Berlin. Eine Studie zeigt: Kinder lernen Schreiben am besten nach klassischen Methoden. Der Lehrerverband fordert jetzt die Rückkehr der Fibel.

Stephan Wassmuth hat fünf Kinder und kennt sich aus mit Bildungsreformen. Sein Jüngster ist zwölf, sein Ältester ist 28 Jahre alt. Der Große hat noch mit der Fibel gelernt, hat Buchstabe um Buchstabe, Wort für Wort schreiben geübt. Der Kleine dagegen sollte erstmal nach Gehör schreiben, sollte spielerisch lernen, ohne Korrekturen.

Heute sagt sein Vater: „Mit einer Fibel lernt man besser. Die Kinder können leichter nachvollziehen, was richtig und falsch ist.“ Das Schreibenlernen, findet der Vorsitzende des Bundeselternrats, „war früher einfacher“.

„Lesen durch Schreiben“: 55 Prozent mehr Rechtschreibfehler

Zu diesem Ergebnis kommt auch eine neue Studie der Universität Bonn. Die Forscher hatten die Lernerfolge von 3000 Grundschülern in Nordrhein-Westfalen verglichen und stellten fest: Kinder lernen Rechtschreibung am besten nach der klassischen Fibel-Methode.

Schüler, die mit der reformpädagogischen Methode „Lesen durch Schreiben“ unterrichtet wurden, machten am Ende der vierten Klasse im Schnitt 55 Prozent mehr Rechtschreibfehler als Fibel-Kinder. Auch Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch war, profitierten vom Fibel-Ansatz.

Verbot wurd in Hamburg und Baden-Württemberg bereits durchgesetzt

Nicht nur viele Eltern sehen mit Sorge, dass ihre Kinder am Ende der Grundschulzeit nicht richtig schreiben können. Auch diejenigen, die sich seit Langem über die mangelhaften Rechtschreibkenntnisse deutscher Schulabgänger, Azubis und Studenten ärgern, fühlen sich durch die neue Studie bestätigt.

Der Deutsche Lehrerverband verlangte am Montag ein bundesweites Verbot der Schreiblernmethode „Lesen durch Schreiben“: „Es geht jetzt darum, möglichst schnell weiteren Schaden von unseren Grundschulkindern abzuwenden“, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger unserer Redaktion.

„Dazu gehört nicht nur, dass diese Methode – insbesondere in ihrer radikalen Form – nicht weiter im Rechtschreibunterricht verwendet werden darf. Auch sollte in diesem Bereich eine umfassende Überprüfung aller Lehrpläne, Lernmittel und der gesamten darauf bezogenen Lehrerfortbildung stattfinden.“ Baden-Württemberg und Hamburg hätten mit einem Verbot dieser Methode bereits ein wichtiges Zeichen gesetzt, so Meidinger.

Anja Karliczek: Ergebnisse der Forschung schnell in die Praxis umsetzen

Bei der Fibel-Methode werden Buchstaben und Wörter schrittweise und nach festen Vorgaben eingeführt. Schüler, die nach der Methode „Lesen durch Schreiben“ (bekannt auch als „Schreiben nach Gehör“) lernen, dürfen dagegen zunächst die Wörter falsch schreiben – zum Beispiel: „Di Kinda machen Fela.“

Verbandschef Meidinger erinnerte daran, dass bereits mehrere Grundschulstudien ein teilweise dramatisches Absinken der Lese- und Rechtschreibleistungen der Grundschüler festgestellt hatten: Die Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU zeigte Ende 2017, dass jeder fünfte Zehnjährige in Deutschland nicht so lesen kann, dass er den Text auch versteht. Der bei Viertklässlern erhobene IQB-Bildungstrend 2016 ergab, dass nur 55 Prozent orthografische Regelstandards erreichen.

Anja Karliczek (CDU).
Anja Karliczek (CDU). © dpa | Ralf Hirschberger

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek äußerte sich zurückhaltender als der Lehrerverband, drang aber grundsätzlich auf eine schnelle Umsetzung der Forschungsergebnisse: „Richtig Lesen und Schreiben zu können ist und bleibt entscheidend, ohne diese Kulturtechniken geht es nicht“, sagte die CDU-Politikerin unserer Redaktion. „Daran ändert auch die Digitalisierung nichts.“ Deswegen sei es so wichtig, dass auch erforscht und geklärt werde, wie Kinder beides am besten lernten. „Und die Ergebnisse der Forschung müssen schnell in der Praxis Anwendung finden.“

Lehrerverbandschef Meininger: „Kinder wurden zu Versuchskaninchen“

Eine Rückkehr zur Fibel ist jedoch unter Bildungsexperten nicht unumstritten: Der Bildungsverband VBE etwa hält einen solchen Schritt „für keine Lösung“. Der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, der Thüringische Bildungsminister Helmut Holter, sieht die Debatte dagegen erst am Anfang: „Die Studie gibt wichtige Hinweise“, sagte der Linke-Politiker. Es gehe nun darum, die richtigen Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung der Lehr- und Lernmethoden zu ziehen.

Für ganze Schülergenerationen käme die Kehrtwende sowieso zu spät. Es sei erschreckend, dass sich in Deutschland an vielen Grundschulen in den letzten Jahrzehnten eine Rechtschreibmethode etablieren konnte, ohne dass dazu jemals eine seriöse Überprüfung stattgefunden habe, beklagt Lehrerverbandschef Meidinger. „Kinder wurden damit zu Versuchskaninchen einer übereifrigen Reformpolitik.“