Rojava/Berlin. Tausende Islamisten sitzen in Haft – unter ihnen auch Deutsche wie Dirk P. Die Kurden fordern, dass sie wieder nach Deutschland reisen.

Ganz am Ende erzählt Dirk P. von seinen Träumen. Er wolle nach Deutschland zurück, wieder ein „normales Leben“ führen. Geld verdienen, auf „legalem Weg“. Seinen Sohn erziehen, zu einem Menschen, der „niemanden verletzten möchte“. Dirk P. sagt, er sei müde von dem Krieg und den ganzen Problemen.

„Das ist alles, was ich sagen kann.“ Dann zieht er seine Schultern ein wenig nach oben, lässt sie fallen, während er lange ausatmet. Dirk P. schaut noch einmal in die Kamera, bevor das Interview endet, als würde er sich an ein Publikum in Deutschland richten. An den deutschen Staat, den Islamisten als „Land der Ungläubigen“ bekämpfen. Dirk P.s Blick wirkt wie eine Suche nach Hilfe. Vielleicht realisiert er in diesem Gespräch zum ersten Mal, wie es um ihn steht. Nicht gut.

Dirk P. in kurdischer Haft
Dirk P. in kurdischer Haft

P., Ende 30, trägt einen gelben Kapuzenpullover mit einem Futter in Camouflage, dazu eine schwarze Hose mit Seitentaschen. Sein Haar wird weniger, er hat es glatt nach hinten gekämmt, seine Kopfhaut schimmert blass. P. sitzt auf einem Stuhl, im Hintergrund verhängt ein schwarzes Tuch die Sicht. In den dreizehn Minuten Video bleibt seine Stimme monoton, kraftlos. Oftmals blickt er nach unten.

Der deutsche Dirk P. sitzt in einem Gefängnis der YPG

Seit Anfang Oktober hockt Dirk P. in einem Gefängnis der kurdischen Miliz YPG in Nordsyrien, direkt an der Grenze zur Türkei. Etwa 2700 Männer, Frauen und Kinder aus 46 Staaten sind derzeit im kurdischen Gewahrsam in Nordsyrien, darunter 800 Kämpfer. Die Männer sitzen in Gefängnissen, die Frauen in Flüchtlingscamps. Medien berichten von rund 100 Deutschen. Doch nach Informationen unserer Redaktion sind es weniger, mindestens aber zehn Männer, zehn Frauen und 15 Kinder.

Die Einheiten der YPG kämpfen die letzten Schlachten gegen den IS. Bei Hadschin, im Südosten Syriens, liefern sich kurdisch dominierte Streitkräfte mit Hilfe von Amerikanern, Briten und Franzosen seit Monaten Gefechte mit noch bis zu 3000 Kämpfern des „Islamischen Staates“. Der Widerstand ist heftig, der IS gibt sich nicht geschlagen und erringt teilweise sogar Gebiete zurück.

Die YPG steht ideologisch der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe. In der Türkei gilt sie deswegen als Terrororganisation. Für den Westen, vor allem die USA, ist sie einer der engsten Partner im Kampf gegen den IS, sie hat eine entscheidende Rolle bei der Befreiung der früheren IS-Hauptstadt Rakka und anderer Städte gespielt.

Die Kurden müssen sich allein um die deutschen Dschihadisten kümmern

Fast täglich machen die Anti-Terror-Kommandos der Kurden neue Gefangene. Doch genau diese hohe Anzahl an Festnahmen wird für die Verwaltung und die Milizen in der Kurden-Region allmählich zum Sicherheitsrisiko. Und weder Deutschland noch die meisten anderen Staaten nehmen ihre Staatsbürger zurück. Die Kurden müssen sich allein um die deutschen Dschihadisten kümmern. Lange, sagen sie, schaffen sie es nicht mehr. Und dann? Kommen Menschen wie Dirk P. einfach frei?

Dirk P. ist nach eigenen Angaben 1982 in Deutschland geboren. Mit Ende 20 sei er zum Islam konvertiert. In seinem alten Leben habe er orthopädische Schuhe hergestellt, geheiratet, eine Firma aufgebaut. Aber dann brach Dirk P. mit diesem alten Leben. Sein neues Leben begann Anfang 2015 mit einer langen Reise über Belgien, Luxemburg, Frankreich, Italien und die Türkei. So erzählt er es. Am 8. März 2015 erreicht Dirk P. Syrien – und das Gebiet der Terrorgruppe „Islamischer Staat“. Er habe sich dort Abu Sufyan al-Almani genannt.

