Belcoo/Blacklion. Zwischen Irland und Nordirland droht der EU-Austritt Großbritanniens die enge Verbindung zwischen Nachbardörfern zu kappen. Ein Besuch.

Drei Monate nachdem die Briten entschieden hatten, dass sie die EU verlassen wollen, war John Sheridan auf Besuch in Köln. Als Souvenir brachte er zwei Tischsets nach Hause: eines, auf dem Köln zu sehen war direkt nach dem Krieg – „die Kathedrale, in Schwarz-Weiß, das einzige, das noch steht in der ganzen Stadt“, sagt Sheridan. Und ein anderes, auf dem die Stadt heute zu sehen ist, bei Nacht.

„Die habe ich beide mitgenommen, als ich das erste Mal in Blacklion gegen den Brexit gesprochen habe.“ Sheridan hielt, so erzählt er es heute, die beiden Tischsets hoch und fragte seine Zuhörer: „Wollt ihr von dem hier“ – Köln heute, lebendig und leuchtend – „zurück zu diesem hier?“ Und hielt das Bild der zerstörten Stadt hoch, eine düstere Vision der Zukunft Nordirlands, sollte Großbritannien tatsächlich die EU verlassen.

„All unsere Geschäfte sind in Gefahr“, sagt Farmer John Sheridan

Sheridan ist Farmer. Selbst wenn er in Anzug und Krawatte zu Terminen kommt, verraten ihn seine breiten Hände, die übersäht sind mit Schrammen – vom Zaunbauen, erklärt er, gemeinsam mit einem Nachbar. Er ist außerdem Mitgründer von „Border Communities Against Brexit“ (auf Deutsch: Grenzgemeinden gegen den Brexit), einer Initiative von Farmern und Geschäftsleuten auf beiden Seiten, die seit zwei Jahren gegen den Austritt kämpft.

Auf eineinhalb Kilometern läuft Sheridans Land an der Grenze entlang. Aktuell ist davon nichts zu sehen, doch wenn das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlässt, könnte sich das ändern. „Alle unsere Geschäfte und Unternehmen“, sagt er, „sind in Gefahr.“

Nach dem Referendum 2016 war das Schicksal von rund 1,9 Millionen Menschen in Nordirland eine von vielen offenen Fragen, die die Entscheidung aufgeworfen hatte. Zweieinhalb Jahre später ist die Zukunft der sechs Counties der Punkt, der alles entscheidet.

Zöllner und Kontrollen, deren Anwesenheit Erinnerungen an die blutigen Kämpfe der 70er- und 80er-Jahre wachrufen und das Karfreitagsabkommen gefährden könnte, sind keine Option, das hat die EU klargestellt. Der aktuelle Entwurf des Abkommens sieht deshalb einen „Backstop“ vor, ein Sicherheitsnetz, bei dem Nordirland im Notfall auf einigen Gebieten mit der EU verwoben bleibt, um die Grenze offen zu halten. Es ist wahrscheinlich, dass Theresa May damit bei einer Abstimmung am Dienstag scheitern wird. Womit die Frage wieder offen wäre.

Im einen Land frühstücken und im anderen zu Bett gehen

Die 499 Kilometer lange Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland im Süden verläuft nicht gerade, sie schlägt Haken und windet sich um Seen und Dörfer, läuft quer durch Schafweiden und Heiden. In manchen Häusern, erzählen sie hier, kann man in einem Land frühstücken und im anderen zu Bett gehen.

In Blacklion auf der Südseite, wo Sheridan seine Zukunftsprognose so eindrücklich mit Tischsets untermalt hat, führt die Grenze über eine schmale Brücke, nach Belcoo im Norden. Hier arbeitet Natali Wojdyn, im einzigen Restaurant des Orts. Dass sie vor elf Jahren aus Polen nach Irland kam, hört man ihr nicht an.

Natali Wojdyn kommt aus Polen – ob sie bleiben darf?

Eigentlich habe sie, damals 19, nur ein Jahr bleiben wollen, erzählt sie und lacht. „Dann kam das Leben dazwischen.“ Heute wohnt sie mit ihrem Freund auf der anderen Seite der Brücke in Blacklion. Er hat einen britischen Pass, erzählt Wojdyn – ob er nach dem Brexit im Süden bleiben könnte, ist unklar, ebenso, ob Natali, als EU-Bürgerin, weiter im Norden arbeiten dürfte.

„Wahrscheinlich schicken sie mich in einer Box zurück nach Polen“, sagt sie, und lacht wieder, bevor sie ernst wird. Planen könnten sie nicht, sagt sie, man wisse ja nicht wofür. „Wir versuchen, nicht so viel daran zu denken.“

Diese Option hat Jemma Dolan nicht. Die 28-Jährige sitzt für die Region im nordirischen Regionalparlament, als Mitglied von Sinn Féin, einer Partei, die ultimativ die Wiedervereinigung der sechs Counties im Norden mit der Republik anstrebt. Dolan, die als junge Politikerin gelernt hat, sich durchsetzen, ist niemand, der klare Positionen meidet. Doch wie Stellung beziehen in einer Sache, in der nicht einmal klar ist, wofür oder wogegen genau?

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„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, wenn mich jemand wegen des Brexits um Rat fragt“, erklärt Dolan. „Ich kann nur sagen, hört Nachrichten. Denn alles kann sich stündlich ändern.“ Vor allem für junge Menschen aus der Region, die selbstverständlich grenzüberschreitend zur Uni gehen, daten und arbeiten, könnte eine spürbare Grenze ein Schock werden, sagt Dolan.

Eine ganze Generation ist mittlerweile erwachsen, die an die Konflikte, die mit dem Abkommen von 1998 beigelegt wurden, keine Erinnerung hat. „Für sie wäre all das vollkommen fremd“, sagt Dolan.

Die „Troubles“ der alten Zeit will niemand zurück

Harold Johnston dagegen erinnert sich gut an die „Troubles“, wie die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Unionisten und Republikanern genannt werden. Vor seinem Laden in Blacklion, auf der irischen Seite, standen einst Soldaten und Polizisten, 24 Stunden am Tag zu den Hochzeiten es Konflikts.

Johnston ist so etwas wie das lebende Gedächtnis des Orts. Zwischen Socken mit Argyle-Muster, Turnschuhen und stapelweise Bettwäsche-Garnituren in Plastik, die er verkauft, führt er in einer kleinen hölzernen Kommode eine Art improvisiertes Archiv, mit Schwarz-Weiß Fotos, alten Zeitungsberichten und einem Passierschein, den man früher brauchte, um über die Brücke zu kommen. Viel hält er nicht von der Aussicht, dass das wieder nötig sein könnte.

Aber Sorgen will er sich deswegen auch keine machen. „Ich habe zu viel gesehen“, sagt Johnston, der sein Alter nicht verraten will, „und zu viel Unsinn gehört über die Jahre.“ Wenn es passiere, passiere es. „Wir werden auch das überleben.“