Berlin/Tunis/Riad. Der saudische Kronprinz bin Salman will seinem Land einen liberalen Anstrich verpassen. Doch Deutschland zeigt er die kalte Schulter.

Er liebt den Dialog mit den Mächtigen dieser Welt: Staatenlenker wie US-Präsident Donald Trump, Kremlchef Wladimir Putin oder Chinas oberster Führer Xi Jinping. Der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman ist erst 32 Jahre alt, doch im Öl- und Gas-Imperium am Persischen Golf gibt er bereits den Ton an. Und er hat Großes vor.

Das nach der strengen islamischen Lehre des Wahhabismus ausgerichtete Königreich soll einen modernen und liberalen Anstrich bekommen. So dürfen Frauen seit dem vergangenen Juni Auto fahren, Popkonzerte und Lasershows ziehen Tausende in Unterhaltungs-Tempel nach Riad oder Dschidda.

Nach der von bin Salman vorgelegten „Vision 2030“ soll die Wirtschaft des Landes auf breitere Füße gestellt werden: weg von der Monokultur des „schwarzen Goldes“, hin zu Metallverarbeitung, erneuerbaren Energien oder Petrochemie.

Saudi-Arabien legt sich mit Kanada an

Mohammed bin Salman sieht sich als den Schrittmacher des Reformprozesses – und niemanden sonst. Kritik von außen ist nicht erwünscht. Das bekam zuletzt Kanadas Außenministerin Chrystia Freeland zu spüren. Nach der Verhaftung von zwei Frauenrechtlerinnen äußerte sich Freeland „tief besorgt“: Die saudischen Behörden sollten die Frauen sofort freilassen. Mohammed bin Salman kam umgehend mit der diplomatischen Keule.

Der kanadische Botschafter wurde in der Nacht zum Montag zur unerwünschten Person erklärt, sein saudischer Amtskollege in Ottawa zu Konsultationen zurückbeordert. Zudem kappte Riad alle Flugverbindungen und legte die Wirtschaftsbeziehungen auf Eis. Rund 8000 saudische Studenten müssen kanadische Hochschulen verlassen.

Saudi-Arabien noch verschnupft wegen Gabriel-Äußerung

Der Krach mit Kanada ähnelt dem Streit Saudi-Arabiens mit Deutschland, seit der damalige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) den Mächtigen in Riad im November 2017 außenpolitisches „Abenteurertum“ vorgeworfen hatte. Er bezog sich auf die Konflikte mit Katar und dem Jemen. Gegen die schiitischen Huthi-Rebellen in dem Land auf der südlichen Arabischen Halbinsel führt Saudi-Arabien seit 2015 einen erbitterten Krieg – treibende Kraft ist Mohammed bin Salman, der auch das Amt des Verteidigungsministers bekleidet.

Die Saudis reagierten verschnupft auf Gabriels Äußerungen. Sie zogen ihren Botschafter aus Berlin ab, der Geschäftsträger hält einstweilen die Stellung. Der Versuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), im Mai in einem Telefonat mit Mohammed bin Salman die Wogen zu glätten, führte bisher zu keinem Ergebnis.

Deutsche Firmen beklagen Exporteinbruch

Die deutschen Unternehmen fühlen sich als Opfer des politischen Klimasturzes. „Der Export nach Saudi-Arabien ist zuletzt eingebrochen und hat sich enttäuschend entwickelt“, sagte Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), dieser Redaktion. „Deutsche Mitbewerber klagen, dass sie bei öffentlichen Aufträgen der Saudis deutlich seltener zum Zug kommen.“

Im ersten Halbjahr 2018 seien die Ausfuhren im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fünf Prozent auf knapp über drei Milliarden Euro gesunken, so Treier. 2017 habe das Exportvolumen 6,6 Milliarden Euro betragen – ein Minus von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Zum Vergleich: 2015 lieferten die deutschen Unternehmen Waren und Dienstleistungen in einem Gesamtwert von 9,9 Milliarden Euro in die Wüste.

Firmen fordern Taten von Bundesregierung

Als Erklärung für den rückläufigen Trend führt Treier in erster Linie den Verfall des Ölpreises an. „Aber auch die politischen Verstimmungen zwischen Riad und Berlin haben dazu beigetragen.“ Die Bundesregierung müsse „aktiver“ werden, um den Konflikt zwischen beiden Ländern zu entschärfen, fordert der Außenwirtschaftschef des DIHK.

So einfach scheint dies allerdings nicht zu sein. Ursprünglich hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) geplant, zum 40-Jahres-Jubiläum der Delegation der Deutschen Wirtschaft für Saudi-Arabien, Bahrain und Jemen Ende September nach Riad zu reisen. Es sollte ein Versuch werden, die Irritationen auszuräumen. Doch da die Saudis keinen hochrangigen Gesprächspartner aufgeboten hätten, schicke der Minister lediglich ein paar leitende Beamte, heißt es in Berlin.

