Brüssel. Die Europäische Union bereitet eine Reform der Flüchtlingspolitik vor. Vor allem Staaten wie Italien und Griechenland würden entlastet.

Wenigstens auf Jean-Claude Juncker kann sich die Kanzlerin im unionsinternen Asylstreit verlassen. Der EU-Kommissionspräsident hat nicht nur auf Angela Merkels Bitte kurzfristig für Sonntag einen Mini-Asylgipfel in Brüssel einberufen: Unter Junckers Federführung leitet die Kommission jetzt auch schon eine drastische Kursänderung in der europäischen Asylpolitik ein.

Die neue Linie: Auf der einen Seite soll die unkontrollierte Einreise von Asylbewerbern nach Europa stark gebremst werden, etwa durch massiven Ausbau des Außengrenzschutzes und neue Sammellager außerhalb der EU für gerettete Bootsflüchtlinge. Andererseits sollen rigide Maßnahmen und Verbote die Weiterreise von Asylbewerbern innerhalb der EU verhindern.

Die Vorschläge sind in einem ersten Kommissions-Entwurf für die Abschlusserklärung des Mini-Gipfels am Sonntag enthalten, er liegt unserer Redaktion vor. Nach jetzigem Stand werden am Gipfel neben Merkel und Juncker unter anderem die Regierungschefs von Frankreich, Griechenland, Spanien, Malta, Bulgarien, Italien, Österreich und den Niederlanden teilnehmen.

Italienischer Premierminister lehnte gemeinsame Erklärung ab

Wie belastbar die Kommissionsvorschläge sind, ist offen: Der italienische Premier Guiseppe Conte erklärte am Donnerstag unter Berufung auf ein Telefonat mit Merkel, der Entwurf werde „beiseitegelegt“ – Conte hat wegen einiger Passagen zu Zurückweisungen die Sorge, Italien müsse mehr Flüchtlinge aufnehmen. Er werde auch keinen vorgefertigten Text akzeptieren. Endgültige Beschlüsse kann sowieso erst der offizielle EU-Gipfel ab Donnerstag nächster Woche fällen.

Aber unabhängig von strittigen Details ist der Brüsseler Kurswechsel so offensichtlich wie überraschend: Wie ernst die Kommission es meint, zeigt ein weiterer Vorstoß, den Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos präsentierte: Die EU-Asylreform soll wegen des Konflikts um die Flüchtlingsverteilung auf Ende des Jahres verschoben werden. Das Gipfeltreffen nächste Woche hätte einen zentralen Streitpunkt weniger. Stattdessen würden Mitgliedstaaten jetzt viele Einzelmaßnahmen ergreifen, die zusammen einen viel härteren Kurs bedeuten:

• Zurückweisungen Nach dem Kommissionsvorschlag würden EU-Staaten jetzt untereinander bilaterale Abkommen schließen, um die Rückübernahme von Asylbewerbern zu beschleunigen – so wie es Merkel ja zur Befriedung des Unionskonflikts vorschwebt. Beim Mini-Gipfel am Sonntag könnten eine Reihe von Staaten ihre Bereitschaft dazu erklären. Allerdings müssten die Abkommen dann im Detail erst noch ausgehandelt werden.

Wie weit das Merkel im Machtkampf mit Horst Seehofer entlastet, ist angesichts des Ende Juni auslaufenden CSU-Ultimatums unklar. Allerdings würde sich Deutschland in der Erklärung wie die anderen Teilnehmer verpflichten, „einseitige, unkoordinierte Maßnahmen“ zu unterlassen.

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    • Weiterreise Bereits registrierte Asylbewerber sollen mit rigiden Maßnahmen daran gehindert werden, aus dem Einreiseland weiter in andere EU-Staaten (also etwa nach Deutschland) zu ziehen: Vorgeschlagen wird die Unterbringung in zentralen Einrichtungen mit schnellen Asylentscheidungen, die Begrenzung von Sozialleistungen allein auf den zuständigen EU-Staat. Und: Ein „flexibler Rücknahmemechanismus“ in Grenznähe soll dafür sorgen, das nach EU-Recht zurückgewiesene Asylbewerber rasch ins eigentliche Aufnahmeland zurückgebracht werden – und zwar künftig ohne jede Frist, während bislang eine Rücküberstellung nur innerhalb von sechs Monaten möglich ist. Vorgesehen sind überdies Kontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen durch Polizei und Transportunternehmen. Klarstellen will die Kommission, was schon jetzt gilt: „Es gibt kein Recht, den Mitgliedsstaat, in dem Asyl beantragt wird, frei zu wählen“, heißt es in dem Entwurf.

    • Hilfen für Aufnahmeländer Länder an der EU-Außengrenze wie Italien und Griechenland müssten mit dem neuen Kurs noch höhere Flüchtlingszahlen bewältigen. Zum Ausgleich soll die EU ihnen mit massiven Finanzhilfen und Personal unter die Arme greifen; die Kommission soll bis Ende Juli den Bedarf klären. Ob das genügt? Die italienische Regierung geht bereits auf die Barrikaden und drohte vorübergehend damit, dem Treffen am Sonntag in Brüssel fern zu bleiben, wenn die Pläne nicht geändert würden. Statt Italien zu helfen, wollten Frankreich und Deutschland noch mehr Migranten schicken, hieß es.

    • Hotspots Allerdings dürften andere Maßnahmen vor allem Italien entlasten. Aus Seenot gerettete Flüchtlinge sollen nicht mehr nach Europa, sondern zu zentralen Sammelpunkten außerhalb der EU gebracht werden – nach Nordafrika, intern ist auch von Albanien die Rede. Das hat auch EU-Ratspräsident Donald Tusk schon als Gipfel-Thema vorgeschlagen. Die Kommission führe bereits Gespräche mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk, sagte Avramopoulos. Es gehe nicht darum, „ein Guantanamo für Migranten“ aufzubauen, versicherte er. Stattdessen sollte sichergestellt werden, dass die Flüchtlinge an einem sicheren Ort von Bord gingen und jene, die nach EU-Asylrecht schutzberechtigt sind, nach Europa kommen könnten. Bisher habe sich allerdings noch kein Staat zur Einrichtung eines Hotspots bereit erklärt. EU-Diplomaten äußern sich bereits skeptisch: Die Idee sei nicht neu, aber komplizierte rechtliche Fragen seien bislang nicht geklärt.

    • Außengrenzen Der Aufbau des EU-Außengrenzschutzes soll nach dem Kommissionsplan jetzt drastisch beschleunigt werden. Schon bis 2020 soll die Grenz- und Küstenwache von etwa 1300 auf 10.000 Beamte aufgestockt werden.