Schlehdorf. Europaweit sterben Ordensgemeinschaften aus. Nun stehen ihre imposanten Gebäude zum Verkauf. Ein Besuch im oberbayerischen Schlehdorf.

Fremde landen noch immer beim alten Kloster. Die Schlehdorfer schicken sie rauf auf den Hügel. Dort oben steht das jahrhundertealte Gebäude mit seiner grün-weißen Fassade, den zwei adretten Türmchen, dahinter die Berge. Eine rührselige Kulisse, in der sich ein ganzes Dorf wiedererkennt. Am Kloster angekommen aber wundert sich der Besucher.

Am Eingang hat jemand Yogakurse an das Schwarze Brett gepinnt. Daneben ein Schild, das auf ein gerade stattfindendes Meeting einer Immobilienfirma hinweist. Am Ende eines langen Ganges das Büro einer Firma mit dem Namen completeorganics. Nur Ordensschwestern sieht man hier nicht, nirgends.

Das alte Kloster wurde zu teuer

Hübsch, aber auf Dauer zu teuer: das alte Kloster der Missions-Dominikanerinnen in Schlehdorf.
Hübsch, aber auf Dauer zu teuer: das alte Kloster der Missions-Dominikanerinnen in Schlehdorf. © imago/Westend61 | imago stock

Sie sind ausgezogen. Manch ein Schlehdorfer will das noch nicht wahrhaben. Die Missions-Dominikanerinnen aus dem oberbayerischen Örtchen haben sich am unteren Ende des Hügels ein neues Kloster bauen lassen: eine modern geschnittene Kapelle mit Flachdach, daneben zwei Mehrfamilienhäuser.

Weiß, gedämmt, abwaschbar, Energieausweis: super. Man könnte auch sagen: geschichtslos, gesichtslos, ohne Charme. Sie hatten keine Wahl. Die Instandhaltung des alten Bauwerks aus dem 18. Jahrhundert war zu teuer geworden.

Wie verkauft man ein Kloster?

Der Orden schrumpft seit Jahren. Jetzt wollen die Schwestern das alte Kloster loswerden. 4,2 Millionen Euro soll es kosten. Zurzeit werden die Räume von einer Münchner Wohnungsbaugenossenschaft verwaltet und an Firmen vermietet. Nur: Wie verkauft man ein Kloster? Und an wen?

Schwester Margit atmet schwer. Sie hat sich fünf Treppen hinaufgeschleppt, durch einen langen Korridor vorgearbeitet. Vom obersten Stockwerk aus blickt sie durch die alten Fenster auf eine brachliegende Grünfläche. Früher haben die Schwestern hier im Garten Gemüse angebaut. Das ganze Dorf hat im Klosterladen eingekauft. Mittlerweile fehlt dafür die Kraft.

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    Die letzte Novizin trat vor 30 Jahren ein

    30 Schwestern sind sie noch. Die Älteste ist 96, die Jüngste 54 Jahre alt. Vor 30 Jahren ist das letzte Mal eine Novizin in den Orden eingetreten. „Wir konnten das Gebäude nicht mehr mit Leben füllen.“

    Solche Momente schmerzen. Schwester Margit hat ihr halbes Leben hier verbracht. Die Oberin des Ordens ist 64 Jahre alt, aber keine, die sich an Altem festklammert: Ihren Habit hat sie abgelegt, sie trägt Nike-Sneakers und einen Rock.

    Und nun, da sie sich vom Fenster abwendet, den langen, staubigen Gang sieht, weiß sie wieder, weshalb sich der Orden für den Auszug entschieden hat: Die weit auseinanderliegenden Schlafräume, die alten Sanitäranlagen, der Wasserschaden von vergangener Woche – all das hat doch auch ziemlich genervt.

