München. Autozölle, Iranabkommen, Afghanistan: Noch nie war der transatlantische Graben nach dem Zweiten Weltkrieg tiefer. Gibt es Hoffnung?

Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Europa so belastet wie heute. Der rhetorische Schlagabtausch zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Vizepräsident Mike Pence auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat dies schlaglichtartig deutlich gemacht.

Die Großveranstaltung mit rund 30 Staats- und Regierungschefs und 90 Ministern am Wochenende hat bei den drängenden Konflikten keine Annäherung gebracht. Das sind die größten Streitpunkte:

• Streitpunkt Zölle auf Autos

Die Androhung von US-Importzöllen auf europäische Autos schwebt seit längerer Zeit wie ein Damoklesschwert über der EU. Kanzlerin Merkel erklärte in München, dass das amerikanische Handelsministerium offensichtlich in den Einfuhren aus Europa ein Risiko für die nationale Sicherheit der USA sehe. Auf Grund dieser Einschätzung könnte Präsident Trump innerhalb von 90 Tagen Zölle verhängen. EU droht US-Präsident Trump jetzt mit Vergeltungszöllen.

Er hatte dies in der Vergangenheit mehrmals mit dem Hinweis angedeutet, dass die EU-Zölle auf amerikanische Autos höher seien als in umgekehrter Richtung. Das sei für Deutschland erschreckend, sagte Merkel in München. Der Wert europäischer Auto- und Autoteilexporte in die USA wurde zuletzt von der EU-Kommission auf mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

• Streitpunkt Iran

Die amerikanische Regierung setzt auf einen knallharten Sanktionskurs gegen Teheran. Vizepräsident Pence hat den Mullahs in München „Antisemitismus“ und die Vorbereitung eines „neuen Holocausts“ vorgeworfen. Das Land habe trotz des internationalen Atomabkommens nukleare Ambitionen.

Dadurch würden Israel und die arabischen Golfstaaten bedroht. Deshalb fordert Amerika, dass auch die Europäer den Atomvertrag kündigen und den Iran wirtschaftlich isolieren.

Deutschland, Frankreich und Großbritannien halten dagegen. Die Vereinbarung verhindere gerade, dass das nahöstliche Land an Kernwaffen gelange. Sie haben deshalb eine Zweckgesellschaft gegründet, die die Finanzierung des Handels zwischen Europa und dem Iran ermöglichen soll.

Einig sind die USA und die Europäer hingegen, dass die Einmischung Teherans in regionale Konflikte unterbunden werden müsse. Auch rügen beide Seiten das Raketenprogramm des Landes.

Der iranische Außenminister Dschawad Sarif warf den USA am Sonntag in München „eine bösartige Besessenheit mit dem Iran“ und „destruktiven Abenteuergeist“ vor. Amerika setze alles daran, in Teheran einen Regime-Wechsel zu erzwingen.

An die Adresse der EU gerichtet sagte Sarif, die Gründung einer Zweckgesellschaft reiche nicht aus, um das Atomabkommen zu retten. „Europa muss sich trauen, ein nasses Fell zu bekommen, wenn es gegen den Strom des gefährlichen US-Unilateralismus schwimmt.“

• Streitpunkt Erdgas-Pipelineprojekt Nord Stream 2

Die USA werfen Deutschland vor, sich mit der Gas-Leitung durch die Ostsee zu abhängig von russischem Gas zu machen. Das schade den Sicherheitsinteressen der Nato. Vizepräsident Pence verknüpfte die Erdgas-Frage mit dem Schutzschirm der Amerikaner für Europa: „Wir können die Verteidigung des Westens nicht garantieren, wenn unsere Bündnispartner sich vom Osten abhängig machen.“

Washington droht Unternehmen, die bei Nord Stream 2 mitmachen, mit Sanktionen. Die US-Regierung verfolgt allerdings auch nationale Interessen. Sie will künftig verstärkt das durch Fracking gewonnene Schiefergas nach Europa exportieren.

Die EU sieht das Nord-Stream-2-Vorhaben kritisch. In einer kürzlich verabschiedeten Richtlinie hat sie Auflagen festgelegt. So dürfen der Betreiber der Pipeline und der Produzent des Gases nicht identisch sein. Die Bundesregierung zieht sich darauf zurück, dass es ein rein wirtschaftliches Projekt sei.

Kanzlerin Merkel entgegnete in München kühl, dass im Grundsatz kein Unterschied bestehe, ob russisches Gas per Pipeline auf dem Landweg oder über die Ostsee nach Europa geliefert wird. „Ein russisches Gasmolekül bleibt ein russisches Gasmolekül, egal, ob es über die Ukraine kommt oder ob es über die Ostsee kommt.“

• Streitpunkt Verteidigungsausgaben

Die USA drängen vor allem Deutschland, mehr für Verteidigung auszugeben. Sie pochen auf die Umsetzung der Nato-Vereinbarung von 2014. Damals haben die Mitglieder versprochen, sich bis 2024 dem Ziel anzunähern, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben.

