Berlin. Die Zahl Organspenden ist zu niedrig. Die Politik sucht Wege, dies zu ändern. Mit diesem Vorschlag will die Grünen-Chefin punkten.

In der Debatte um die Zukunft der Organspende wird der Ton schärfer: „Wenn Spahns Widerspruchslösung kommt, gebe ich meinen Organspendeausweis ab“, sagte FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus unserer Redaktion.

Sie sei zwar überzeugte Spenderin, aber der Gesetzentwurf des Gesundheitsministers gehe deutlich zu weit. Auch viele ihrer Bekannten, die einen Spenderausweis ausgefüllt hätten, fühlten sich von Spahns Plänen bevormundet. „Die sagen jetzt: Das lasse ich mir nicht gefallen.“ Kein Einzelfall – auch deswegen gibt es eine Alternative, vorgestellt am Montag.

Organspende-Regelung: Neuer Vorschlag von Baerbock nach Spahn-Kritik

Es ist die bisher umstrittenste ethische Frage des Jahres: Wie lässt sich die Zahl der Organspender erhöhen? Zwei Gesetzentwürfe liegen jetzt vor.

Vorschlag Nummer eins: Alle Erwachsenen gelten in Zukunft automatisch als Spender – und müssen sich extra erklären, wenn sie kein Spender sein wollen.
Vorschlag Nummer zwei: Grundsätzlich gilt niemand als Spender, kann sich aber wie bisher schon bewusst dazu erklären, und wird dazu auch regelmäßig aufgefordert.

Der erste Vorschlag, die Widerspruchslösung, stammt von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Gegen Spahns Pläne hatte sich breiter Widerstand formiert. Der zweite Vorschlag wurde an diesem Montag in Berlin von einer parteiübergreifenden Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock vorgestellt, auch FDP-Politikerin Aschenberg-Dugnus unterstützt ihn.

Die Abgeordneten werfen Spahn und seinen Mitstreitern vor, mit seiner Lösung die Spendebereitschaft am Ende sogar zu senken. Das bedeutet Jens Spahns Widerspruchslösung.

Baerbock gegen Spahn: Beide Entwürfe im Juni zur Diskussion im Bundestag

Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit, stellte in der Bundespressekonferenz neue Organspende-Regeln vor.
Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit, stellte in der Bundespressekonferenz neue Organspende-Regeln vor. © dpa | Kay Nietfeld

Beide Entwürfe sollen noch im Juni in den Bundestag diskutiert werden, die endgültige Entscheidung soll im Herbst fallen. Bereits jetzt zeichnet sich ab: Egal, welcher der beiden Vorschläge sich am Ende durchsetzt, die Einführung eines digitalen Spenderregisters will eine große Mehrheit – diese Neuerung dürfte also in jedem Fall kommen.

Offen aber ist die Frage, wie rigide der Staat in Zukunft seine Bürger zur Organspende bewegen wird. Der Ton zwischen den beiden Gruppen ist deswegen mittlerweile rau: Spahns Widerspruchslösung „stößt die Menschen vor den Kopf“, sagte Baerbock. Das Modell übe zu viel Druck aus. Das sehen auch ihre Mitstreiterinnen so: Spahn werte Schweigen als Zustimmung, so Aschenberg-Dugnus: „Das ist nicht das Menschenbild, das wir haben“.

Spendebereitschaft „bewusste und freiwillige Entscheidung

Unions-Politikerin Karin Maag sieht das ähnlich: Die Spendebereitschaft sei eine „bewusste und freiwillige Entscheidung, die nicht erzwungen und auch nicht von der Gesellschaft erwartet werden kann.“ Der freiheitliche Staat dürfe den Bürgern keine Entscheidungspflichten auferlegen. Spahns Widerspruchslösung wecke Ängste und werde am Ende möglicherweise sogar die Spendebereitschaft senken. Es gehe aber um das Gegenteil: Die Stärkung der Entscheidungsbereitschaft.

Linken-Chefin Katja Kipping wies zudem daraufhin, dass viele Bürger gar nicht in der Lage seien, sich zu entscheiden, weil die Aufklärung, wie Spahn sie plane, gar nicht erreiche, oder weil sie nicht in der Lage seien, ihre Rechte zu verstehen und wahrzunehmen. Die Gefahr sei groß, dass etliche dieser Bürger in Spahns Modell künftig automatisch Spender seien – ein verfassungsrechtlich problematischer Schritt.

Baerbock-Gruppe: Alle zehn Jahre um Erklärung bitten

Der Vorschlag der Baerbock-Gruppe sieht im Detail vor, dass Bürger spätestens alle zehn Jahre bei der Verlängerung ihres Personalausweises um eine Erklärung zur Organspende gebeten werden. Die Entscheidung soll aber auch jederzeit über ein gesichertes Verfahren online von zu Hause aus getroffen oder geändert werden.

Der Gesetzentwurf der Gruppe um Baerbock sieht außerdem vor, dass Hausärzte Patienten bei Bedarf aktiv alle zwei Jahre über die Organ- und Gewebespende beraten und sie zur Eintragung ins Online-Register ermutigen. Aber zum Beispiel auch darüber aufklären, wer als Spender in Frage kommt oder wie die Todesfeststellung vor einer Organspende abläuft. Die Gruppe rechnet mit einer breiten Mehrheit im Bundestag: In der Union hätten viele „auf eine solche Regelung gewartet“, so Maag. FDP und Grüne haben sich bereits mehrheitlich hinter den Vorschlag gestellt.

Organspender in Deutschland.
Organspender in Deutschland. © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH

Organspenden-Regelung: Stiftung Patientenschutz begrüßt Entscheidungs-Ansatz

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte, dass die Gruppe um Baerbock auf eine ausdrückliche Entscheidung zur Organspende setze. Im Gegensatz dazu mache die Widerspruchslösung jeden automatisch zum Spender.

„Es wird gehofft, dass der Bürger sich mit der Organspende nicht beschäftigt und schweigt“, kritisierte Vorstand Eugen Brysch. „Schweigen heißt aber nicht Zustimmung. So wird das Misstrauen in der Bevölkerung eher verstärkt.“

Unabdingbar sei für Brysch vielmehr eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema. Dazu brauche es eine sachliche, neutrale und ergebnisoffene Aufklärung und Beratung. Zudem müsse klar sein, dass jede Entscheidung respektiert werde, egal wie sie ausfällt – auch, wenn sich jemand noch nicht entscheiden möchte.

Patientenschützer: Entwürfe gehen Grundproblem nicht an

Patientenschützer Brysch monierte, beide Entwürfe gingen das zentrale Problem nicht an. „Das bestehende Organspendesystem ist intransparent und verunsichert viele Menschen.“ Daher müsse der Gesetzgeber tätig werden.

„Das Transplantationssystem gehört in staatliche Hände.“ Der Staat dürfe sich bei der Verteilung von Lebenschancen nicht weiter von privaten Institutionen abhängig machen.

Außerdem bräuchten Patienten auf Organ-Wartelisten mehr Rechtssicherheit. „Denn bis heute ist unklar, ob Zivil-, Sozial- oder Verwaltungsgerichte zuständig sind, wenn Entscheidungen überprüft werden müssen“, so Brysch. (Julia Emmrich; mit dpa)