Nach Maaßen-Kompromiss: Für Nahles geht es jetzt um alles
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Von Tim Braune
München/Berlin. SPD-Chefin Andrea Nahles büßt nach dem Kompromiss im Fall Maaßen in der eigenen Partei Autorität ein. Sie steht nun als Verliererin da.
Sie lächeln, umarmen sich. Andrea Nahles läuft bei ihrer Ankunft vor dem Landtag in München auf Natascha Kohnen zu. Beide Frauen strahlen. Was die SPD-Vorsitzende über ihre Stellvertreterin wirklich denkt, darf sie hier und jetzt vor Fotografen und Kamerateams nicht zeigen. Kohnen schrieb ihr einen bitterbösen Brief. Der gipfelte in dem Urteil, Nahles habe bei der Maaßen-Lösung „politisch-strategisch“ versagt.
Die bayerische Spitzenkandidatin Kohnen, die bei der Wahl am 14. Oktober ein Debakel fürchtet, ist nicht die Einzige, die ihrem Ärger Luft macht. Im Willy-Brandt-Haus in Berlin stapeln sich die Beschwerdebriefe, so wie etwa das Schreiben des Kölner SPD-Chefs, Jochen Ott.
Maaßen-Beförderung lässt an Glaubwürdigkeit zweifeln
„Gerade waren wir noch optimistisch, dass die SPD im Bund dabei ist, Tritt zu fassen mit inhaltlichen Themen wie Rente oder Mieterschutz. Dazu machte die SPD den Eindruck, dass sie Haltung beweist gegen Rechtspopulisten der AfD und anderen Hetzern und auch gegenüber dem Bundesinnenminister und seinem Sprachrohr an der Spitze des Verfassungsschutzes, Herrn Maaßen“, beginnt Ott.
„Dir muss klar sein, die Basis ist zu Recht fassungslos und empört. Wir hätten schon mehr Rückgrat erwartet“, so Ott und fordert die „liebe Andrea“ auf, eine Demütigung der stolzen SPD und ihrer 450.000 Mitglieder zu verhindern, „oder diese selbst sogar herbeizuführen“. In Düsseldorf sind sie ausnahmsweise derselben Meinung wie in Köln. Dort treffen sich die Landtagsabgeordneten. So gut wie alle haben einen dicken Hals. Von 20 bis 30 Wortmeldungen berichten Teilnehmer.
Der Tenor: Der Maaßen-Deal sei untragbar. Vielen reicht es. Das Fass sei übergelaufen, die SPD müsse raus aus der Koalition. Darunter sind auch Landespolitiker, die Nahles beim Mitgliedervotum noch gefolgt waren. Michael Groschek, der frühere SPD-Chef in NRW, dem mächtigsten Landesverband, lässt kein gutes Haar an Nahles. „Mir ist unbegreiflich, wie Andrea Nahles diesem Deal zustimmen konnte“, sagt er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Das Ziel, die SPD in der großen Koalition zu alter Stärke zurückzuführen, werde sich so nicht erreichen lassen.
Andrea Nahles: Ihre Karriere in Bildern
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Nahles hat Stimmung in der SPD unterschätzt
Und die Vorsitzende? Sie versucht es mit Durchhalteparolen. Es gebe in der Partei „einzelne Stimmen, die sich laut zu Wort gemeldet haben“, aber keine eindeutigen Positionen. Leidet Nahles an Realitätsverlust? Die 48-Jährige, die bis auf wenige Jahre bei der IG Metall immer Parteifunktionärin war, will den Aufstand mit erprobten Mitteln ersticken. Truppen sammeln, auf Zeit spielen, Druck machen.
Ihr Widersacher, Juso-Chef Kevin Kühnert, ist genervt. Die Parteispitze versuche, den eigenen Leuten ein „X für ein U“ vorzumachen. Nahles, erst seit April als erste Frau an der Spitze der ältesten Partei, hat die Stimmung in der SPD schon ein paarmal unterschätzt. Als sie nach dem Schulz-Rücktritt kommissarische Chefin werden wollte, pfiffen die Landesverbände sie zurück. Beim Parteitag bekam sie dann 66 Prozent.
