Berlin. Über 90 Prozent der Eltern und Lehrer finden Werteerziehung in der Schule wichtig. Im Unterricht schlägt sich das aber nicht nieder.

Sowohl Eltern von Schulkindern als auch Lehrkräfte in Deutschland halten eine Werteerziehung von Schülern für wichtig. Zugleich sind sie der Meinung, dass die Lehrpläne häufig nicht genug Platz böten, um Schülern grundlegende Werte zu vermitteln.

Das geht aus einer Forsa-Studie im Auftrag der Universität Tübingen und des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) hervor. Fast jedes sechste Elternteil ist der Auffassung, dass das eigene Kind in der Schule lernt, die Menschenrechte zu achten und die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern anzuerkennen.

Ganz anders sieht es dagegen mit der Nähe des Unterrichts zum zukünftigen Leben aus: Nur ein Drittel der Eltern und 44 Prozent der Lehrer sind der Meinung, dass die Schüler auf ihr zukünftiges Leben in der Schule vorbereitet werden.

Eigenverantwortliches Handeln ist Eltern und Lehrern wichtig

Für die Studie wurden 1.111 Eltern und 1.185 Lehrkräfte befragt. Erstmals wurde somit ein Abgleich zwischen den Erwartungen der Eltern und der Lehrkräfte untersucht. Eltern und Lehrer sind sich einig, dass bestimmte Werte für alle Menschen in Deutschland gelten sollten und dass daher eine Wertediskussion in der Schule gerechtfertigt sei.

Breiter Konsens herrscht zwischen Eltern und Lehrer darüber, dass die Schüler eigenverantwortliches Handeln in der Schule lernen sollten. 96 Prozent der Eltern und 98 Prozent der Lehrer sehen eigenverantwortliches Handeln als wichtiges Bildungsziel an.

Anerkennung von kultureller Vielfalt – der größte Unterschied

Auch die Förderung des selbstständigen Lernens, den Erwerb sozialer Kompetenzen und die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung sehen über 92 Prozent der Eltern und Lehrer als wichtig an.

Den größten Unterschied gibt es bei der Anerkennung von kultureller Vielfalt. Während 89 Prozent der Lehrer die Überzeugung vertreten, dass es wichtig sei, dass Schüler kulturelle Vielfalt anerkennen, teilt diese Meinung nur jedes siebte Elternteil.

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Auch bei der Demokratieerziehung gehen die Meinungen auseinander. 95 Prozent der Lehrer sehen die Demokratieerziehung als wichtiges Ziel an, bei den Eltern sind es nur 82 Prozent.

Eltern wünschen sich häufiger Heimatverbundenheit

Deutlich häufiger als die Lehrer (30 Prozent) wünschen sich Eltern (45 Prozent), dass den Schülern eine Heimatverbundenheit im Unterricht vermittelt wird. 14 Prozent der Eltern und 16 Prozent der Lehrer sind der Auffassung, dass eine Wertevermittlung zum Thema Heimat in der Schule überhaupt nicht gewährleistet wird.

Unterschiede lassen sich bei den Eltern zwischen den Geschlechtern und Schulabschlüssen ausmachen. Müttern ist es häufiger als Vätern wichtig, dass verschiedene Bildungs- und Erziehungsziele erreicht werden.

Die Vermittlung der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ist beispielsweise 88 Prozent der Mütter, aber nur 77 Prozent der Väter wichtig. Vätern ist dagegen die Vermittlung der Heimatverbundenheit wichtiger als den Müttern. Je höher der Schulabschluss der Eltern ist, desto altruistischer sind die Ziele.

Achtung, Menschenrechte und Persönlichkeitsentwicklung

Wichtige Werte für Eltern mit Abitur oder Hochschulabschluss sind demnach Demokratieerziehung, Einsatz für den Frieden und Anerkennung kultureller Vielfalt. Eltern mit Hauptschulabschluss oder mittlerer Reife präferieren dagegen häufiger eine Orientierung an der Leistungsfähigkeit. Ähnlich verhält es sich mit dem Einkommen.

Je höher das Einkommen ist, desto wichtiger sind den Eltern Werte wie Achtung der Menschenrechte oder eine Förderung der Persönlichkeitsentwicklung. Bei den Lehrern gab es weder zwischen Alter, noch zwischen Konfession und Schulform signifikante Unterschiede.

Kritik über Vermittlung von Werten

Kritisch gehen Eltern und Lehrkräfte laut der Studie mit den tatsächlich vermittelten Werten um. 59 Prozent der Eltern finden, dass den Schülern die Achtung der Menschenrechte und die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern vollständig vermittelt worden sei.

Eine gelungene Demokratieerziehung sehen dagegen nur 46 Prozent der Eltern gewährleistet. Lehrer bemängeln vor allem, dass der Einsatz für den Frieden kaum vermittelt wird. Nur ein Drittel der Lehrkräfte findet, dass dieser Wert den Schülern mitgegeben wird.

Projektwochen und Workshops sollen helfen

Auch sind nur 38 Prozent der Lehrer der Auffassung, dass die Schüler in der Persönlichkeitsentwicklung gefördert werden. Am ehesten könnten Werte vermittelt werden, wenn die Themen einen angemessenen Platz im Lehrplan erhalten würden oder durch Projektwochen und Workshops thematisiert werden würden, sind sich Eltern und Lehrer einig.

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Daraus leitet der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann politischen Handlungsbedarf ab: „Die Politik muss die Ernsthaftigkeit ihrer Forderungen nach mehr Werte- und Demokratieerziehung an Schulen belegen – mit dem notwendigen Gestaltungsfreiraum für Lehrkräfte“, sagte Udo Beckmann und ergänzte: „Werte müssen erlebt und gelebt werden, dafür braucht es weniger starre Strukturen und stattdessen mehr Flexibilität und vor allem mehr Zeit.“

VBE fordert mehr Zeit für Werteerziehung

Als Konsequenz hat der VBE, dem rund 164.000 Pädagogen angehören, konkrete Handlungsziele formuliert. So sollen die Erziehungs- und Bildungsziele fächerübergreifend und in Form eines gemeinsamen Wertekanons in den Lehrplänen verankert werden. Grundsätzlich fordert der VBE, dass sich die Schule mehr Zeit nimmt für die Werteerziehung.

Daher solle unter anderem die Ganztagsschule ausgebaut werden. Auch sieht der Verband die Politik gefordert, mehr in zeitgemäße technische Infrastruktur zu investieren, Lehrerfortbildungen zu verbessern und gesellschaftliches Engagement stärker zu fördern.

Vor allem der letzte Punkt dürfte bei den Kultusministern der Bundesländer auf offene Ohren stoßen. Jüngst beschloss die Kultusministerkonferenz auf einer Tagung, dass auch außerschulisches Engagement künftig auf den Zeugnissen vermerkt werden kann.