Washington. Der iranische Präsident Ruhani hat Europa im Atomstreit ein Ultimatum gestellt. Die Gefahr einer Eskalation im Mittleren Osten steigt.

Ein Jahr nach dem einseitigen Ausstieg der USA aus dem internationalen Atom-Abkommen mit dem Iran spitzt sich die Lage im Mittleren Osten atmosphärisch so zu, dass Experten vor einer verstärkten Kriegsgefahr warnen.

Vorläufig letzter Auslöser für die Befürchtungen: Die Regierung in Teheran kündigte gestern an, die zur Herstellung von Atomwaffen nötige Anreicherung von Uran schrittweise wieder aufzunehmen und die Verbringung von Schwerwasser ins Ausland zu stoppen.

Ruhani stellt Ultimatum

Der iranische Präsident Hassan Ruhani hat einen Teilausstieg seines Landes aus dem Atomabkommen bekanntgegeben.
Der iranische Präsident Hassan Ruhani hat einen Teilausstieg seines Landes aus dem Atomabkommen bekanntgegeben. © dpa | Ebrahim Seydi

An die noch im Abkommen verbliebenen Regierungen in Frankreich, Großbritannien, China, Russland und Deutschland richtete Präsident Hassan Ruhani ein 60-tägiges Ultimatum. Wenn die Zusagen besagter Länder, Iran bei Öl-Exporten und im Finanzsektor zu helfen, bis dahin nicht eingehalten werden, werde sein Land weitere Bestandteile des vor vier Jahren unterzeichneten Abkommens aufgeben, das den Aufstieg des Iran zur Atommacht verhindern soll.

Ruhani erläuterte sein Handeln so: “Nach dem Ausstieg der USA haben die anderen fünf Vertragspartner versucht, den Deal mit Medikamenten am Leben zu halten. Aber wir glauben, dass eine chirurgische Operation nötig ist.”US-Präsident Donald Trump hatte das unter Vorgänger Obama erzielte Abkommen im Mai 2018 gegen breiten internationalen Protest verlassen.

Seither wurde der Iran mehrfach mit Sanktionen belegt. Trump will Teheran zu einem schärferen Abkommen an den Verhandlungstisch zwingen und befürwortet de facto eine Entmachtung des Mullah-Regimes. Die Europäische Union hält unterdessen gemeinsam mit China und Russland weiter am Atomabkommen fest.

Kern-Begründung: Teheran habe bisher alle Vorgaben erfüllt. Moskau sprach gestern von “unüberlegten und willkürlichen Entscheidungen” Washingtons, die “unzumutbaren Druck” für Teheran bedeuteten. Amerika hingegen hatte die Sanktionsschrauben gegen den Iran erst vor kurzem noch weiter angezogen.

Seit 1. Mai haben Länder, die weiter Öl aus Teheran beziehen, wirtschaftliche Strafmaßnahmen der USA zu gewärtigen. Washington will die wichtigste iranische Einnahmequelle komplett austrocknen. Teheran deutete an, als Gegenmaßnahme eventuell die Seestraße von Hormus zu sperren. Durch die Meerenge werden 20 Prozent der weltweiten Öl-Exporte verschifft.

Pompeo besuchte Bagdad statt Berlin

Der Flugzeugträger USS Abraham Lincoln wir in den Mittleren Osten verlegt.
Der Flugzeugträger USS Abraham Lincoln wir in den Mittleren Osten verlegt. © dpa | Kaitlin Mckeown

Im Gefolge dieser Drohung und angeblicher Erkenntnisse von US-Geheimdiensten über bevorstehende iranische Anschläge in der Golf-Region hatte Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton am Wochenende die Verlegung des Flugzeugträgers USS Abraham Lincoln und einer Bomberstaffel in den Mittleren Osten bekanntgegeben. Verstärkt wurde das Szenario durch eine Überraschungs-Visite von US-Außenminister Mike Pompeo am Dienstag in Bagdad, für die ein Besuch bei Kanzlerin Angela Merkel in Berlin kurz vorher abgesagt wurde.

Pompeo sagte dem irakischen Ministerpräsident Adel Abdul Mahdi, dass es “ernst zu nehmende Informationen“ über eine Bedrohung der 5200 im Irak stationierten US-Soldaten durch iranische Gruppen gebe.