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    Zweimal war ein Reporter unserer Redaktion zuletzt in den Kurdengebieten in Syrien. Wir haben mit Politikern der Region gesprochen, ihre Spezialeinheiten gesehen. Unter den deutschen Gefangenen dort sind der Hildesheimer Oguz G., der mit seiner Frau Marcia M. laut Medienberichten einen Terroranschlag auf ein Musikfestival in Deutschland begehen sollte. Der Deutsch-Syrer Mohammed Haydar Zammar, der dem Umfeld der

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    Auch Fared S. sitzt in kurdischer Haft, Dominic R. aus Frankfurt und Marcel B. aus

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    , Mitglied der berüchtigten „Lohberger Brigade“, zwei Dutzend Radikale, die für den IS kämpften. Diese Namen bestätigen die Kurden.

    Dirk P. beantwortete unsere Anfragen

    Und auch Dirk P. sitzt in kurdischer Haft. Mit Hilfe des Kontakts bei der YPG konnten wir schriftlich Fragen an P. stellen, ein Soldat zeichnete die Antworten auf Englisch auf Video auf. Nachfragen konnte unsere Redaktion nur schriftlich stellen, die Befragungen übernahmen wieder die Einheiten der Kurden. Dirk P. war laut YPG über die Interview-Situation informiert.

    Nachdem P. im März 2015 Syrien erreicht hatte, soll er laut Kurden-Miliz in einem Militärcamp des IS eine Ausbildung an der Waffe gemacht haben und auch für den Häuserkampf trainiert worden sein. Bei Aleppo kämpfte P. demnach auch für die Dschihadisten. Er selbst habe dann um eine Versetzung zu den Sanitätern gebeten und arbeitete seit September 2015 in einem Gesundheitszentrum in Rakka.

    P. selbst bestreitet in dem Video-Interview, jemals für islamistische Gruppen in Syrien gekämpft zu haben. Er sei auf eigene Faust in das Land gereist, habe helfen wollen, verletzte Menschen mit Prothesen zu versorgen. Und Dirk P. sagt, man habe seine Familie mit dem Tod gedroht, als er wieder raus wollte aus dem Krieg. In Rakka lebte er mit seiner neuen Frau, sie bekamen einen Sohn. Von der Terrorherrschaft des IS will er nichts mitbekommen haben. P. gibt an, er habe gearbeitet, eingekauft und Zeit mit seiner Familie verbracht. „Ich habe nie jemanden umgebracht. Ich habe nie jemanden verletzt mit einer Waffe oder einem Messer.“

    P. ist auch deutschen Behörden bekannt

    Nach Informationen unserer Redaktion kennen auch die deutschen Sicherheitsbehörden die Radikalisierung von Dirk P. und dessen Ausreise ins Gebiet der Terrorgruppe. Lücken seiner Geschichte in Syrien bleiben, P.s Aktivitäten beim IS lassen sich nicht eindeutig belegen. Aber ein Leben im Terror-Staat – ohne etwas von den Gewalttaten mitzubekommen? Wahrscheinlich ist das nicht. Von den

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    distanziert sich der Deutsche in dem Video nicht. Er wolle „kein Richter“ sein, sagt er nur.

    Nun ist Dirk P. einer von Hunderten sogenannten „Foreign Fighters“ in Haft – Kämpfer aus dem Ausland, die vor allem ab 2014 in Richtung Dschihad-Gebiet reisten. Aus „Kriegern des Kalifats“ sind heute Kriegsgefangene geworden.

    Die Gefängnisse seien längst überfüllt, sagt der Außenbeauftragte der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien, Abdulkarim Omar, im Gespräch mit unserer Redaktion. Omar ist ein kleiner Mann mit einer energischen Stimme. In seinem Büro in der kurdischen Metropole Qamischli im Norden des Landes sitzt er an einem großen Schreibtisch, daneben braune Ledersofas. Auf dem Flachbildfernseher laufen Nachrichten von der Front einige Kilometer entfernt.

    Kurden wollen Gefährder in Heimtländer schicken

    „Die ausländischen Gefangenen sind für uns eine sehr große Belastung und eine enorme Herausforderung“, sagt Omar. Er stellt klar: „Wir werden diese Leute niemals in unserer Region belassen, und wir werden sie auch nicht hier vor Gericht stellen.“

    Seit Monaten debattiert Deutschland über schnellere

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    . Mehrfach wurden von den Behörden als gewaltbereite Asylsuchende in ihre Heimatländer geschickt. Doch was ist mit mutmaßlichen deutschen Islamisten in Syrien? Lässt Deutschland die Kurden mit den „Gefährdern“ allein?

    Die Kurden wollen, dass die Herkunftsländer Verantwortung für ihre Staatsbürger übernehmen. Auch das US-Militär erkennt die Gefahr für die Sicherheit in der Region angesichts der überfüllten Haftlager. Mehrfach drängten US-Diplomaten laut Medienberichten die Bundesregierung darauf, die deutschen Staatsbürger nach Hause zu holen. Lediglich Russland, Indonesien, der Sudan und die USA haben bislang IS-Angehörige zurückgenommen, fast ausschließlich Frauen und Kinder.