    Sechsstellige Summe jährlich nur für die Instandhaltung

    Wenn die Schwestern mal wieder sentimental werden, dann packt Ralf Olbrück die Fakten aus. Er ist der Mann, der für den Orden auf die Zahlen schaut. Heute ist er nach Schlehdorf gekommen, um den neuesten Stand beim Klosterverkauf zu besprechen.

    Er sagt dann Sätze wie: „Das alte Kloster frisst die Rücklagen der Schwestern auf.“ Allein die Instandhaltung des Klosters habe doch jährlich eine niedrige sechsstellige Summe verschlungen. Die Sanierung der Großküche vor einigen Jahren habe „200.000 Euro gekostet“.

    Kölner Firma ist spezialisiert auf Kloster-Verkauf

    Seit 30 Jahren betreut Olbrück mit seiner Firma Prosecur die Finanzen der Schwestern. Prosecur sitzt in Köln, es ist europaweit eines der wenigen Unternehmen, das sich auf den Verkauf von Klöstern spezialisiert hat. Olbrück sucht derzeit für 18 Objekte in Deutschland, Österreich, Italien Käufer.

    Sie sind bereits umgezogen: die Missions-Dominikanerinnen von Schlehdorf.
    Sie sind bereits umgezogen: die Missions-Dominikanerinnen von Schlehdorf. © Theo Klein | Theo Klein

    Zunehmend müssen sich die Schwestern auf ihn verlassen, denn es ist keine mehr unter ihnen, die sich mit Buchhaltung und Geldanlage auskennen würde. Gleichzeitig ist das Finanzmanagement für den Orden wichtiger denn je – denn die Schwestern müssen für die Kosten ihrer Pflege im Alter und ihre Rente selbst aufkommen.

    Viele Orden trifft dieses Schicksal. Seit Jahren geht die Zahl der Menschen zurück, die sich für ein Leben im Kloster entscheiden. Ende 2018 gab es in Deutschland 14.257 Schwestern, 1997 waren es noch 33.699. Bei den Männern ist die Zahl noch niedriger: 2018 waren es 3511 Ordensmänner. Und so wird es hinter den Klostermauern zunehmend einsam.

    Das ganze Dorf will beim Kloster-Verkauf mitreden

    Doch ein Kloster wird man nicht so einfach los wie eine Einzimmerwohnung in Berlin. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Der Landrat, der Bürgermeister, das ganze Dorf will mitreden.

    Unzählige Briefe haben die Schwestern bekommen, viele Dorfbewohner fanden, dass Schlehdorf nicht mehr dasselbe sei, wenn sich die Schwestern aus dem alten Kloster zurückziehen. Zähneknirschend formuliert Bürgermeister Stefan Jocher Verständnis: Die Gründe für den Verkauf seien „äußerst schade, aber schlüssig“.

    Ordensschwestern haben Ansprüche an den Käufer

    Es hätte sich dennoch schnell ein Investor gefunden, der möglicherweise Eigentumswohnungen entwickelt hätte – schließlich liegt das Kloster nur eine halbe Autostunde vom Großraum München entfernt, wo Wohnen unbezahlbar geworden ist. Aber die Missions-Dominikanerinnen haben eine genaue Vorstellung von dem Käufer – so ist das bei den meisten Orden.

    Am liebsten wäre ihnen eine soziale Einrichtung. Weltlich-Lasterhaftes lehnen sie ab. Keine schnöde Hotelkette, der es nur um Profit geht, und natürlich: kein Kasino, kein Bordell. Kann doch nicht so schwer sein, ist es aber doch.

    Gebete sollen helfen – und ganz irdisches Marketing

    Einmal war eine Schule für Pflegekräfte im Gespräch, die ist dann aber wieder abgesprungen. Sogar in ihre Gebete schließen die Schwestern das Kloster ein – um den Prozess zu beschleunigen. „Gütiger Vater … lass unsere Vorstellungen, dass alle weiteren Räumlichkeiten dem Wohl bedürftiger Menschen zukommen, Wirklichkeit werden.“

    Olbrück hingegen vertraut auf irdisches Marketing. Er hat ein Exposé und ein Vermarktungskonzept erstellt. So macht er das bei allen Klöstern, die Anforderungen der Ordensgemeinschaften sind immer die gleichen.

