Paderborn. Ferdi Cebi ist mit der Kanzlerin an seinem Arbeitsplatz verabredet. Der Altenpfleger will ihr die Probleme in seinem Beruf vermitteln.

Ein bisschen war Ferdi Cebi von Angela Merkel beeindruckt. Sie sei auf seine Fragen eingegangen, sagt er. „Aber Drumherumreden kann sie auch perfekt.“ Im September des vergangenen Jahres haben die beiden sich das erste Mal getroffen, der Altenpfleger aus Paderborn und die Bundeskanzlerin.

Es war noch die Zeit vor der Bundestagswahl und Merkel war zu Gast in der ZDF-Sendung „Klartext“. Die Redaktion hatte ganz normale Bürger eingeladen, damit sie der Kanzlerin Fragen stellen. Auch Ferdi Cebi war dabei. Als das Thema auf die Pflege alter Menschen kam, meldete er sich.

„Wir Pflegekräfte und die älteren Menschen fühlen uns im Stich gelassen“, sagte er. „Wieso setzt sich die Politik nicht mehr für uns ein?“ Die Kanzlerin hörte ihm lange zu und zählte dann auf, was alles schon besser geworden sei. Aber Cebi reichte das nicht. Er finde es „traurig, dass Gesetze gemacht werden, obwohl die Politik noch nie wirklich in den Beruf reingeblickt hat“, sagte er ihr.

Merkel im Altenheim, das gab es noch nie

Dann lud er die Kanzlerin ein, sich seinen Arbeitsplatz anzuschauen und ihn zu begleiten. Sie sagte zu.

Merkel im Altenheim, das gab es noch nie. Merkel mit Trump und mit Putin, das schon, auch Merkel bei der Europäischen Union oder bei der Nato in Brüssel. Man sieht sie im Bundestag oder auf dem Balkon des Kanzleramts. Aber die Kanzlerin beim Kaffee mit alten Menschen im Rollstuhl?

Ferdi Cebi (l.) und Angela Merkel in der ZDF-Wahlkampfsendung „Klartext“.
Ferdi Cebi (l.) und Angela Merkel in der ZDF-Wahlkampfsendung „Klartext“. © Screenshot: ZDF | Screenshot: ZDF

Eineinhalb Stunden lang wird Merkel am Montag das St. Johannisstift in Paderborn besuchen. Sie wird Cebi durch die Zimmer begleiten. Sie wird mit ihm, mit seinen Kollegen und mit den Heimbewohnern sprechen. Es wird ein Blick in das echte, das ganz normale Leben sein, für das die Kanzlerin und ihre Regierung in Berlin die Gesetze machen.

Es riecht nach Essen und, nun ja, nach Altenheim

„Ich hoffe, dass ich mit dem Besuch etwas bewirken kann“, sagt Cebi. „Damit sich noch mehr in unserem Beruf ändert.“ Es ist der Dienstag in der Woche vor Merkels Besuch. Cebi bringt Kaffee und etwas Kuchen in einen Besprechungsraum im ersten Stock des Altenheims. Im Regal liegt ein Stapel Musikkassetten: „Das Beste aus dem ARD-Wunschkonzert“.

Gerade gab es hier im „Wohnbereich I + II“ das Mittagessen. Noch sitzen einige Bewohner im Speisesaal, einige hängen mehr oder weniger regungslos in ihrem Rollstuhl. Andere liegen auf ihren Zimmern im Bett. Es riecht nach Essen und, nun ja, nach Altenheim.

Was er der Bundeskanzlerin genau sagen wird, wisse er noch nicht, sagt Cebi. „Ich will aber auf jeden Fall auch die schönen Seiten des Berufs zeigen.“ Er habe gern Kontakt mit anderen Menschen und jeder könne von den alten Heimbewohnern noch viel lernen.

Heimbewohnerin gibt Rat in Liebesdingen

Die kleine Geschichte, die er dazu parat hat, handelt von Liebeskummer und davon, geduldig zu sein. „Warte mal drei Tage, dann wird sich deine Freundin von selbst bei dir melden“, habe ihm eine Heimbewohnerin geraten, die er damals um Rat fragte. Und genau so sei es dann gewesen.

Inzwischen hat der 36-Jährige zwei Kinder, seit 15 Jahren arbeitet er im Johannisstift. Sein Vater stammt aus der Türkei, seine Mutter aus Polen, Cebi selbst ist in Paderborn geboren. Er spricht nur Deutsch, mit den Familien seiner Eltern kann er sich kaum verständigen.

Er habe überlegt, Tischler zu werden, sagt er, aber nach dem Zivildienst sei er irgendwie in dem Heim hängen geblieben. Er machte ein Praktikum und dann die Ausbildung zum Altenpfleger. Heute ist Ferdi Cebi in seiner Abteilung der Hahn im Korb, der einzige Mann unter einem Dutzend Pflegerinnen.

