Berlin. Die Lösung für das EU-Personalpaket naht: Am Sonntag fällt die Entscheidung. Manfred Weber bekommt wohl ein anderes Amt als er wollte.

Beim Poker um die wichtigsten Posten in der Europäischen Union ist schon vor dem entscheidenden Sondergipfel der EU-Regierungschefs am Sonntag eine Lösung in greifbarer Nähe. Nach Informationen unserer Redaktion hat demnach der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, der Niederländer Frans Timmermans, beste Chancen, Kommissionspräsident zu werden.

CSU-Vize Manfred Weber, der als Spitzenkandidat der christdemokratischen EVP selbst Anspruch auf dieses Amt erhoben hatte, wird stattdessen Präsident des EU-Parlaments. Das zeichnet sich nach Gesprächen von EU-Regierungschefs am Rande des G20-Gipfels in Osaka und Beratungen zwischen Timmermans und Weber ab. Die liberale EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager würde in diesem Paket EU-Außenbeauftragte.

Merkel: Timmermans und Weber beide Teil der Lösung

Eine Entscheidung fällt erst beim Gipfel am Sonntag, eine offizielle Bestätigung der Personallösung gibt es deshalb zunächst nicht. Ohnehin hat das EU-Parlament das letzte Wort, das die Präsidenten von Parlament und Kommission wählen muss. Bundeskanzlerin Angela Merkel widersprach bei einer Pressekonferenz im japanischen Osaka aber auf Nachfragen nicht Informationen, wonach Weber aus dem Rennen als Kommissionspräsident ist.

Merkel sagte, die beiden „echten Spitzenkandidaten“ Weber und Timmermans „sind im Gespräch und haben beide auf ihre Art und Weise dafür Sorge getragen, dass der Spitzenkandidatenprozess auch für die Zukunft erhalten bleibt.“ Beide würden „auf jeden Fall“ Teil der Lösung, dies sei ganz wichtig.

Bütikofer: Timmermans Kommissionspräsident, Weber Parlamentspräsident

Der Vorsitzende der Europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer, begrüßte die sich abzeichnende Lösung. Unserer Redaktion sagte er: „Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass Frans Timmermans Kommissionspräsident wird und Manfred Weber Parlamentspräsident, ist das aus meiner Perspektive eine gute Lösung.“

Damit werde das Spitzenkandidatenmodell bekräftigt, das von verschiedenen Seiten so heftig in Frage gestellt worden war, fügte Bütikofer hinzu. Dies stärke die europäische Demokratie. Mit Blick auf den Posten des Parlamentspräsidenten sagte der Grünen-Politiker: „Das Europäische Parlament wird in den kommenden fünf Jahren eine treibende Kraft sein für Europa. Und das brauchen wir auch angesichts der vielfältigen Herausforderungen intern und extern.“

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    EVP muss noch zustimmen – Konflikte wahrscheinlich

    Dem Personalpaket müsste aber auch noch die Europäische Volkspartei (EVP) zustimmen, der Weber und Merkel angehören. Dort stehen Konflikte bevor. Bislang hatte die EVP klar und geschlossen hinter Webers Bewerbung für das Amt des Kommissionspräsidenten gestanden; der Widerstand von Frankreichs Präsident Macron und einer Reihe anderer Regierungschefs, die Weber wegen mangelnder Regierungserfahrung ablehnen, war damit aber nicht zu brechen.

    In Webers Umfeld wurde betont, ein Beschluss könne erst in den Gremien der EVP am Sonntagnachmittag vor dem Gipfeltreffen der Regierungschefs fallen. Für die EVP sei das Prinzip des Spitzenkandidaten zentral, die EVP müsse sich als stärkste Kraft entsprechend wiederfinden, wurde betont. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die EVP nicht darauf bestehen wird, auf jeden Fall das Amt des Kommissionspräsidenten zu besetzen, was sie bisher unter Hinweis auf ihren Status als stärkste Gruppe im EU-Parlament getan hatte.

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      Das sind die übrigen konservativen Kandidaten

      Sollte es aber doch bei diesem Anspruch bleiben, sind statt Timmermans mehrere konservative Kandidaten im Gespräch: Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde (beide aus Frankreich), die frühere EU-Haushaltskommissarin Kristalina Georgiewa aus Bulgarien, der irische Premier Leo Varadkar und sein kroatischer Kollege Andrej Plenkovich. Dies würde aber zu einem Konflikt mit dem EU-Parlament führen, das mehrheitlich nur einen Präsidenten wählen will, der zuvor als Spitzenkandidat bei den Europawahlen angetreten ist.

      Merkel sagte nach den Gesprächen mit EU-Regierungschefs am Rande des G20-Gipfels in Osaka, es werde nach jetzigem Stand nicht zu einem Konflikt zwischen EU-Parlament und dem Rat der Regierungschefs kommen. Es sei allerdings noch Rücksprache mit den Regierungschefs notwendig, die nicht einer der großen Parteienfamilien der Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen angehörten.

      „Wir können nicht ganz ohne Rücksprache mit allen agieren und einfach nur innerhalb von Parteienfamilien miteinander reden“, sagte Merkel. „Aber wir sind auf einem Weg, der es vielleicht möglich machen wird, morgen doch zu einem Ergebnis zu kommen.“

      EU-Parlament beharrt auf Spitzenkandidaten-Regel

      Die Kanzlerin hatte noch beim letzten EU-Gipfel vor zehn Tagen ausgeschlossen, dass Timmermans oder die liberale Kandidatin Margrethe Vestager Kommissionspräsident werden könnten, wenn Weber mit seinen Ambitionen auf das Amt gescheitert sein sollte. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hatte erklärt, keiner der Spitzenkandidaten werde Chef der Kommission.

      In Osaka erklärte Merkel nun aber: „Es kristallisiert sich heraus, dass der Spitzenkandidatenprozess doch eine erheblichere Rolle spielt, als vielleicht nach dem letzten Europäischen Rat von einigen gesagt wurde. Das Parlament hat hier sehr klar erklärt, dass es zu diesem Konzept stehen will, und die Spitzenkandidaten sind jeweils untereinander auch sehr bemüht, eine Lösung zu finden.“

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      Doch ob das Personalpaket so Bestand hat, ist unklar. In Brüssel wurde betont, auch Timmermans Bewerbung könne beim Sondergipfel noch zu Kontroversen führen. Der Niederländer ist derzeit Erster Vizepräsident der EU-Kommission und hat in dieser Funktion scharfe Konflikte vor allem mit Polen und Ungarn wegen Rechtsstaatsverstößen ausgetragen.

      Die Regierungen beider Länder, aber auch andere osteuropäische Regierungschefs haben deshalb teils Widerstand angekündigt, teils große Bedenken gegen Timmermans geäußert. Sollte Timmermans scheitern, hätte auch noch die Dänin Vestager gute Chancen auf den Topposten. Unsicherheitsfaktor ist auch noch die Frage des Präsidentenpostens für die Europäische Zentralbank (EZB): Die Besetzung soll angeblich als Teil des Personalpakets an Frankreich fallen. Auch eine solche Entscheidung dürfte Merkel noch in Erklärungsnöte bringen.