Die erhöhte Militärpräsenz der USA in der Region diene darum der Abschreckung. “Ich hoffe, dass die Iraner es sich zwei Mal überlegen, ob sie amerikanische Interessen angreifen”, sagte Pompeo. Er sprach von “sehr konkreten Bedrohungen”, die “ziemlich bald” Wirklichkeit werden könnten. “Wir haben davon erfahren, und wir ergreifen jede Maßnahme, um sie abzuschrecken.”

Zwischenfall Anfang 2016

Ob damit auch die iranischen Revolutionsgarden gemeint sind, ließ Pompeo offiziell offen. Die USA hatten die Elite-Einheit kürzlich auf Drängen John Boltons zur Terror-Organisation erklärt. Der Ende 2018 zurückgetretene US-Verteidigungsminister Jim Mattis hatte vor diesem Schritt mehrfach gewarnt und dabei an einen Zwischenfall Anfang 2016 erinnert.

Zwei amerikanische Patrouillenboote waren damals im Golf wegen einer technischen Panne in iranische Gewässer geraten und dort von den Revolutionsgarden aufgebracht worden. Nach einem kurzen Austausch zwischen den Außenministern John Kerry und Mohammad Jawad Zarif, die sich durch die mehrjährigen Atom-Verhandlungen gut kannten, kamen die US-Marine-Soldaten nach wenigen Stunden frei. Eine gewaltsame Zuspitzung wurde frühzeitig verhindert.

Laut demokratischen Iran-Experten im Kongress gibt es diesen “Gesprächsdraht auf höchster Ebene nicht mehr”. Sollte es in naher Zukunft zu ähnlichen Fällen oder Missverständnissen kommen, werde die Gefahr einer ungewollten Eskalation steigen, “weil keine Instrumente zur Entschärfung vorhanden sind”. Denn: Der Iran reagierte reziprok auf den Umgang mit den Revolutionsgarden und stufte sämtliche US-Truppen im Nahen Osten als Terror-Gruppen ein.

Die demokratischen Senatoren Tom Udall und Dick Durbin hatten das Problem bereits im Frühjahr thematisiert und der Trump-Regierung den Vorwurf gemacht, “auf der Asche der verfehlten Irak-Strategie” erneut ein Militär-Manöver zu planen. Diesmal, um das Mullah-Regime in Teheran abzulösen.

Konfrontations-Risiko „besorgniserregend hoch“

Ali Vaez, Direktor der Iran-Abteilung bei der “International Crisis Group” sagte in einem Interview mit der Deutschen Welle, dass die Trump-Administration mit “ungewöhnlicher Kampfgier” gegen Iran argumentiere und vorgehe. Das Risiko einer Konfrontation sei “besorgniserregend hoch”.

Andere Beobachter irritiert die “Vagheit” der US-Behauptungen, wonach der Iran Attentate auf US-Truppen und Verbündete plane. Dahinter stecke John Bolton, erklärte Joe Cirincione, Präsident des für Abrüstung eintretenden “Ploughshares Fund” in Washington und erinnerte an ein für Bolton vernichtendes Porträt im Magazin „New Yorker“.

Darin wirft der frühere Außenministeriums-Mitarbeiter Tony Blinken dem Nationalen Sicherheitsberater aktuell vor, “geheimdienstliche Informationen zu manipulieren”, um das politische Klima für militärische Interventionen zu schaffen. Letzteres, halten andere Stimmen im Umfeld der Regierung dem entgegen, passe nicht ins Konzept von Präsident Donald Trump. Der hatte mehrfach betont, dass sich die USA militärisch nur noch in absoluten Notfällen engagieren würden.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Berlin erwartet Umsetzung des Abkommens


„Ein Krieg mit dem Iran würde voraussichtlich verheerende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben und Trumps Wiederwahl-Pläne gefährden”, sagte ein Regierungsberater. Auch darum hält Irans Außenminister Zarif die Rhetorik aus Washington weitgehend für “psychologische Kriegsführung”. Seine Regierung habe einen “Doktor-Titel in Sanktionen” und werde Mittel und Wege finden, die von Trump angeordneten wirtschaftlichen Verschärfungen zu umgehen, erklärte Zarif vor wenigen Wochen in New York.

Unterdessen appellierte die Bundesregierung in Berlin an Teheran nicht aus dem Atomabkommen auszuscheren. “Wir erwarten eine vollständige Umsetzung auch vom Iran”, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert. Frankreich hatte zuvor Sanktionen gegen den Iran nicht ausgeschlossen, wenn Bestandteile des Abkommens ignoriert würden.

(Dirk Hautkapp)