Das ist das Bundeskabinett

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am 14. März 2018 zum vierten Mal zur Regierungschefin gewählt worden. Auch ihr Bundeskabinett aus SPD-, CDU- und CSU-Ministern wurde vereidigt. Wir stellen das Kabinett vor.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am 14. März 2018 zum vierten Mal zur Regierungschefin gewählt worden. Auch ihr Bundeskabinett aus SPD-, CDU- und CSU-Ministern wurde vereidigt. Wir stellen das Kabinett vor. © dpa | Gregor Fischer
Nach der Wahl im Bundestag wurde Merkel von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zur Bundeskanzlerin ernannt.
Nach der Wahl im Bundestag wurde Merkel von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zur Bundeskanzlerin ernannt. © Getty Images | Michele Tantussi
Ursula von der Leyen (CDU) bleibt Bundesverteidigungsministerin. Sie ist eine von drei Frauen aus der sechsköpfigen CDU-Ministerriege.
Ursula von der Leyen (CDU) bleibt Bundesverteidigungsministerin. Sie ist eine von drei Frauen aus der sechsköpfigen CDU-Ministerriege. © dpa | Wolfgang Kumm
Peter Altmaier (CDU) ist Wirtschaftsminister. Zuvor war der Merkel-Vertraute Bundesminister für besondere Aufgaben – der offizielle Name für den Posten, der kurz Kanzleramtsminister genannt wird.
Peter Altmaier (CDU) ist Wirtschaftsminister. Zuvor war der Merkel-Vertraute Bundesminister für besondere Aufgaben – der offizielle Name für den Posten, der kurz Kanzleramtsminister genannt wird. © imago/Metodi Popow | M. Popow
Anja Karliczek (CDU) ist Ministerin für Bildung und Forschung. Vor ihrer Vereidigung war sie Bundestagsabgeordente aus NRW.
Anja Karliczek (CDU) ist Ministerin für Bildung und Forschung. Vor ihrer Vereidigung war sie Bundestagsabgeordente aus NRW. © imago/photothek | Florian Gaertner/photothek.net
Jens Spahn (CDU) ist Gesundheitsminister. Zuvor war er parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium.
Jens Spahn (CDU) ist Gesundheitsminister. Zuvor war er parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium. © dpa | Kay Nietfeld
Julia Klöckner ist Landwirtschaftsministerin und gleichzeitig CDU-Vize sowie Mitglied im CDU-Bundesvorstand.
Julia Klöckner ist Landwirtschaftsministerin und gleichzeitig CDU-Vize sowie Mitglied im CDU-Bundesvorstand. © dpa | Andreas Arnold
Der CDU-Politiker Helge Braun, Jahrgang 1972, ist neuer Kanzleramtsminister.
Der CDU-Politiker Helge Braun, Jahrgang 1972, ist neuer Kanzleramtsminister. © imago/photothek | Inga Kjer/photothek.net
CSU-Chef Horst Seehofer, als bayerischer Ministerpräsident von seiner Partei nicht mehr gewollt, ist Innenminister. Die CSU handelte indes aus, dass das Innenministerium um die Bereiche Heimat und Bauen erweitert wird.
CSU-Chef Horst Seehofer, als bayerischer Ministerpräsident von seiner Partei nicht mehr gewollt, ist Innenminister. Die CSU handelte indes aus, dass das Innenministerium um die Bereiche Heimat und Bauen erweitert wird. © imago/IPON | Stefan Boness/Ipon
Die CSU stellt insgesamt drei Minister, darunter auch Andreas Scheuer, zuvor Generalsekretär seiner Partei: Der Politiker Jahrgang 1974 ist Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Die CSU stellt insgesamt drei Minister, darunter auch Andreas Scheuer, zuvor Generalsekretär seiner Partei: Der Politiker Jahrgang 1974 ist Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. © dpa | Kay Nietfeld
Gerd Müller (CSU) bekam seine Ernennungsurkunde als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ebenfalls von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Müller hatte das Amt auch schon im vorhergehenden Merkel-Kabinett inne.
Gerd Müller (CSU) bekam seine Ernennungsurkunde als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ebenfalls von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Müller hatte das Amt auch schon im vorhergehenden Merkel-Kabinett inne. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Die SPD stellt insgesamt sechs Minister in der dritten großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel. Olaf Scholz ist Finanzminister und der Vizekanzler. Der SPD-Politiker war zuvor Hamburgs Erster Bürgermeister und von 2002 bis 2004 SPD-Generalsekretär.
Die SPD stellt insgesamt sechs Minister in der dritten großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel. Olaf Scholz ist Finanzminister und der Vizekanzler. Der SPD-Politiker war zuvor Hamburgs Erster Bürgermeister und von 2002 bis 2004 SPD-Generalsekretär. © imago/IPON | Stefan Boness/Ipon
Heiko Maas (SPD) ist in Merkel Kabinett Außenminister. Im Kabinett Merkel III hatte er zuvor das Amt des Justizministers inne.
Heiko Maas (SPD) ist in Merkel Kabinett Außenminister. Im Kabinett Merkel III hatte er zuvor das Amt des Justizministers inne. © dpa | Michael Kappeler
Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, ist Arbeits- und Sozialminister und bekam die entsprechende Urkunde vom Bundespräsidenten.
Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, ist Arbeits- und Sozialminister und bekam die entsprechende Urkunde vom Bundespräsidenten. © Getty Images | Michele Tantussi
Franziska Giffey (SPD), zuvor Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln, ist die neue Familienministerin.
Franziska Giffey (SPD), zuvor Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln, ist die neue Familienministerin. © dpa | Karlheinz Schindler
Svenja Schulze (SPD), bisher Generalsekretärin der NRW-SPD, hat nun den Posten als Umweltministerin inne.
Svenja Schulze (SPD), bisher Generalsekretärin der NRW-SPD, hat nun den Posten als Umweltministerin inne. © dpa | Rolf Vennenbernd
Und das sind die Staatsminister: SPD-Politiker Michael Roth ist Staatsminister für Europaangelegenheiten im Auswärtigen Amt.
Und das sind die Staatsminister: SPD-Politiker Michael Roth ist Staatsminister für Europaangelegenheiten im Auswärtigen Amt. © Getty Images | Carsten Koall
Die CSU-Politikerin Dorothee Bär ist Staatsministerin für Digitales und im Kanzleramt angesiedelt.
Die CSU-Politikerin Dorothee Bär ist Staatsministerin für Digitales und im Kanzleramt angesiedelt. © dpa | Karlheinz Schindler
SPD-Politikerin Katarina Barley übernahm zunächst das Justizministerium. Nach der Europawahl wechselt sie allerdings nach Brüssel.
SPD-Politikerin Katarina Barley übernahm zunächst das Justizministerium. Nach der Europawahl wechselt sie allerdings nach Brüssel. © imago/Reiner Zensen | Reiner Zensen
Neue Bundesjustizministerin wird Christine Lambrecht (SPD). Sie war zuvor parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion.
Neue Bundesjustizministerin wird Christine Lambrecht (SPD). Sie war zuvor parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. © imago/Metodi Popow | M. Popow
Monika Grütters (CDU) bleibt Kulturstaatsministerin.
Monika Grütters (CDU) bleibt Kulturstaatsministerin. © Getty Images | Pascal Le Segretain
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering, Frau des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, ist Staatsministerin für internationale Kulturpolitik.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering, Frau des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, ist Staatsministerin für internationale Kulturpolitik. © dpa | Kay Nietfeld
Feierlicher Termin am 14. März 2018 im Schloss Bellevue in Berlin (v.l.n.r.): Helge Braun (CDU), Gerd Müller (CSU), Anja Karliczek (CDU), Jens Spahn (CDU), Katarina Barley (SPD, inzwischen nach Brüssel gewechselt), Julia Klöckner (CDU), Ursula von der Leyen (CDU), Heiko Maas (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz (SPD), Horst Seehofer (CSU), Peter Altmaier (CDU), Hubertus Heil (SPD), Franziska Giffey (SPD), Andreas Scheuer (CSU) und Svenja Schulze (SPD).
Feierlicher Termin am 14. März 2018 im Schloss Bellevue in Berlin (v.l.n.r.): Helge Braun (CDU), Gerd Müller (CSU), Anja Karliczek (CDU), Jens Spahn (CDU), Katarina Barley (SPD, inzwischen nach Brüssel gewechselt), Julia Klöckner (CDU), Ursula von der Leyen (CDU), Heiko Maas (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz (SPD), Horst Seehofer (CSU), Peter Altmaier (CDU), Hubertus Heil (SPD), Franziska Giffey (SPD), Andreas Scheuer (CSU) und Svenja Schulze (SPD). © dpa | Bernd von Jutrczenka
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Zumindest die Außenminister telefonieren miteinander

