Paris. Die Protestbewegung der Gelbwesten in Frankreich hat ihre Unschuld verloren. Sie zeigt inzwischen zunehmend eine hässliche Fratze.

Ihre Zahl nimmt ab, aber sie sind immer noch da. Zum 14. Mal in Folge sind die Gelbwesten am vergangenen Wochenende auf die Straße gegangen. 41.000 Wutbürger zählten die Behörden landesweit, zu Beginn des Aufstandes Mitte November waren es noch 280.000 gewesen.

Wie gehabt kam es erneut zu mehreren schweren Zusammenstößen mit den Ordnungshütern und zu Sachbeschädigungen. Für großen Wirbel sorgte zudem ein übler verbaler Angriff auf den jüdischen Philosophen Alain Finkielkraut, den einige Pariser Demonstranten auf der Straße erkannt hatten.

Gelbwesten beschimpften Philosophen als „Judensau“

Der streitbare Intellektuelle war beim Verlassen eines Wohnhauses in den Aufmarsch der Gelbwesten geraten, wurde sofort umzingelt, bedroht und als „Judensau“, „Scheißzionist“ oder „Drecksrasse“ beschimpft.

Herbeieilende Polizisten mussten den sich laut eigenen Worten in „großer Angst“ befindenden 69-Jährigen vor dem hasserfüllten Mob in Sicherheit bringen. Strafanzeige wollte das Mitglied der Académie française zwar nicht erstatten. Trotzdem leitete die Pariser Staatsanwaltschaft Ermittlungen ein.

Zahl antisemitischer Vorfälle sprunghaft angestiegen

Sprecher der Gelbwesten werden seither nicht müde, sich von dem „Einzelfall“ zu distanzieren und zu beteuern, dass ihre Bewegung keineswegs antisemitisch sei. Mit dem gleichen ­Nachdruck beschwören sie nach jedem von schweren Ausschreitungen begleiteten Demonstrationstag ihre „prinzipielle Friedfertigkeit“ oder weisen mit Entrüstung den Verdacht zurück, von rechtsextremen Gruppierungen unterwandert zu sein.

