Berlin. Der Fall von Magomed-Ali C. erzählt viel über die Ermittlungen nach dem Terroranschlag in Berlin – und über ahnungslose Polizisten.

Sie kamen am frühen Morgen und waren mit Maschinenpistolen bewaffnet. Als die Bundespolizisten der Spezialeinheit GSG-9 im vergangenen Monat am Pölnitzweg im Berliner Ortsteil Buch vorfuhren, hatten sie allen Grund zur Vorsicht. Denn sie sollten einen mutmaßlichen Terroristen festnehmen. Der Verdacht: Der als „Gefährder“ eingestufte Islamist Magomed-Ali C. soll in seiner Wohnung bereits im Jahr 2016 Sprengstoff für einen Terroranschlag gelagert haben.

Der Zugriff verlief ohne Probleme – und nur einen Tag später saß der 31 Jahre alte Russe, der womöglich mit dem Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri in Kontakt stand, in Untersuchungshaft. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) dankte dem Landeskriminalamt (LKA) sowie dem Bundeskriminalamt (BKA) „für ihre hervorragende Arbeit“ und sprach von einem „klaren Signal an alle Menschen, die uns angreifen wollen“.

War die Festnahme von Magomed-Ali C. tatsächlich Ergebnis einer akribischen Ermittlungsarbeit deutscher Sicherheitsbehörden? Zweifel sind angebracht. Denn der Haftbefehl nährt die Vermutung, dass die deutschen Anti-Terror-Ermittler dem mutmaßlichen Bombenbastler womöglich niemals auf die Spur gekommen wären – hätten sie nicht einen Tipp aus Frankreich erhalten. Und: Das Berliner LKA hatte im Fall Magomed-Ali C. zwar womöglich sogar einen Anschlag verhindert. Dies war aber wohl eher dem Zufall geschuldet.

Verdächtiger wehrte sich gegen Gefährderansprache

Berlin-Buch, 26. Oktober 2016: Die Beamten des Staatsschutzes haben Magomed-Ali C. bereits auf dem Radar und wollen ihm dies deutlich machen. Doch der Verdächtige hat keine Lust auf die „Gefährderansprache“. Er ist zu Hause, lässt die Wohnungstür aber zu. Die Beamten müssen wieder abziehen. Denn einen Durchsuchungsbeschluss haben sie nicht. Einen Haftbefehl schon gar nicht. Bevor die Polizisten bei Magomed-Ali C. klingeln, sehen sie, dass ein weiterer Mann die Wohnung am Pölnitzweg betritt. Acht Monate später sitzt dieser Mann in Frankreich im Gefängnis. Sein Name: Clement B. Die dortigen Anti-Terror-Ermittler haben in seiner und der Wohnung eines weiteren Islamisten in der Küstenstadt Marseille drei Kilogramm des hochexplosiven Sprengstoffs TATP entdeckt. Der Verdacht: Der Mann plante einen Terroranschlag während der französischen Präsidentschaftswahlen.

In Untersuchungshaft packt Clement B. gegenüber seinem Vater aus. Die französischen Ermittler zeichnen die Gespräche auf – und erfahren Erstaunliches. Clement B. berichtet nicht nur, dass er sich in Berlin in einem Haus versteckt gehabt habe und dass dort eines Tages „die Bullen“ vorbeigeschaut hätten. Er erzählt auch, dass in dieser Wohnung Sprengstoff gelagert habe. „TATP und alles“, wie er sagt.

Verdächtiger berichtet über Ahnungslosigkeit der Polizisten

Die Franzosen informieren ihre deutschen Kollegen über das brisante Gespräch – und die deutschen Polizisten sind sich schnell sicher: Die Berliner Wohnung, von der Clement B. seinem Vater berichtete, war die Wohnung von Magomed-Ali C. „Wir haben die Bullen gehört, wir haben uns gesagt, das war’s, wir werden alle sterben“, erzählte B. seinem Vater. Als die Beamten eingeräumt hätten, „keine Papiere“, also keinen Durchsuchungsbeschluss zu haben, hätten er und sein Berliner Islamisten-Freund erwidert: „Ohne Papier kommst du nicht rein.“ Die Beamten seien daraufhin abgezogen.

Clement B. macht deutlich, dass die Berliner Beamten keine Ahnung hatten, was sie in der Wohnung erwartet hätte. „Verstehst du, sie wussten nicht, dass wir TATP hatten, sie wussten das alles nicht“, erzählt B. seinem Vater. Und: „Sie wussten nicht, was wir machten.“

Ein Jahr später, bei einem weiteren Gefängnis-Besuch seines Vaters, präzisiert Clement B. laut Haftbefehl, was mit dem Wort „machen“ gemeint war: „Wir hätten knallen sollen, in Deutschland, das alles dort vorbereiten“, sagt er. Und: „Hey, wir hätten uns dort in die Luft gesprengt.“

Magomed-Ali C. und Clement B. waren aber aufgeschreckt. Clement B. setzte sich nur vier Tage später über Aachen nach Frankreich ab. Dort widmete er sich mutmaßlich der Vorbereitung des Anschlags, der zur Präsidentschaftswahl erfolgen sollte. Magomed-Ali C. blieb dagegen in Berlin. Dort verhielt er sich unauffällig. Nun sitzt er in Untersuchungshaft. Womöglich aber nicht mehr lange.

Sein Verteidiger, Rechtsanwalt Tarig Elobied, hält die Beweislage jedenfalls für „dünn“. Tatsächlich stützt sich der Haftbefehl fast ausschließlich auf die aufgezeichneten Gespräche von Clement B. mit seinem Vater. Ob die Aussagen tatsächlich von B. stammten, sei aber unklar, sagt Elobied: „Im Übrigen hat er auch niemals behauptet, dass mein Mandant von dem Sprengstoff wusste oder in die Sache verstrickt gewesen sein soll.“

Der Nachweis, dass Magomed-Ali C. im Herbst 2016 tatsächlich Sprengstoff in seiner Wohnung hortete, dürfte also nicht leicht sein. Bei der Durchsuchung vor rund einem Monat fanden sich jedenfalls keine Hinweise darauf. Kein Wunder, heißt es in Ermittlerkreisen. Nach der erfolglosen „Gefährderansprache“ habe Magomed-Ali C. schließlich genug Zeit gehabt, das TATP an einen anderen Ort zu bringen.