    Der Außenbeauftragte Omar macht deutlich, dass die Kurden die Geduld mit den europäischen Ländern verlieren würden: „Wir geben den Herkunftsländern nur eine gewisse Zeit für den Dialog. Wenn sie ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, müssen wir uns Alternativen überlegen.“ Klar sei dann vor allem eines: „Diese Leute bleiben nicht hier im Gefängnis.“ Vor Kurzem warnte Omar bei einer Europareise: Im Zuge der aktuellen türkischen Angriffe auf die Kurden-Gebiete könnten Gefangenen entkommen.

    Im Irak besteht besserer Kontakt zu Behörden

    Um die besondere Situation zu verstehen, muss man auf die Lage in Syrien blicken. Anders als im Irak, wo derzeit auch deutsche IS-Kämpfer inhaftiert und teilweise sogar schon verurteilt wurden, schaffen es nur Geheimdienstler des Bundesnachrichtendienstes auf informellen Wegen nach Nordsyrien, vernehmen dort deutsche Gefangene. Die Botschaft der Bundesrepublik in dem Kriegsland ist seit Jahren geschlossen

    Im Irak haben die Kurden eine enge Verbindung mit der Zentralregion und übergeben viele gefangene IS-Anhänger an die Behörden – die wiederum mit deutschen Diplomaten in Kontakt stehen. In Syrien haben weder Diktator Assad noch die türkische Regierung Einfluss in der Kurdenregion. Und die Kurden sind als eigener Staat mit einer eigenen Justiz international nicht anerkannt, zudem regieren in Nordsyrien verschiedene, auch rivalisierende Kurden-Milizen. Die Kanäle deutscher Diplomaten sind eng.

    Aus Sicht der Kurden könnten die Deutschen dagegen ohne weiteres ihre abtrünnigen Staatsbürger zurückholen – wenn sie denn wollen. Mehrere Staaten haben Waffen, Ausrüstung oder Ausbilder in die Region geschickt, einzelne Anti-IS-Partner der Kurden, wie die USA, sogar Soldaten. „Aber wenn es um die Gefangenen geht, sagen sie, dass sie keine diplomatischen Beziehungen mit der Region hätten und die Inhaftierten nicht zurücknehmen könnten“, sagt der kurdische Außenbeauftragte Omar. Auch deutsche Politikerinnen wie Ulla Jelpke von der Linksfraktion unterstützt die Kurden und verlangt von der Bundesregierung, die Deutschen zurückzuholen.

    Bislang erst ein Drittel der deutschen Kämpfer zurückgekehrt

    In den Innenministerien in Berlin und in den Bundesländern sind Arbeitsgruppen seit Monaten dabei, ein Konzept zu entwickeln, wie Deutschland künftig mit der hohen Zahl an Rückkehrern aus den IS-Gebieten umgehen soll. Von etwa 1000 Islamisten und Islamistinnen, die aus Deutschland nach Syrien und den Irak gezogen waren, ist bislang etwa ein Drittel zurückgekehrt. Mehr als 150 sind bei den Kämpfen getötet worden.

    Laut Bundesinnenministerium halten sich noch etwa 270 Frauen und Kinder aus Deutschland in Syrien und Irak auf, noch in Kämpfen oder eben gefangen. Den Sicherheitsbehörden gelten manche als traumatisiert vom Krieg. Viele andere würden ihren Weg sofort zurück in die radikale salafistischen Szene in Deutschland finden, heißt es. Das größte Risiko für Polizei und Verfassungsschutz aber ist: Sie wissen oft nicht, wie die IS-Anhänger ticken. Und was ihre Pläne sind. Denn meist haben die Behörden wenige Informationen darüber, was die Deutschen im IS-Gebiet genau gemacht haben. IS-Kämpfer bleiben auch für die deutsche Polizei und Nachrichtendienste ein schwer kalkulierbares Risiko.

    Als Dirk P. noch in Deutschland und vermutlich noch nicht radikal war, erzählt er einem jungen Journalisten, wie er dem Weg zum Islam gefunden hatte. P. berichtet, wie er bei seinem Job in einer Bar von einem jungen Muslim angesprochen wurde. Sie redeten und stritten über die Religion – und Dirk P. wurde neugierig. Auf Youtube schaute er Filme, besuchte eine Moschee. Am selben Abend habe er mit den „Brüdern“ gebetet. „Noch nie hatte ich dieses Gefühl so intensiv verspürt wie bei dem Gebet.“

    Das Gespräch des jungen Journalisten mit dem jungen Dirk P. ist in einer Broschüre einer großen deutschen Stiftung abgedruckt. Sehr sicher handelt es sich um Dirk P. Jahre später gibt es nun das Video aus dem Kurdengebiet, in dem der junge Mann nur noch raus will aus Syrien, aus dem Krieg. Die Broschüre und das Video – es sind zwei Zeugnisse einer Reise in die Radikalität. Holt der deutsche Staat Dirk P. zurück nach Deutschland, wird diese Reise wohl in einem Strafverfahren enden.