Maaßen-Beförderung für SPD-Klientel unverständlich
Obwohl die Umfragen im Keller blieben, galt Nahles bislang als unantastbar. Sie arbeitete an sich, mäßigte ihren Ton, ließ andere Meinungen zu, manövrierte die SPD im Sommer stabil durch den von Seehofer ausgelösten Unionsstreit um die Migration. Die Partei dankte es ihr mit Geschlossenheit. Dann kam der Dienstag, der zweite und folgenschwere Maaßen-Gipfel bei der Kanzlerin. Nahles unterschrieb alles.
Sie glaubte, der unbestrittene SPD-Erfolg, Maaßen von der Spitze des Inlandsgeheimdienstes entfernt zu haben, werde alle Kollateralschäden überdecken. Aber wie will eine Arbeiterpartei ihren Leuten, Kassiererinnen bei Aldi oder Putzkräfte am Bahnhof, erklären, dass ein Spitzenbeamter, der fragwürdige Kontakte zur AfD unterhielt und sich nach Chemnitz mit Fake-News-Vorwürfen in eine hochpolitische Lage einmischte, die Treppe nach oben fällt?
Dieses schwarz-rote Resozialisierungsprogramm für Maaßen hat das Zeug, die Koalition in einer Zeit zu sprengen, in der Europa ein stabiles Deutschland dringender braucht denn je.
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Nahles: „Eine Austrittswelle ist mir nicht bekannt“
Warum nahm Nahles es hin, dass Seehofer, um im Innenministerium Platz für Maaßen zu schaffen, ausgerechnet den SPD-Baustaatssekretär Gunther Adler aus seinem Haus wirft (Originalton Seehofer: „Er ist jetzt halt Opfer“)? Dass die Kanzlerin sich persönlich um eine Anschlussverwendung für den anerkannten Fachmann kümmert, macht die Demütigung nicht kleiner.
„Es ist skandalös, dass ausgerechnet der Top-Experte der Bundesregierung bei der Bekämpfung der Wohnungsnot geopfert wurde, um im Fall Maaßen die Kuh vom Eis zu bekommen“, sagt Groschek. „Das Ränkespiel der drei Parteivorsitzenden bei der Ablösung von Gunther Adler ist zum Fremdschämen.“ So denken viele. Nahles habe sich von Seehofer abkochen lassen. Das passiert den Besten – nur Schönreden erträgt die SPD einfach nicht mehr.
Juso-Chef Kühnert berichtet von einer Begegnung mit einem SPD-Mitglied vor der Parteizentrale in Berlin-Kreuzberg. Der gab gerade seine Austrittserklärung ab. Ähnliche Geschichten hört man aus vielen Ecken des Landes. Konkrete Zahlen gibt die Parteizentrale nicht heraus. „Eine Austrittswelle ist mir nicht bekannt“, sagt Nahles in München.
Scholz schon lange in den Startlöchern?
Stündlich merkt sie, dass sie kämpfen muss. Es geht jetzt um alles. Um die Koalition, um ihren Vorsitz. Am Montag tagt der Parteivorstand, dann die Bundestagsfraktion. Am Abend schreibt sie wieder an die Mitglieder: „Hallo, hier ist Andrea. Ich kann die Wut total verstehen. Ich bin nicht bereit, wegen einer Personalentscheidung von Herrn Seehofer unsere Regierung in den Abgrund zu stürzen. Dazu stehe ich.“
Aber wie will sie dem Dilemma entfliehen? Nachverhandlungen beim Maaßen-Kompromiss wird die Union, trotz vielfachen Unmuts über Seehofer, nicht zulassen. Also doch der Bruch, Neuwahlen? Olaf Scholz steht bei der Knapp-20-Prozent-SPD für eine Kanzlerkandidatur schon lange in den Startlöchern.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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