„Wir sind Hausmeister, Seelentröster und Lebensbegleiter“

Dass der Beruf noch immer als Frauenberuf gilt, ärgert ihn. Und dass alle denken, Altenpfleger würden den Leuten nur den Hintern abwischen. „Wir sind Hausmeister, Seelentröster und Lebensbegleiter“, sagt Cebi. Er hat jeden Tag mit Ärzten, Apothekern und den Mitarbeitern von Sanitätshäusern zu tun. Er bringt das Essen, die Medikamente und schraubt Glühbirnen ein.

Und Cebi rappt, auch für die Kanzlerin. Unter dem Künstlernamen „Idref“ schreibt er Texte über seinen Beruf und über das Leben. „Idref“, das ist sein Vorname rückwärts. In glitzernder Schrift steht er auf seinem weißen T-Shirt. Die Musik gibt es bei iTunes, die Videos dazu bei Youtube.

Zu wenig Personal, zu wenig Zeit, zu wenig Geld

„Mach die Augen auf, wir haben genug geschlafen. Es wird Zeit, Mut zu haben und was dazu zu sagen“, reimt Cebi über die Situation in seiner Branche. „Wir spüren es täglich und erleben es mit. Für die Pflege – weil sie irgendwann jeden betrifft.“ Und weiter: „Wenn es so weitergeht, dann heißt es Gute Nacht.“

Altenpfleger Ferdi Cebi (r.) wünscht sich von der Politik konkrete Verbesserungen in seinem Beruf: mehr Tarifverträge und eine realistische Lebensarbeitszeit.
Altenpfleger Ferdi Cebi (r.) wünscht sich von der Politik konkrete Verbesserungen in seinem Beruf: mehr Tarifverträge und eine realistische Lebensarbeitszeit. © dpa | Guido Kirchner

Zu wenig Personal, zu wenig Zeit, zu wenig Geld – das sind die Schattenseiten des Berufs. Dazu Schichtdienst und die körperliche und psychische Anstrengung: „Wir leisten viel.“ Auch das will Cebi der Kanzlerin bei ihrem Besuch sagen.

Das Johannisstift ist kein besonderes Vorzeigeheim, eher der ganz normale Durchschnitt. Das Gebäude, in dem Cebi arbeitet, stammt noch aus den 80er-Jahren. Damals wurden Altenheime wie Krankenhäuser gebaut: Die Flure sind lang, fensterlos und mit Linoleum ausgelegt. Rechts und links gehen die Zimmer ab, auch sie erinnern mit den wenigen eigenen Möbeln, die ihre Bewohner mitnehmen konnten, an ein Krankenhaus.

Im Neubau soll alles persönlicher werden

Bunte Schleifen an den Türen und die aktuelle Fußball-Deko mit Wimpeln in den Nationalfarben und Postern der Mannschaften erinnern daran, dass hier Menschen dauerhaft zu Hause sind. In den nächsten Monaten soll dieser Teil des Heims abgerissen werden. Im schon fast fertigen Neubau gegenüber soll alles viel heller und freundlicher und viel persönlicher sein.

Ferdi Cebi weiß, dass sich die Politik in Berlin gerade so intensiv wie nie um das Thema Pflege kümmert. Es soll mehr Stellen geben, mehr Geld für die Heime, weniger Bürokratie. Drei Bundesminister haben kürzlich eine „Konzertierte Aktion Pflege“ ausgerufen, sie wollen den Beruf des Altenpflegers attraktiver machen.

„Der Ferdi macht das schon“

Cebi sagt, er habe da inzwischen den Überblick verloren. Seine Wünsche an die Politik und die Kanzlerin sind relativ überschaubar und ziemlich konkret: Es solle mehr Tarifverträge mit einer festen Fünf-Tage-Woche geben. Im Johannisstift gebe es diese Regel schon, aber in vielen anderen Heimen werde noch sechs Tage pro Woche gearbeitet. Vor allem aber, sagt Cebi, müsse es eine realistische Einschätzung der Lebensarbeitszeit geben: „Eine Rente mit 67 ist in diesem Beruf unmöglich.“

Seine Kolleginnen freuen sich, dass Cebi es geschafft hat, die Kanzlerin nach Paderborn zu holen. Sie selbst wollen sich bei dem Besuch eher zurückhalten. „Der Ferdi macht das schon“, sagt eine von ihnen. Mehr zusätzliches Personal wünscht sie sich, damit die Heimbewohner während des Tages noch etwas mehr betreut werden können. Und sie fügt noch etwas hinzu, das ihr, so sagt sie, noch wichtiger ist als eine Gehaltserhöhung: „Mehr Anerkennung wäre schön.“