Braunschweig. Im Dieselskandal haben Verbraucherschützer und ADAC mitten in der Nacht die erste Musterfeststellungsklage Deutschlands eingereicht.

Das Fax-Gerät des Braunschweiger Oberlandesgerichts spielte zunächst nicht mit. Kurz nach Mitternacht wollte der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) die 246-seitige Klageschrift im Dieselskandal gegen VW übermitteln. Bei der Musterfeststellungsklage, die seit Donnerstag möglich ist, wollten die Verbraucherschützer und der Automobilklub ADAC die Ersten sein.

Gegen 2 Uhr am Morgen klappte es dann schließlich. Inklusive der Anhänge ist die Klage mehrere Tausend Seiten lang. Ihr Ziel ist die Feststellung, dass VW den betroffenen Kunden wegen der Software-Manipulationen Schadenersatz schuldet. Das Gericht soll zudem feststellen, wie dieser Schadenersatz zu berechnen wäre.

Der VZBV rechnet laut Jutta Gurkmann, Leiterin des Geschäftsbereichs Verbraucherpolitik, mit einer mindestens fünfstelligen Zahl von Kunden, die sich der Musterfeststellungsklage anschließen. Verbraucherschützer und ADAC sind der Auffassung, dass der VW-Konzern Autos mit einer illegalen Abschalteinrichtung bei der Abgasreinigung verkaufte – die die Kunden nicht gekauft hätten, wenn sie von den Manipulationen gewusst hätten.

Verbraucherschützer kämpften zehn Jahre für Musterklage

Die Musterfeststellungsklage sei ein Riesenschritt, sagte Gurkmann unserer Redaktion. „Wir werden ganz stark austesten, was sich damit erreichen lässt.“ Zehn Jahre lang hatten die Verbraucherschützer für eine Verbraucher-Musterklage gekämpft. „Unser Anliegen war nicht VW“, stellte sie klar – sondern alltägliche Fälle wie ungültige Geschäftsbedingungen oder Entgelterhöhungen. Bisher konnten Verbraucherschützer nur auf Unterlassung klagen, entstandener Schaden wurde damit aber nicht ersetzt.

Für die Musterklage können sich Kunden, die vom Pflichtrückruf der VW-Konzernmarken im Dieselskandal betroffen sind, per E-Mail, Post oder Fax in ein Register eintragen. Das Bundesamt für Justiz will dieses noch im November eröffnen. Zunächst prüft das Oberlandesgericht die Voraussetzungen für dessen Öffnung, was rund zwei Wochen dauern kann. Danach müssen sich innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Kunden eintragen, damit die Klage gültig wird. Anmeldungen sind bis zum letzten Tag vor dem ersten Termin vor dem Oberlandesgericht möglich.

Was ist eine Musterfeststellungsklage?

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    Klage wird sich wahrscheinlich über Jahre hinziehen wird

    Die Kosten für die Musterklage tragen die Kläger; der VZBV ist öffentlich-rechtlich finanziert. Falls die Verbraucherschützer gewinnen, bekommen die registrierten Kunden nicht automatisch Geld. Wer sich in das Klageregister eingetragen hat, müsste seinen individuellen Anspruch einzeln einklagen – wenn sich die Parteien nicht auf einen Vergleich einigen. Alle Gerichte wären dabei aber an die Entscheidung zur Musterfeststellungsklage gebunden. Falls die Verbraucherschützer verlieren, können die Kunden nicht mehr vor einem anderen Gericht klagen.

    Beide Seiten erwarten, dass die Klage vor dem Bundesgerichtshof landet, sich also über Jahre hinziehen wird. Der VZBV rechnet mit drei bis fünf Jahren. Falls die Kläger recht bekommen, erwartet Verbraucherschützerin Gurkmann, dass VW den „Anstand“ besitze, den Kunden auch ohne Einzelklagen Schadenersatz zu zahlen – „und die Sache nicht wieder aussitzt“.

    VW sieht keine Grundlage für die Klage

    Auf einen außergerichtlichen Vergleich sollten die Kunden laut VW nicht hoffen. Die Begründung: Die Fälle seien zu unterschiedlich für einen Gesamtvergleich. Die Höhe etwaiger Schadenersatzzahlungen würde von individuellen Umständen abhängen, etwa von der Zahl der gefahrenen Kilometer. Der Konzern sieht ohnehin keine rechtliche Grundlage für Klagen, wie ein Sprecher am Donnerstag bekräftigte. Denn alle betroffenen Fahrzeuge seien technisch sicher und fahrbereit. Außerdem handelt es sich bei der Betrugs-Software nach Auffassung des Autobauers nicht um eine illegale Abschalteinrichtung, wie sie das europäische Recht definiert.

    Verbraucherschützerin Gurkmann hingegen glaubt nicht, dass ein Vergleich an der Unterschiedlichkeit der Fälle scheitern würde – zum Beispiel könnte die Berechnung für Schadenersatz, die vom Modell abhängt, in einem Vergleich festgelegt werden.