Berlin. Im November haben 1073 Geflüchtete ihre Verwandten nach Deutschland nachholen dürfen. Die FDP kritisiert eine „starre Obergrenze“.

Die europäische und deutsche Krise der Asylpolitik ist auch eine Geschichte der großen Aktenstapel. 773.000 Asylverfahren muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in den kommenden Jahren überprüfen. Rund 400.000 Klagen liegen auf den Tischen deutscher Verwaltungsrichter – abgelehnte Asylbewerber erheben Einspruch gegen die Entscheidung der Behörde. Und in deutschen Botschaften in Nahost stapeln sich die Terminanfragen: Eheleute und Kinder wollen zu ihren Familienangehörigen nach Deutschland.

Vor allem diese Debatte darüber, welche Flüchtlinge ihre Familie nach Deutschland holen dürfen, führte Anfang des Jahres fast zum Scheitern der Sondierungsgespräche der großen Koalition. Zahlenspiele machten die Runde: Kommen nur wenige Eltern oder Kinder? Ziehen noch einmal Hunderttausende hier her?

Seit August gilt ein neues Gesetz – ein Kompromiss zwischen Union und SPD. Pro Monat dürfen 1000 Eheleute mit einem zeitlich begrenzten Schutzstatus ihre Partner und minderjährigen Kinder nachholen. Das betrifft rund 300.000 Flüchtlinge in Deutschland, vor allem Syrer.

Im August gerade mal 65 positive Bescheide

Erst sah es so aus, als würden kaum Menschen aus Syrien den neuen Weg nach Deutschland nutzen. Zuletzt lauteten Schlagzeilen: „Weniger Anträge als erwartet“ oder „Familiennachzug läuft langsam an“. Doch in den vergangenen Wochen wächst die Zahl der bewilligten Familienzusammenführungen deutlich an. Allein im November hat das Bundesverwaltungsamt 1073 Anträge auf Familiennachzug bewilligt.

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Seitdem das neue Gesetz in Kraft ist, steigt die Anzahl der stattgegebenen Familienzusammenführungen kontinuierlich an. Im September gab das Bundesverwaltungsamt schon 196 Anträgen statt, im Oktober stimmte das Amt 692 Anträgen zu. Das geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine schriftliche Frage der migrationspolitischen Sprecherin der FDP, Linda Teuteberg, hervor, die unserer Redaktion vorliegt.

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    Sobald das Bundesamt zustimmt, geht der bewilligte Antrag zurück an die Visa-Abteilungen in den deutschen Auslandsvertretungen. Dann können die Angehörigen der Geflüchteten nach Deutschland fliegen. Sie müssen nicht – wie viele zuvor – den gefährlichen Weg mit Hilfe von Schleusergruppen über das Mittelmeer antreten.

    45.000 Menschen warten auf Termine

    Und nicht wenige Ehepartner, Väter, Mütter und Kinder wollen zu ihren Angehörigen nach Deutschland: In den deutschen Auslandsvertretungen vor allem in Beirut, Istanbul oder Erbil liegen derzeit mehr als 45.000 Terminanfragen vor, um ein Visum für Familiennachzug zu beantragen.

    Vor allem betrifft das Syrer, denn sie haben seit 2015 vor allem den „subsidären Schutzstatus“ bekommen: Sie gelten nicht als politisch Verfolgte – können aber aufgrund des anhaltenden Krieges und der Gewalt auf absehbare Zeit nicht nach Syrien zurück. Ihnen soll genauso wie politischen Flüchtlingen der Familiennachzug mit dem neuen Gesetz ermöglicht werden – wenn auch mit einer Grenze, die vor allem die Union wollte.

    Bundesamt entschied in fast allen Fällen positiv

    Seit August, als das neue Gesetz in Kraft getreten war, übergaben die Ausländerbehörden in den Bundesländern bisher allerdings nur 2031 dieser Anträge aus den Botschaften im Ausland zur Entscheidung an das Bundesverwaltungsamt. In fast allen Fällen (2026) entschied das Bundesamt positiv für einen Familiennachzug.

    Das Verwaltungsamt entscheidet schnell – dieser deutliche Anstieg von erteilten Bewilligungen von Familienzusammenführungen im November geht laut Bundesinnenministerium darauf zurück, dass von den Ausländerbehörden mittlerweile deutlich mehr Anträge an das Bundesverwaltungsamt überstellt werden.

    FDP hält Obergrenze für fragwürdig

    Doch auch wenn der Familiennachzug deutlich ansteigt – in den vier Monaten des neuen Gesetzes sind dies immer noch deutlich weniger als die von der GroKo gesetzte Obergrenze von 1000 Anträgen pro Monat. Bis zum Ende des Jahres kann die Behörde laut Gesetz 5000 Anträge bewilligen. Einen Rechtsanspruch auf Familiennachzug gibt es zudem nicht, die Behörden sollen nach humanitären Gründen entscheiden. Sogenannte Härtefälle, also vor allem Kinder und Jugendliche, haben demnach Vorzug.

    Die migrationspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Linda Teuteberg, kritisierte angesichts etlicher Tausend Terminanfragen an deutschen Auslandsvertretungen das geringe Tempo der Entscheidungen durch die Behörden. „Eine strenge Härtefallregelung ist richtig, um den Zuzug zu begrenzen. Doch damit eine Obergrenze zu verbinden und in der Folge viele hunderte, wenn nicht tausende Menschen in echten Notlagen warten zu lassen, das ist fragwürdig“, sagte Teuteberg.

    Keinen Nachzug für Familien von Extremisten

    Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl kritisieren ebenfalls die starr festgelegten Kontingente für Familiennachzug. „Statt der ernsthaften Prüfung jeden Einzelfalles auf Anspruch auf Familiennachzug soll jetzt ein Glücksrad über die essentielle Frage der Familienzusammenführung entscheiden“, hieß es in einer Erklärung zum neuen Gesetz.

    Unionspolitiker verteidigen das neue Gesetz dagegen. Politiker von CDU und CSU hatten sich vor allem dafür ausgesprochen, dass die Regelung Familien die Zusammenführung verwehrt, sobald einer der Angehörigen wegen gravierender Straftaten verurteilt wird oder den Sicherheitsbehörden deutliche Hinweise auf extremistische Aktivitäten der Person vorliegen.