Zwar hat die Bundesregierung den Wehretat schon deutlich erhöht. Mit voraussichtlich rund 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr liegt er aber deutlich unter der Nato-Marke von zwei Prozent. Bis 2024 sind 1,5 Prozent angepeilt. Update: Milliardenprojekt: Merkel will eigenen Flugzeugträger

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen unterstrich in München, dass seit 2014 das Budget um 36 Prozent gestiegen sei. Bis 2024 würde das Plus 80 Prozent betragen. Deutschland leiste aber bereits heute einen erheblichen Beitrag für die Nato. Die Bundeswehr beteilige sich an einer Vielzahl von Auslandseinsätzen wie in Afghanistan, im Baltikum oder in Mali. Sie stelle das zweitgrößte Truppen-Kontingent im Bündnis.

Merkel nutzte die Sicherheitskonferenz für Kritik an den USA.
Merkel nutzte die Sicherheitskonferenz für Kritik an den USA. © Getty Images | Alexandra Beier

• Streitpunkt US-Rückzug aus Afghanistan und Syrien

US-Präsident Donald Trump hat ohne Abstimmung mit den Nato-Verbündeten einen Teil-Abzug amerikanischer Truppen aus Afghanistan sowie einen Abzug aus Syrien angekündigt. Die Verunsicherung bei den Allianz-Partnern ist groß, auch wenn die USA im Nachhinein Absprachen darüber zugesichert haben.

Washington führt derzeit Gespräche mit den radikalislamischen Taliban am Hindukusch. Deutschland warnt davor, die Afghanen jetzt im Stich zu lassen. Ohne ausreichende Fähigkeiten der USA im Land müsse der Nato-Einsatz dort beendet werden. Die Bundesregierung pocht auf gemeinsame Absprachen.

Für Irritationen sorgte die Forderung von Vizepräsident Pence, wonach die Verbündeten die abgezogenen US-Truppen in Syrien ersetzen sollen. „Wir wollen unsere Soldaten nach Hause bringen“, sagte Pence. „Also bitten wir andere Nationen darum mitzumachen und nötige Ressourcen, Unterstützung und Personal bereitzustellen, um das Gebiet zu sichern und zu verhindern, dass die Terrormiliz IS oder jede andere extremistische Organisation erstarken oder ihr Gebiet zurückerobern.“

Dass Länder wie Deutschland Soldaten zur Verfügung stellen, ist allerdings unwahrscheinlich. Als Voraussetzung gilt ein UN-Mandat. Darüber hinaus hat Trump die Europäer zur Aufnahme und Verurteilung von Hunderten von gefangenen IS-Kämpfern aufgerufen. Andernfalls wären die USA gezwungen, die Islamisten auf freien Fuß zu setzen.

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• Streitpunkt INF-Vertrag über Mittelstreckenraketen

Die Kündigung des INF-Vertrags durch die USA und danach durch Russland hat in Europa die Sorge vor einer neuen atomaren Bedrohung ausgelöst. Die Amerikaner werfen den Russen vor, bereits seit Jahren landgestützte Mittelstreckenraketen zu stationieren – was Moskau bestreitet. Nach dem 1987 unterzeichneten amerikanisch-russischen INF-Abkommen ist dies verboten.

Vor allem in Deutschland grassiert die Angst vor einer Nachrüstungsdebatte wie in den 80er- Jahren. Die Nato hofft, innerhalb der nächsten sechs Monate Russland zurück an den Verhandlungstisch zu bringen.

Die Bundesregierung will auch Länder wie China in ein neues Vertragswerk über das Verbot von landgestützten Mittelstreckenraketen einbinden, um ein weltweites Wettrüsten zu vermeiden. Der oberste Außenpolitiker Chinas, Yang Jiechi, lehnte dies jedoch in München ab.

Verhältnis Europa – USA: Es gibt Hoffnungsschimmer

Trotz der zahlreichen Reibungspunkte gibt es Bereiche, in denen die Partnerschaft zwischen den USA und Europa gut funktioniert. Die Zusammenarbeit der Geheimdienste – vor allem mit Blick auf den Austausch von Daten im Kampf gegen den Terror – hat sich verbessert. Auch die Kooperation bei der Abwehr von Cyberangriffen wird enger. Die westlichen Dienste wollen sich gemeinsam gegen Attacken aus Russland, China und dem Iran wappnen.

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz waren neben Vizepräsident Pence mehr als 50 amerikanische Mitglieder des US-Kongresses vertreten – die größte amerikanische Delegation seit Gründung der Großveranstaltung. Vertreter der Bundesregierung haben betont, dass sowohl bei Republikanern als auch bei Demokraten ein hohes Interesse am Austausch mit europäischen Partnern bestehe.

„Es gibt im Kongress einen parteiübergreifenden Konsens, dass Amerika die Verbündeten in der Nato braucht“, sagte der republikanische Abgeordnete Michael Turner aus dem Bundesstaat Ohio.