Brüssel. Kommissionspräsident Juncker will nach der Europawahl 2019 seinen Posten räumen. Es gibt mehrere aussichtsreiche Nachfolgekandidaten.

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat für ihren Coup, gegen den Internetkonzern Google eine spektakuläre 4,3-Milliarden-Strafe zu verhängen, in Europa viel Lob erhalten. Bewunderung und Respekt für die 50-jährige Dänin sind so groß, dass sie prompt eine Personaldebatte auslösen: Wäre die couragierte Sozialliberale nicht die ideale Besetzung für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten?

Amtsinhaber Jean-Claude Juncker will ein paar Monate nach der Europawahl im Mai 2019 seinen Posten räumen – der 63-jährige Luxemburger hat schon angekündigt, nicht für eine zweite Amtsperiode zu kandidieren. Spätestens seit dem Nato-Gipfel, als sich Juncker gesundheitlich angeschlagen durch die Runde der Regierungschefs bewegte, sind die Rufe verstummt, die den Christdemokraten zum Weitermachen ermuntern wollten.

Margrethe Vestager

Vestager hat Interesse, die erste Frau in dem Spitzenjob zu werden – doch die Konkurrenz ist stark: Es geht um das wichtigste und machtvollste Amt der EU – inklusive Verantwortung für eine riesige Behörde mit 33.000 Beamten. Die großen Parteifamilien stellen sich auf:Sie ist der Star der EU-Kommission, hat sich als Kommissarin für Wettbewerb mit ihrem unerschrockenen Vorgehen gegen Internetkonzerne wie Google, Apple oder Microsoft viel Ansehen erworben.

Die Pfarrerstochter aus Westjütland, die Wirtschaftswissenschaften studiert hat, war in Kopenhagen Wirtschafts- und Innenministerin – und wurde mit ihrem entschlossenen Vorgehen die Vorlage für die Filmfigur Brigitte Nyborg, die Protagonistin der dänischen Erfolgsserie „Borgen“. Die Mutter dreier Kinder ist sehr diszipliniert und kontrolliert, bereitet ihre Auftritte präzise vor.

Sie hat gute Chancen, Spitzenkandidatin der Liberalen zu werden. Aber: Die Liberalen werden kaum stärkste Kraft im EU-Parlament. Nur bei einer sehr komplizierten Mehrheitslage käme die Dänin zum Zuge. Und vielleicht mithilfe der europäischen En-Marche-Bewegung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der als potenzieller Bündnispartner der Liberalen gilt.

 Margrethe Vestager
Margrethe Vestager © REUTERS | YVES HERMAN

Michel Barnier

Der Franzose und frühere Binnenmarkt-Kommissar wollte schon 2014 Spitzenkandidat der Christdemokraten werden, unterlag damals aber Juncker. Als Brexit-Chefverhandler macht er eine gute Figur, mit Glück kann er den Austrittsvertrag im Herbst vorlegen – kurz vor dem Parteitag der Europäischen Volkspartei (EVP) im November, auf dem der Spitzenkandidat der Konservativen gewählt werden soll.

Barnier gilt als hochkompetent, bodenständig und loyal. In seiner langen Karriere unter anderem als Umwelt-, Europa- und Außenminister wurde keine einzige Affäre bekannt. Kritiker vermissen aber Charisma und Fingerspitzengefühl – und mahnen, der 67-Jährige sei nicht gerade ein Signal des Aufbruchs für Europa. Als Königsmacher könnte sich auch hier Präsident Macron erweisen: Wirft er Parteivorbehalte über Bord, weil ihm ein Franzose an der Spitze der Kommission wichtig ist?

Michel Barnier
Michel Barnier © REUTERS | STRINGER

Manfred Weber

Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament und CSU-Vize hat sein Interesse an einer Spitzenkandidatur signalisiert, im September will er sich entscheiden. Weber weiß: Die EVP dürfte auch 2019 stärkste Fraktion werden und hätte gute Chancen, auch erneut den Kommissionspräsidenten zu stellen. Der ehrgeizige Jurist aus Niederbayern hat sich an der Spitze der größten Fraktion ein breites Netzwerk aufgebaut, half Kollegen in Wahlkämpfen, hielt selbst über Ungarns Premier Viktor Orban seine Hand.

Zu Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der 46-Jährige einen guten Draht. Das könnte entscheidend sein, denn der Präsident muss von den EU-Regierungschefs vorgeschlagen werden, bevor das Parlament ihn wählt. Ob Merkel nach der jüngsten Unionskrise aber auf einen CSU-Politiker in Brüssel setzen würde, ist ungewiss. In der EU-Hauptstadt sind auch viele Einwände zu hören: Weber sei ein guter Moderator, aber kein durchsetzungsfähiger Macher. Und: Er wäre der erste Kommissionspräsident, der keinerlei Erfahrung in der Kommission oder in einer nationalen Regierung gesammelt hätte.

Manfred Weber
Manfred Weber © dpa | Sven Hoppe

Federica Mogherini

Die EU-Außenbeauftragte hat sich in ihrem Amt einen exzellenten Ruf erarbeitet. Mit hohem Einsatz versucht die Vizepräsidentin der Kommission, der Stimme Europas weltweit mehr Gehör zu verschaffen, auch wenn die Europäer sich intern nicht immer einig sind. Die 45-jährige Mutter zweier Töchter ist dabei eine Art Außen- und Verteidigungsministerin in einer Person.

Ein Knochenjob, in dem Mogherini unermüdlich das Banner der Diplomatie hochhält – und zur Geheimwaffe der Sozialdemokraten auf EU-Ebene geworden ist. Zu den größten Erfolgen der Politikwissenschaftlerin gehören die Mitwirkung am Iran-Atomabkommen und die Fortführung der Mittelmeer-Mission Sophia im Kampf gegen Flüchtlingsschlepper. Allerdings: Die sozialdemokratische Parteienfamilie SPE erwartet bei den Europawahlen Verluste – wenig spricht dafür, dass Mogherinis Gruppe das Präsidentenamt besetzen kann.

Federica Mogherini
Federica Mogherini © REUTERS | POOL

Frans Timmermans

Der 57-jährige Niederländer ist schon die Nummer zwei der Kommission: als Junckers rechte Hand der Mann für schwierige Fälle. Zuständig unter anderem für Rechtsstaatsfragen, ist Timmermans die Brüsseler Schlüsselfigur in den internen Konflikten etwa mit Polen und Ungarn oder für die europäische Position zur Katalonien-Frage.

Der Sozialdemokrat, der in den Niederlanden zuletzt Außenminister war, gilt als exzellenter Redner. Er beherrscht sechs Sprachen, darunter auch Deutsch. In der Kommission hat er neben Mogherini noch zwei weitere Konkurrenten, die sich für die Spitzenkandidatur der Sozialisten warmlaufen: Währungskommissar Pierre Moscovici aus Frankreich und Energiekommissar Maros Sefkovic aus der Slowakei.

Frans Timmermans
Frans Timmermans © REUTERS | FRANCOIS LENOIR