Berlin. Chancengleichheit ist auch 18 Jahre nach dem Pisa-Schock etwas für Träumer. Entscheidend für den Erfolg ist die Bildung der Eltern.

Sawsan Chebli, Berliner Staatssekretärin und Migrantin, trägt eine Rolex – für etwa 7000 Euro. Dafür wurde sie hart kritisiert. So sehr, dass sie gerade ihr Profil auf Facebook gelöscht hat. Die Reaktionen auf ihre Uhr waren für sie wohl nicht mehr zu ertragen.

Bei diesem bizarren Rolex-Streit gingen die Argumente ziemlich durcheinander. Für ein SPD-Mitglied zieme sich die protzige Uhr nicht, schimpften die einen, andere ließen ihrem Sozialneid freien Lauf. Meiner Meinung nach zu Recht, denn Sawsan Chebli hat so einiges in ihrem Leben geschafft, worauf man neidisch sein könnte.

Oder stolz, wie es vielleicht die Amerikaner wären. Sawsan Chebli ist der lebende Beweis für den American Way of Life, für den Aufstieg des Tellerwäschers zum Millionär oder vom Migrantenkind zur Staatssekretärin. Auf Lebenswege wie ihren sollten wir genau schauen, wenn wir über gerechte Bildungschancen diskutieren.

Mit zwölf Geschwistern in einer 2-Zimmer-Wohnung

Cheblis waren schlecht. Lange Zeit war ihre palästinensische Familie nur geduldet, sie wuchs in einer 2-Zimmer-Wohnung mit Eltern und zwölf Geschwistern in Moabit auf. Cheblis Familie kam in den 70er-Jahren nach Deutschland, doch wir haben heute die gleichen Probleme wie damals: Noch immer bestimmen Herkunft und Elternhaus den Bildungserfolg, wie es die aktuelle OECD-Studie zu Chancengerechtigkeit in der Bildung zeigt.

Liest man die Studie, erfährt man auf Deutschland bezogen, dass es entscheidend ist, ob die Eltern arm oder reich sind. Ob sie in einem „guten“ oder einem „schlechten“ Stadtteil wohnen und dass beide Faktoren zusammen wirken. Denn selten wohnt ein Kind aus einer bildungsfernen Schicht in einem wohlhabenden Stadtteil und umgekehrt.

Seit im Jahr 2000 mit der ersten Pisa-Studie, dem Programm zur internationalen Schülerbewertung, auch die Leistungen deutscher Schüler bekannt wurden, sitzt der Schock tief. Deutschland, das Land der Dichter und Denker, ein Land der Mathematik-Versager und der Rechtschreibschwäche? Konnte das sein? Ja, denn Pisa war kein schiefer Turm mehr in Italien, sondern auf einmal ganz nah. Vertreten in der Schule nebenan – und mit den Namen Emma, Fynn-Luca, Kevin, Ali und Ayse.

Chancengleichheit noch immer was für Träumer

Und die Verantwortlichen haben es bis heute nicht verstanden, den Bildungsmissstand vollständig zu beheben. Die beste Medizin gegen schlechte Pisa-Diagnosen ist bekannt: Ganztagsschulen, motivierte Lehrer, gut ausgestattete Klassen, mehr finanzielle Mittel für die Bildung, für die Förderung von Kindern aus sozial-schwachen Verhältnissen.

Obwohl dies alles bekannt ist, fehlt es in Schulen am Grundlegenden: an Toilettenpapier, an funktionierenden Sanitäreinrichtungen; es regnet durch das Dach, Kinder bekommen an heißen Tagen hitzefrei, weil die aufgeheizten Klassenräume das Lernen unmöglich machen. Solche Fakten zeigen, dass die Pisa-Ergebnisse nicht wirklich ernst genommen werden. Sie belegen: Gerechte Bildungschancen in Deutschland sind etwas für Träumer.

Das Schulsystem braucht die Eltern

Wie sich diese Fahrlässigkeit beispielsweise auf den Arbeitsmarkt auswirkt, dem jetzt schon Fachkräfte fehlen, wird längst von den unterschiedlichen Interessengruppen beklagt. Aber selbst wenn es genug Geld für die Förderung aller Schüler gebe, eines kann Geld nicht: Die Eltern aus ihrer Pflicht entlassen. Sawsan Chebli hat einmal über ihren Vater erzählt, dass er – auch wenn er selbst Analphabet war und niemals Deutsch lernte – stets dafür gekämpft habe, dass es seine Kinder einmal besser haben würden. So muss es sein.