Identitären Bewegung“ auf der Jacke eines Mannes, der in Garmisch-Partenkirchen eine Konferenz des rechtspopulistischen Magazins Compact besucht. 20180929_zbp_b160_037 Copyright: xSachellexBabbarx
    Das Logo der „Identitären Bewegung“ auf der Jacke eines Mannes, der in Garmisch-Partenkirchen eine Konferenz des rechtspopulistischen Magazins Compact besucht. 20180929_zbp_b160_037 Copyright: xSachellexBabbarx © imago/ZUMA Press | Sachelle Babbar

    Sie haben mit mehreren Kampagnen unter Beweis gestellt, dass sie keine virtuelle Erscheinung sind. Im Mittelmeer charterten sie ein Schiff, um gegen die Seenotretter zu protestieren. In Berlin besetzten sie das Brandenburger Tor. In Halle haben die „Identitären“ vor zwei Jahren gar ein eigenes Hausprojekt gestartet. Für den 20. Juli haben sie dort eine große Demonstration und ein Sommerfest geplant. Bekannte Mitglieder der Bewegung wie der Österreicher Martin Sellner und der Leipziger Youtuber Alex Malenki haben sich angekündigt.

    Wie schlagkräftig ist die IBD?

    Die IBD hat nach eigenen Angaben 300 Mitglieder. Gemeinhin ging man von 500 Anhängern aus. Der Verfassungsschutz taxiert sie auf 600. Die Zahlen sind eine Orientierungsgröße. Die Behörden runden großzügig auf. Da ist eine hohe Dunkelziffer eingepreist.

    Die IBD ist europaweit vernetzt. Zu ihrer Geburtsstunde im Oktober 2012 notierten die Aktivisten auf Facebook: „Inspiriert durch die Generation Identitaire in Frankreich und die Identitäre Bewegung Österreich kam es zur Gründung der Identitären Bewegung.“ Bis heute führt man gemeinsame Aktionen – zum Beispiel „Defend Europe“ – durch und trifft sich jährlich zur Sommeruniversität in Frankreich.

    Österreichische Behörden gehen gegen dortige Gruppen der „Identitären Bewegung“ vor. Nach einer Spende an den Moschee-Attentäter von Christchurch droht dort das Ende der „Identitären“.

    Sind sie gewalttätig?

    Die „Identitären“ betonen ihre Friedfertigkeit. Nach den Recherchen des MDR häufen sich zumindest in Ostdeutschland die Straftaten, die IBD-Anhängern zugerechnet werden: Nötigung, Bedrohung und gefährliche Körperverletzung. Bei 15 Straftaten in Sachsen-Anhalt wurden 2016 und 2017 „Identitäre“ als Tatverdächtige ermittelt.

    Die „Identitären“ sagen, man versuche zwanghaft, ihnen Gewaltaffinität zu unterstellen. 90 Prozent der Anzeigen gingen auf Propagandadelikte – Kleben von Aufklebern, unangemeldete Versammlungen – zurück.

    Wie finanziert sich die IBD?

    Durch Mitgliedsbeiträge, Spenden, Merchandising. Man kann in ihrem Fanshop vieles kaufen, sogar selbst gebrautes Bier, „Pils Identitär“, sechs Flaschen für 24,99 Euro. Ein Spender war der Christchurch-Attentäter, der Anfang 2019 bei einem fremdenfeindlichen Anschlag 51 Menschen in Neuseeland ermordete. Die 1500 Euro, die er laut „Süddeutscher Zeitung“ überwies, gingen auf das Konto eines „Identitären“ aus Österreich.