Gravierende Schäden durch Proteste der „Gelbwesten“

In Paris wird am Tag nach den „Gelbwesten“-Protesten aufgeräumt: Viele Scheiben gingen zu Bruch, es gab Festnahmen und viele Verletzte. Hier werden Schutzwänden auf der Champs-Elysees wieder abgebaut.
In Paris wird am Tag nach den „Gelbwesten“-Protesten aufgeräumt: Viele Scheiben gingen zu Bruch, es gab Festnahmen und viele Verletzte. Hier werden Schutzwänden auf der Champs-Elysees wieder abgebaut. © dpa | Christian Böhmer
Paris: Eine zerbrochene Schaufensterscheibe auf der Champs-Elysees zeugt von der Wut der Proteste.
Paris: Eine zerbrochene Schaufensterscheibe auf der Champs-Elysees zeugt von der Wut der Proteste. © dpa | Christian Böhmer
Restaurant-Scheibe auf der Champs-Elysees.
Restaurant-Scheibe auf der Champs-Elysees. © dpa | Christian Böhmer
In Paris spielten sich am Samstag diese Szenen ab. Die Polizei geht mir großer Härte gegen eine Demonstration von Studenten vor.
In Paris spielten sich am Samstag diese Szenen ab. Die Polizei geht mir großer Härte gegen eine Demonstration von Studenten vor. © dpa | Uncredited
Am Samstagnachmittag hatte sich die Lage in Paris zugespitzt. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein. Mehr als 264 Menschen wurden landesweit bei Protesten verletzt, darunter auch Sicherheitskräfte.
Am Samstagnachmittag hatte sich die Lage in Paris zugespitzt. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein. Mehr als 264 Menschen wurden landesweit bei Protesten verletzt, darunter auch Sicherheitskräfte. © dpa | Thibault Camus
In Marseille brennen am Samstag Autos...
In Marseille brennen am Samstag Autos... © dpa | Claude Paris
...und Mülltonnen.
...und Mülltonnen. © dpa | Claude Paris
Bilder der Proteste der „Gelbwesten“ am Samstag in Paris. Die Polizei nahm mehr als tausend Menschen fest, setzte Tränengas ein und brachte gepanzerte Fahrzeuge in Stellung.
Bilder der Proteste der „Gelbwesten“ am Samstag in Paris. Die Polizei nahm mehr als tausend Menschen fest, setzte Tränengas ein und brachte gepanzerte Fahrzeuge in Stellung. © dpa | Rafael Yaghobzadeh
Am Rande der Demonstrationen brannten Weihnachtsbäume.
Am Rande der Demonstrationen brannten Weihnachtsbäume. © Getty Images | Jeff J Mitchell
Die Polizei setzte Schlagstöcke und Tränengas ein.
Die Polizei setzte Schlagstöcke und Tränengas ein. © dpa | Thibault Camus
Auch in der belgischen Hauptstadt Brüssel wurde demonstriert, auch hier gab es Festnahmen.
Auch in der belgischen Hauptstadt Brüssel wurde demonstriert, auch hier gab es Festnahmen. © dpa | Geert Vanden Wijngaert
In Belgien und den Niederlanden demonstrieren Menschen nach französischem Vorbild. In Brüssel steht eine Demonstrantin zwischen den Strahlen von Wasserwerfern.
In Belgien und den Niederlanden demonstrieren Menschen nach französischem Vorbild. In Brüssel steht eine Demonstrantin zwischen den Strahlen von Wasserwerfern. © dpa | Francisco Seco
Einsatzfahrzeuge der Bereitschaftspolizei sind auf der Busspur der Avenue de l'Opera in Paris zu sehen. Frankreichs Regierung fürchtet weitere Ausschreitungen in der Hauptstadt und will mit einem massiven Aufgebot von Sicherheitskräften eine Eskalation verhindern.
Einsatzfahrzeuge der Bereitschaftspolizei sind auf der Busspur der Avenue de l'Opera in Paris zu sehen. Frankreichs Regierung fürchtet weitere Ausschreitungen in der Hauptstadt und will mit einem massiven Aufgebot von Sicherheitskräften eine Eskalation verhindern. © dpa | Christian Böhmer
Menschenleer war der Innenhof mit der Pyramide des Louvre-Museums. Am Samstag blieben Sehenswürdigkeiten wie Louvre, Eiffelturm oder Musée d’Orsay sowie viele Metrostationen geschlossen bleiben.
Menschenleer war der Innenhof mit der Pyramide des Louvre-Museums. Am Samstag blieben Sehenswürdigkeiten wie Louvre, Eiffelturm oder Musée d’Orsay sowie viele Metrostationen geschlossen bleiben. © dpa | Christian Böhmer
Der Eingang zum geschlossenen Eiffelturm. Erstmals im Zuge der „Gelbwesten“-Proteste kamen auch gepanzerte Fahrzeuge in Paris zum Einsatz.
Der Eingang zum geschlossenen Eiffelturm. Erstmals im Zuge der „Gelbwesten“-Proteste kamen auch gepanzerte Fahrzeuge in Paris zum Einsatz. © dpa | Christian Böhmer
Berittene Polizisten patrouillierten auf der Rue de Rivoli unweit des Louvre-Museums.
Berittene Polizisten patrouillierten auf der Rue de Rivoli unweit des Louvre-Museums. © dpa | Christian Böhmer
Insgesamt waren in Frankreich während der Proteste 89.000 Polizisten und Ordnungskräfte im Einsatz.
Insgesamt waren in Frankreich während der Proteste 89.000 Polizisten und Ordnungskräfte im Einsatz. © dpa | Thibault Camus
Das Museum Grand Palais blieb ebenso wie das gegenüber liegende Museum Petit Palais am Samstag geschlossen.
Das Museum Grand Palais blieb ebenso wie das gegenüber liegende Museum Petit Palais am Samstag geschlossen. © dpa | Sabine Glaubitz
Schüler stehen hinter einer brennenden Mülltonne. Seit mehreren Wochen demonstrieren Anhänger der „Gelbwesten“ im ganzen Land. Mittlerweile gibt es auch Proteste an französischen Gymnasien, Schüler wehren sich gegen Reformen im Bildungsbereich.
Schüler stehen hinter einer brennenden Mülltonne. Seit mehreren Wochen demonstrieren Anhänger der „Gelbwesten“ im ganzen Land. Mittlerweile gibt es auch Proteste an französischen Gymnasien, Schüler wehren sich gegen Reformen im Bildungsbereich. © dpa | Bob Edme
„Schließt euch uns an“ steht auf dem Schild dieser Frau. Diesem Aufruf sind viele gefolgt.
„Schließt euch uns an“ steht auf dem Schild dieser Frau. Diesem Aufruf sind viele gefolgt. © dpa | Bob Edme
„Solidarität mit Ausländern“ fordern diese Studierenden.
„Solidarität mit Ausländern“ fordern diese Studierenden. © dpa | Christophe Ena
Bereits am vergangenen Wochenende war es bei Protesten der „Gelben Westen“ in Paris zu Krawallen und mehreren Hundert Festnahmen gekommen.
Bereits am vergangenen Wochenende war es bei Protesten der „Gelben Westen“ in Paris zu Krawallen und mehreren Hundert Festnahmen gekommen. © dpa | Kamil Zihnioglu
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Zu antisemitischen Vorfällen und ­Hakenkreuzschmierereien ist es im Umfeld der Proteste aber gerade in den letzten Wochen immer wieder gekommen. Von Beginn an gab es zudem in den sozialen Netzwerken, über die die Gelbwesten sich fast ausschließlich organisieren, eine antisemitisch gefärbte Hetze gegen den ehemaligen Rothschild-Banker Emmanuel Macron, der vom jüdischen Großkapital im Élysée-Palast installiert worden sei.

Rund 80 jüdische Gräber mit Hakenkreuzen beschmiert

Nach einer Gräberschändung auf dem jüdischen Friedhof von Quatzenheim hat Staatschef Emmanuel Macron am Dienstag den elsässischen Ort besucht. Er sicherte dort zu, dass der Staat auf diese Taten reagieren werde. „Wir werden Maßnahmen ergreifen, wir werden Gesetze entscheiden und wir werden bestrafen“, sagte Macron.

Auf dem Friedhof der Gemeinde wurden rund 80 Gräber mit Hakenkreuzen beschmiert. Die Zahl antisemitischer Vorfälle war im vergangenen Jahr sprunghaft angestiegen. Am Abend waren in Paris und in den Regionen Demonstrationen gegen den Antisemitismus ­geplant. Macron besuchte die Schoah-Erinnerungsstätte in der Hauptstadt.

Mann durch Blendgranate verletzt

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    Ihre Radikalisierung und falsche Freunde lassen die Gelbwesten zusehends ins gesellschaftliche Abseits driften. Der lange Zeit große Rückhalt der Protestbewegung in der Bevölkerung bröckelt von Woche zu Woche. Und deutlich mehr als die Hälfte der Franzosen sprechen sich inzwischen für ein Ende der Demonstrationen aus.

    Hintergrund:

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