Kiew. Fünf Jahre nach den Maidan-Protesten in Kiew ist die Korruption in der Ukraine nicht ausgemerzt. Und die Kämpfe im Donbass dauern an.

Der erste Schnee ist auf dem Maidan gefallen, dem zentralen Platz in Kiew. In den grauen Himmel ragt die marmorne Unabhängigkeitsstatue. Vor fünf Jahren, am 21. November 2013, begannen hier die Euromaidan-Proteste. Die Erinnerung daran ist allgegenwärtig. Eine Ausstellung zeigt großflächige Bilder der Demonstrationen. Auf dem Weg zum Maidan sind blaue Banner mit Fotos der Menschen zu sehen, die bei den Protesten starben. „Himmlische Hundert“ und „Ruhm den Helden“ ist darauf zu lesen.

Reiseführerin Irina Shyba steht vor dem Gesundheitsministerium. Sie zieht die Enden ihres Pullis unter dem Wollmantel hervor und über ihre Knöchel. Es ist kalt, und die 26-Jährige hat keine Handschuhe dabei. „Öffentliche Ausschreibungen waren lange Zeit der einfachste Weg, um staatliches Geld zu stehlen“, erklärt Shyba. „2016 hat das Krebszentrum in Kiew Wischmops für 100 Dollar pro Stück angekauft. Der Verkäufer war eine in Zypern registrierte Firma.“ Die Verbindungen reichten in das Umfeld der Regierung, erläutert die junge Frau.

Noch heute bekommt der Arzt Wein oder Schokolade

Shyba erklärt Touristen, wie Korruption in der Ukraine funktioniert. Sie beginne mit der Geburt — und ende mit dem Tod, sagt sie. Wer sich im Krankenhaus eine gute Behandlung wünsche, der zahle drauf. Es sei noch immer üblich, dem Arzt eine Flasche Wein oder Schokolade zuzustecken. Gegen jenen Wildwuchs der Bestechung demonstrierten vor genau fünf Jahren Hunderttausende ­Ukrainer auf dem Maidan. Die Kundgebungen gingen als Euromaidan-Proteste in die Geschichte ein.

Der Journalist Mustafa Najem rief damals im Internet dazu auf, sich am Maidan zu versammeln. Provoziert von einem harten Polizeieinsatz kamen innerhalb weniger Tage Zehntausende zusammen, um den Abschluss des unterschriftsreifen Assoziierungsabkommens mit der EU zu fordern. Die Menschen wollten eine europäische Zukunft für ihr Land. Was sie ablehnten, waren Seilschaften und Korruption.

Als der Protest eskalierte

Dann eskalierte der Protest: Demonstranten warfen Molotowcocktails, die Polizei setzte Schlagstöcke ein. Präsident Viktor Janukowitsch floh im Februar 2014 Richtung Russland. Petro Poroschenko, damals Parlamentsabgeordneter, wurde zum Staatschef gewählt. Im März 2014 annektierte Russland die südukrainische Halbinsel Krim. Es folgte der Krieg im Donbass mit mehr als 10.000 Todesopfern. Noch heute kämpfen von Moskau unterstützte prorussische Separatisten erbittert gegen ukrainische Regierungstruppen.

Dennoch: Bei den Anti-Korruptions-Maßnahmen hat sich einiges getan. So wächst die Zahl der Behörden, die dagegen vorgehen sollen. Zudem gibt es seit 2015 eine Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft. Ein nationales Anti-Korruptions-Büro führt die Ermittlungen und leitet Fälle an diese Spezialstaatsanwaltschaft weiter. Die Resonanz ist gemischt. Viele bemängeln die holprige Zusammenarbeit der beiden Behörden.

Die Korruption ist tief verwurzelt

Kritiker führen an, dass die Korruption tief in der ukrainischen Gesellschaft verwurzelt sei. Zu viele Menschen, die davon profitierten, hätten leitende Positionen in Politik und Wirtschaft. Vitali Shabunin, einer der bekanntesten Anti-Korruptions-Aktivisten der Ukraine, meint hingegen: „Das Anti-Korruptionsbüro macht bahnbrechende Arbeit.“ Bald soll ein Anti-Korruptionsgericht dazukommen.

Der ehemalige Journalist Mustafa Najem ist heute Parlamentsabgeordneter. Er will von innen heraus Reformen vorantreiben. Eine seiner ersten Initiativen war die Erhöhung der Abgeordnetendiäten von 200 auf 800 Dollar. „Davon kann man in Kiew leben. Dadurch sind Abgeordnete weniger anfällig für Bestechlichkeiten“, so Najem. Und: „Vor dem Euromaidan gab es keine richtige Zivilgesellschaft. Inzwischen haben sich viele Menschen engagiert.“

Drei Viertel der Ukrainer ist unzufrieden mit der Entwicklung

Dennoch ist die Unzufriedenheit weit verbreitet. Umfragen zufolge halten mehr als drei Viertel aller Ukrainer die Entwicklungen ihres Landes für falsch. Vor fünf Jahren waren es knapp 50 Prozent. Bei der Präsidentschaftswahl im März 2019 könnte Poroschenko genau deshalb seiner Konkurrentin unterliegen. In Umfragen liegt er weit abgeschlagen hinter Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Bei seinem Amtsantritt versprach er, den Antiterror-Operation genannten Krieg in der Ostukraine innerhalb von Stunden zu beenden. Inzwischen entschuldigt er sich dafür: „Es tut mir leid, ein Versprechen gegeben zu haben, das sich nicht erfüllte.“

Poroschenko tritt mit den drei Losungen „Armee!“, „Sprache!“ und Glaube!“ an. Er fordert eine starke ukrainische Armee, Ukrainisch statt Russisch und in der Religion eine ukrainisch-orthodoxe statt russisch-orthodoxe Ausrichtung. Timoschenko baut auf das Thema Wirtschaft. Die Ukraine ist mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von 2350 Euro das ärmste Land Europas. „Poroschenko setzt in seiner Kampagne auf Angst, Timoschenko auf die Erniedrigung ihrer Kontrahenten“, sagt der Abgeordnete Najem. Seinen großen Traum formuliert er so: „Ich hoffe, dass meine Kinder zu einer Generation gehören, die nicht mehr auf dem Maidan für ihre Rechte kämpfen muss.“