    Münchner Genossenschaft hat Interesse

    „Ich prüfe, ob im Umkreis von 30 Kilometern eine karitative Einrichtung ein Gebäude sucht.“ Kaltakquise nennt er das. Sollte das nicht gelingen, bietet Olbrück die Klöster auch dem, wie er es nennt, „weltlichen Bereich“ an. So weit sind sie in Schlehdorf auch schon.

    Nachdem keine soziale Einrichtung Interesse angemeldet hatte, haben sie die Suche auf andere Investoren ausgeweitet. Mit Erfolg – eine Wohnungsgenossenschaft aus München will das Kloster kaufen. In den Räumen sollen Ateliers für Künstler und Wohnungen für die Mitglieder der Genossenschaft entstehen.

    Jetzt muss nur noch die Behörde zustimmen

    Die Schwestern sind zufrieden. Ob die Wohnungsgenossenschaft das Kloster kaufen kann, hängt nun von den Behörden ab. Denn mit dem Verkauf muss beim Landratsamt auch eine neue Flächennutzung beantragt werden.

    Vereinfacht gesagt muss ein Beamter von Sondergebiet Kloster auf Wohnen umstempeln. Die Bürokratie macht es komplizierter. Das Gebäude muss nun auf den neuesten Stand gebracht werden, etwa bei der Sicherheit und beim Brandschutz.


    Papierkram muss bis Ende Juni erledigt sein

    Das Landratsamt hat die Baugenehmigungen des Klosters der vergangenen 100 Jahre verlangt. Das waren allein 20 Genehmigungen, für die Olbrück ins Staatsarchiv gehen musste, um die Unterlagen zu suchen. „Da haben wir alleine schon 2000 Euro für Kopierkosten ausgegeben.“

    Olbrück ist sauer: „Das ist doch schizophren“, sagt er. Schließlich konnten die Schwestern jahrzehntelang in dem Gebäude leben, ohne dass sich jemand um den Papierkram gekümmert hätte. Ein Schelm, wer nun vermutet, dass da einer bewusst den Verkauf verzögern will.

    Die Genossenschaft jedenfalls macht nun Druck – bis Ende Juni soll der Papierkram erledigt sein, sonst will sie wieder abspringen. Für die Schwestern wäre das ein Rückschlag – sie müssten mit der Suche nach einem Käufer von vorne beginnen.

    Am Ende könnte doch noch ein Hotel einziehen

    „Wir hoffen, dass die Vernunft bei allen Entscheidungsträgern waltet“, sagt Olbrück. Denn wenn die Schwestern die Suche von vorne beginnen müssten, kämen sie der Haltung „wir nehmen, was kommt“ näher. Heißt: Vielleicht zieht dann doch ein profanes Hotel in das Gebäude ein.

    Denn weltlichen Zwängen können sich auch die Ordensschwestern nicht völlig entziehen: „Wir brauchen das Geld, um das, was wir für den Bau des neuen Klosters ausgegeben haben, in der Altersversorgung für die Schwestern wieder aufzufüllen“, sagt Olbrück.

    Es scheint, als wäre hier ein alter Orden plötzlich moderner und wendiger als die deutsche Bürokratie. Schwester Margit jedenfalls hat der Umzug gezeigt, um was es in ihrem Leben geht: „Um Spiritualität, nicht um irgendein Gebäude.“

    • Auch andernorts muss man erfinderisch werden, um sich zu finanzieren: Diese Nonne ist Deutschlands einzige Klosterbraumeisterin.

    (Anja Stehle)

    Das alte Kloster frisst die Rücklagen der Schwestern auf
    Ralf Olbrück,