Offenbar geht es bei der Blockadehaltung der Saudis auch um große Politik. In deutschen Wirtschaftskreisen wird erzählt, dass Washington Riad als Hebel benutze, um die am Dienstag neu aufgelegten US-Sanktionen gegen den Iran durchzudrücken. „Die Amerikaner haben gegenüber deutschen Firmen signalisiert: Wenn diese sich im Irangeschäft zurückhielten, würden die USA dafür sorgen, dass der Handel mit den Saudis wieder läuft“, berichtet ein deutscher Geschäftsmann. Es gehe die Sorge um, zum „Spielball geopolitischer Interessen“ zu werden.

Das Außenministerium bemüht sich derweil zumindest um eine Klimaverbesserung. In der vergangenen Woche telefonierte der deutsche Chefdiplomat Heiko Maas mit seinem saudischen Amtskollegen Adel al-Dschubeir; beide hatten sich bereits im Mai bei einer Syrienkonferenz in Paris getroffen. Am 13. Juli sprach Außen-Staatsminister Niels Annen in Brüssel mit al-Dschubeir.

„Auf der Ebene der Außenministerien sind die Kontakte in den vergangenen Wochen intensiver geworden“, heißt es in der Bundesregierung. Das große Hindernis zur Lösung des deutsch-saudischen Knotens sitzt eine Etage höher: Ohne Mohammed bin Salman geht nichts. Doch der zeigt Deutschland bislang die kalte Schulter.