Brüssel/Warschau. Wenige Monate vor den Wahlen zum EU-Parlament verbünden sich die rechten Parteien. Experten glauben, sie könnten stärkste Kraft werden.

Wenn es um Europa geht, spuckt Italiens Innenminister Matteo Salvini gern große Töne: Bei der Wahl zum Europaparlament im Mai wollten er und seine Verbündeten „die Revolution des Wandels“ nach Europa bringen, dröhnte der Parteichef der italienischen Lega in seiner Neujahrsansprache. Die Feinde Europas hätten sich „im Bunker von Brüssel verschanzt“, schimpft er.

Die schlimmsten Feinde seien Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici, die Angst über die Menschen brächten. Doch nach der Wahl im Mai werde sich die politische Landschaft in Europa ändern. Der Lega-Chef sagt: „Wir müssen groß träumen.“

Salvini steht mit seinen Parolen gegen die EU und für ein „Europa der Vaterländer“ nicht allein. Gut vier Monate vor der Wahl sammeln sich Europas Rechtspopulisten zur Attacke auf die Brüsseler Institutionen.

Mit den französischen Rechtsradikalen um Marine Le Pen hat sich die Lega schon verbündet, am Mittwoch legte Salvini bei einer Visite in Warschau das Fundament für eine Allianz auch mit der rechtsnationalen PiS, der polnischen Regierungspartei. „Polen und Italien werden Teil eines neuen europäischen Frühlings“, erklärte Salvini.

AfD mischt bei rechter Sammlungsbewegung mit

Führt die französische Rechte an: Marine Le Pen.
Führt die französische Rechte an: Marine Le Pen. © dpa | Olivier Hoslet

Der Plan vom großen Schulterschluss schließt die deutsche AfD und die österreichische FPÖ ebenso ein wie die Schwedendemokraten oder die belgische N-VA, vielleicht sogar die Fidesz-Partei des ungarischen Premiers Viktor Orbán.

Nach Umfragen können Gegner und Kritiker der EU bei den Europawahlen mit Stimmenzuwächsen rechnen; sie dürften auf 20, vielleicht sogar bis zu 30 Prozent der Sitze kommen. Eine EU-kritische Sammlungsbewegung „hätte durchaus das Potenzial, zur größten oder zweitgrößten Fraktion im Parlament zu werden“, heißt es in einer Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Das hätte gravierende Folgen: Das EU-Parlament ist ein zentraler Machtfaktor in der Union. Es muss bei allen Gesetzen und bei der Verteilung der Haushaltsmittel mitentscheiden, die Abgeordneten kontrollieren auch die Kommission.

Eine Allianz der Rechtspopulisten könnte die EU-Politik massiv stören, vielleicht sogar blockieren – Lähmung droht vor allem in der Flüchtlingspolitik, aber auch bei Versuchen der Mitgliedstaaten, sich im vereinten Europa enger zusammenzuschließen.

Ex-Trump-Berater Steve Bannon arbeitet mit Rechten zusammen

Steve Bannon, ehemaliger Chefstratege von US-Präsident Donald Trump.
Steve Bannon, ehemaliger Chefstratege von US-Präsident Donald Trump. © dpa | J. Scott Applewhite

Solche Aussichten haben längst auch den früheren Vertrauten und Wahlkampfmanager von US-Präsident Donald Trump, Steve Bannon, angelockt. Er arbeitet von Brüssel aus daran mit, im neuen Parlament eine „Supergruppe“ rechter EU-Gegner zu etablieren. Eine Stiftung, die der belgische Anwalt und Bannon-Partner Mischaël Modrikamen gegründet hat, soll zur Sammelplattform der europäischen Rechtspopulisten werden.

Doch so beunruhigend das Szenario klingen mag – bislang scheint der Erfolg der Rechtsallianz zweifelhaft. Die markigen Sprüchen gegen das „Europa der Bürokraten“ oder eine „Muslimisierung des Kontinents“ verdecken massive personelle wie inhaltliche Differenzen der einzelnen Parteien. Wenn jeder sein eigenes Land großmachen will, kommt ein Bündnis schnell an Grenzen – die Internationale der Nationalisten kann nicht funktionieren.

Beispiel Flüchtlinge: Salvini will, dass Flüchtlinge auf die gesamte EU verteilt werden, um Italien zu entlasten – Polen und Ungarn lehnen das strikt ab.

Beispiel Russland: Salvini brüstet sich mit engen Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin – die polnischen Nationalkonservativen dagegen sehen Russland als Bedrohung.

Beispiel Finanzen: Salvini will die EU-Gelder verstärkt vom Osten in den Süden lenken – Polen und Ungarn protestieren. Südeuropäische Populisten wollen gern mehr Schulden aufnehmen, die deutsche AfD ist strikt dagegen.

Rechtspopulisten derzeit auf drei Fraktionen verteilt

Aus guten Gründen sind die Rechtspopulisten deshalb derzeit im Parlament – dort stellen sie insgesamt etwa 150 der 705 Abgeordneten – auf drei Fraktionen verteilt, von der vergleichsweise moderaten ECR bis zur teilweise rechtsextremen ENF, der auch Salvinis Lega und die französische Le-Pen-Truppe angehören. Eine mögliche Allianz müsste gemäßigte EU-kritische Parteien mit jenen vereinen, die die EU abschaffen wollen.

Aber Sand ins Getriebe streuen und missliebige Entscheidungen blockieren könnten die Rechtspopulisten auch bei einer loseren Zusammenarbeit allemal – zumal dann, wenn die Regierungen in Italien, Ungarn oder Polen diesmal auch stramme Parteigänger in die neue EU-Kommission entsenden.

Salvini hofft schon, in Brüssel den Vollzug strenger Haushaltsvorschriften verhindern zu können. Und die polnische Regierung setzt mit Blick auf ihre umstrittene Justizreform darauf, dass künftig alle Bemühungen der EU, Verstöße gegen gemeinsame Werte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu ahnden, ins Leere laufen.

Polens Premier Mateusz Morawiecki erwartet nach der Wahl „große Veränderungen“ – und ein Ende der Brüsseler „Disziplinierungsversuche“.