Berlin/Athen. Früher liebte Alexis Tsipras es, Angela Merkel zu attackieren. Heute braucht er die Kanzlerin. Nun treffen sich die beiden in Athen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weiß, warum sie sich seit 2014 nicht in Griechenland hat sehen lassen. Zu groß war dort der Ärger über das „Spar-Diktat“ aus Berlin und Brüssel, das in dem südosteuropäischen Land zu heftigen Lohn- und Rentenkürzungen geführt hatte. Merkel galt dort, zusammen mit dem ehemaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), lange Zeit als Staatsfeind Nummer eins.

Nun peilen Deutschland und Griechenland wieder vertrauensvolle Beziehungen an. Merkel wurde am Donnerstag zum Auftakt ihres zweitägigen Griechenlandbesuchs von Tsipras, herzlich empfangen. „Heute kommen Sie in ein völlig anderes Griechenland. Eins, das Wachstum erzielt“, sagte Tsipras bei der Begrüßung der Kanzlerin.

Griechenland sei „Teil der Lösungen und nicht das Problem“, fügte er hinzu. Die früheren Spannungen zwischen Athen und Berlin seien überwunden. Merkel würdigte die Anstrengungen des griechischen Volkes der letzten Jahre. Griechenland könne nun eine „wichtige Rolle im Südosten Europas spielen“.

Konfrontation hat sich in gute Beziehung gewandelt

Angela Merkel und Alexis Tsipras bei ihren ersten Gesprächen am Donnerstag.
Angela Merkel und Alexis Tsipras bei ihren ersten Gesprächen am Donnerstag. © REUTERS | COSTAS BALTAS

Im Wahlkampf 2014 hatte Tsipras noch gegen Merkel als „gefährlichste Politikerin Europas“ gepoltert. Ihre Politik gleiche einem „sozialen Holocaust“, giftete er. Es war die Zeit, als die Kanzlerin in Parteiblättern von Tsipras’ Linksbündnis Syriza mit Hitlerbärtchen abgebildet wurde. Heute hingegen hat sich die frühere Konfrontation in eine fast wundersame Beziehung gewandelt.

Merkels Eintreten für eine „europäische Lösung“ bei der Flüchtlingskrise kam in Griechenland gut an. Dort hatten sich die Migranten nach Schließung der Balkanroute 2016 gestaut. Nach seiner Wahl im Januar 2015 ging Tsipras die Kanzlerin nicht mehr frontal an. Er setzte zumindest einige Punkte des von der EU geforderten Reform-Programms durch. Aus dem Saulus wurde ein Paulus.

Auch bei einem anderen Thema bewegten sich Merkel und Tsipras aufeinander zu. So unterstützt die Kanzlerin den Versuch ihres griechischen Amtskollegen, den Namensstreit mit dem Nachbarland Mazedonien beizulegen. Dies gilt als eine wichtige Voraussetzung für EU- und Nato-Beitritt des Landes.

Tsipras’ Koalitionspartner droht mit Ausstieg aus Regierung

Die Regierungen in Athen und Skopje hatten sich darauf geeinigt, dass Mazedonien künftig in „Nord-Mazedonien“ umbenannt werden soll. In der rechten und der linken Opposition in Griechenland ist dies jedoch hoch umstritten. Dort befürchtet man, dass das Land „Nord-Mazedonien“ künftig Gebietsansprüche an die griechische Region Makedonien stellen könnte.

Tsipras’ Koalitionspartner, die rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“, hat bereits mit dem Auszug aus der Regierung gedroht. Noch im Januar will das griechische Parlament über die Umbenennung entscheiden. Geht der Vorstoß durch, könnte es vielleicht schon im März zu Neuwahlen kommen.

Regulär läuft die Legislaturperiode im September aus. Glaubt man den Demoskopen, kann Tsipras nicht mit seiner Wiederwahl rechnen. In einer aktuellen Umfrage liegt seine Syriza mit 10,5 Prozent hinter der konservativen Nea Dimokratia. 63 Prozent der Befragten sehen das Land unter Tsipras „auf einem falschen Weg“.

Griechenland hat ein Viertel seiner Wirtschaftskraft verloren

Dass Tsipras schlechte Noten bekommt, ist vor allem der Wirtschaftslage geschuldet. Griechenland hat zwar Ende August den Euro-Rettungsschirm verlassen. Der Premier sprach von einem „historischen Datum“ und feierte das Ende der Hilfsprogramme als „Befreiung“. Aber die Krise ist damit nicht vorbei.

Demonstranten, die gegen den Merkel-Besuch, am Donnerstagabend in Athen.
Demonstranten, die gegen den Merkel-Besuch, am Donnerstagabend in Athen. © REUTERS | ALKIS KONSTANTINIDIS

Das Land ist ausgezehrt. In den acht Rezessionsjahren wurde ein Viertel der Wirtschaftskraft vernichtet, die Menschen verloren im Durchschnitt ein Drittel ihrer Einkommen und 40 Prozent ihrer Vermögen. Seit 2017 wächst die Wirtschaft zwar wieder, aber schwächer als erwartet. Die meisten Menschen spüren noch keinen Aufschwung. Die Arbeitslosenquote sinkt zwar langsam, ist mit fast 19 Prozent aber immer noch die höchste in der Europäischen Union.

Auch Merkel dürfte den Unmut vieler Griechen am Freitag zu spüren bekommen. Oppositionsparteien von links und rechts haben Demonstrationen gegen die „Spar-Kanzlerin“ angekündigt. Und Präsident Prokopis Pavlopoulos wird vermutlich mit dem Thema Reparationen einen Dauerbrenner aufs Tapet bringen: Das griechische Parlament will sich in den kommenden Monaten mit den Forderungen an Deutschland für Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg befassen. Eine eigens berufene Expertenkommission hatte den Umfang der Kriegsschäden auf mindestens 289 Milliarden Euro beziffert.